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Der Klimawandel fordert die Energiepolitik heraus

epfl

Der Weltenergierat WEC spiele eine zentrale Rolle in der Weltklima-Politik, sagt der neue Generalsekretär, der Schweizer Christoph Frei. Der WEC will noch vor der Klimakonferenz in Kopenhagen ein Klassement der nationalen Energiepolitik publizieren.

Der 40-jährige Wissenschafter Christoph Frei ist die neue treibende Kraft an der Spitze des Weltenergierats WEC (World Energy Council).

Die Nichtregierungs-Organisation ist ausserhalb eines Expertenkreises weniger bekannt, weil sie über ihre Welt-Energiekongresse, die sie alle 3 Jahre durchführt, bisher sehr zurückhaltend informiert hat.

Die Organisation hat sich die weltweite und nachhaltige Entwicklung der Energie zum Ziel gesetzt.

93 Länder sind in der Organisation vertreten, Regierungen, private Unternehmen und Experten. Der Präsident des WEC ist CEO von Electricité de France.

swissinfo.ch: Angesichts der Finanzierung durch die Energiebranche muss man den WEC eher als Interessengruppe denn als unabhängige Organisation bezeichnen?

Christoph Frei: Wir werden nicht ausschliesslich durch die Industrie finanziert…

Die Frage der Unabhängigkeit stellt sich bei der Finanzierung und der Geschäftsleitung. Unsere Geschäftsleitung hängt von 93 Ländern ab. Jedes Land hat seinen Präsidenten – in einem Drittel der Fälle handelt es sich um Minister, um CEO in 20% der Fälle, und die restlichen sind Experten. Das zeigt, dass wir der Industrie nicht näher stehen als den Regierungen.

Jeder Präsident hat eine Stimme, und die Vertretungen der Industrie- und Entwicklungsstaaten aus allen Regionen der Welt sind ausgeglichen. Unsere Geschäftsleitung ist also bestimmt nicht einseitig und schon gar nicht eine Interessengruppe.

Wir haben mehr als 3500 Einzelmitglieder und 66 Komitee-Mitglieder, 40 Prozent kommen aus dem Privatsektor, 7 Prozent aus Regierungen und rund 25 Prozent sind Experten. Also ein ziemlich ausgeglichenes Gremium.

swissinfo.ch: Welche Rolle spielt die Schweiz im Weltenergierat?

C.F.: Sie ist eines von 93 Komitee-Mitgliedern. Grundsätzlich hat jedes Land das gleiche Gewicht. Aber einige sind engagierter und erheben ihre Stimme deutlicher als andere.

Das gilt ganz klar auch für die Schweiz. Sie ist sehr aktiv, sie nimmt ihre Interessen wahr und betont zum Beispiel die Wichtigkeit der Mobilität.

swissinfo.ch: Ändert sich etwas für die Schweiz mit Ihrer Präsidentschaft?

C.F.: Es ist für jedes Land eine Chance, einen seiner Landsleute in einer Funktion zu wissen, die beachtet wird.

Das kann Synergieeffekte aber auch eine gewisse Dynamik freisetzen, vor allem in einem Bereich, der junge Kräfte benötigt und sehr attraktiv ist durch die Wechselwirkung zwischen Klima- und Energiefragen.

swissinfo.ch: Welches ist die grösste Herausforderung im Bereich der Energie?

C.F.: Der Klimawandel. Wenn etwas den Energiesektor verändert, dann ist es eindeutig die Klima-Veränderung. Wir haben soeben eine Umfrage in unseren Mitglieder-Komitees durchgeführt.

Unabhängig von der Region sagen die verschiedenen Länder fast einhellig, dass der Klimawandel die wichtigste Herausforderung für den Energiesektor sei.

swissinfo.ch: Aber es gibt Ausnahmen?

C.F.: Einige Regionen haben mehr zu verlieren als andere. Entwicklungsländer, die von Energieträgern leben, stellen sich viele Fragen und sind zurückhaltend.

swissinfo.ch: Welche Vision haben Sie zum Klimaproblem und wie werden sie diese im Rahmen Ihrer Funktion thematisieren?

C.F.: Das Thema ist so wichtig, dass man es sich nicht leisten kann, es nicht ernst zu nehmen. Eine der gravierendsten Herausforderungen, die sich direkt auf die Bevölkerung auswirkt, ist natürlich die Knappheit des Wassers.

Ich begreife nicht, vor allem als Vater, weshalb man nicht alles unternimmt was möglich ist, um die Herausforderung anzunehmen.

Die Herausforderung ist enorm unter den gegebenen Rahmenbedingungen. Viele Länder betreiben eine nützliche Politik. Aber die Herausforderung ist global, sie benötigt ein koordiniertes Vorgehen.

Nationalistische Versuche sind sehr gefährlich, weil sie globales Vorgehen komplizieren. Der Weltenergierat kann hier Gegensteuer geben, indem er die globalen Antworten koordiniert, sie einordnet und ihre Wirkung misst.

Wir werden übrigens in den nächsten Wochen zum ersten Mal den Zustand der nationalen Energiepolitik in den verschiedenen Ländern messen. Und dies im Hinblick auf die Klimakonferenz in Kopenhagen im Dezember.

swissinfo.ch: Und in welcher Position befindet sich die Schweiz gemäss dieser Studie?

C.F.: Die Endresultate sind noch nicht bekannt. Aber sie wird einen guten Platz besetzen und viele Punkte machen. Sie verfügt über eine sehr gute Infrastruktur.

Sie hat viel unternommen im Bereich des Bauwesens und der Mobilität – die Region Zürich bietet ein bemerkenswertes Beispiel in dieser Hinsicht. In andern Sektoren sind auch Fortschritte möglich. Aber wir müssen zuerst die Resultate der Studie abwarten.

swissinfo.ch: 2012 läuft das Kyoto-Klimaprotokoll aus. Nur vier Monate vor der Folgekonferenz in Kopenhagen sind die Fortschritte im Hinblick auf ein Abkommen zu Fragen des Klimawandels minim. Kann sich die Welt ein Scheitern leisten?

C.F.: Nein, sie braucht Fortschritte. Die Frage stellt sich, wie man den Erfolg messen soll. Veränderungen der Positionierung gegenüber der Klimafrage sind sichtbar geworden durch die neue Administration in den USA, aber auch in Asien.

Man kann davon ausgehen, dass die Dynamik, die jetzt entstanden ist, sich nicht mehr aufhalten lässt.

Pierre-François Besson, swissinfo.ch
(Übertragung aus dem Französischen: Peter Siegenthaler)

Der Weltenergierat WEC (World Energy Council) wurde 1923 in London gegründet.

Zu seinen wichtigsten Aufgaben gehören wissenschaftliche Studien, technische Dienstleistungen und regionale Programme zu Themen wie Energieprobleme in Entwicklungsländern, Finanzierung der Energie, Effinzienz-Messungen, Liberalisierung der Energie-Märkte und Auswirkungen für die Umwelt.

Der WEC ist ein Konsultativ-Organ der Vereinten Nationen.

Der Rat vereinigt Vertreter des gesamten Energiesektors – Kohle, Erdöl, Erdgas, Kernenergie, Wasserkraft und andere erneuerbare Energien.

Der Rat organisiert alle drei Jahre einen Weltkongress zum Thema Energie, an dem höchste Vertreter aus Wirtschaft und Politik teilnehmen.

Der letzte Kongress wurde in Rom durchgeführt, der nächste findet 2010 in Montreal statt.

Der 40-jährige Deutschschweizer ist im Frühling zum Generalsekretär des Weltenergierats gewählt worden.

Er ist der erste Schweizer, der diesen Posten belegt.

Frei ist Professor für Energiepolitik und Strategie an der Eidgenössischen Technischen Hochschule Lausanne (EPFL).

In den letzten 8 Jahren war er leitender Direktor für Energiefragen beim Weltwirtschaftsforum (WEF).

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