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Der letzte Bärenwärter von Bern

Ein halbes Leben für die Bären. 30 Jahre hat Emil Hänni die Bernerbären betreut. (Bild: swissinfo) swissinfo.ch

Seit 1976 betreut Emil Hänni die Bären im Berner Bärengraben. Nun geht der Bärenwärter in Pension. Seine Stelle wird nicht neu besetzt.

swissinfo hat ihn an seinem letzten Arbeitstag besucht.

Der letzte Arbeitstag von Bärengrabenwärter Emil Hänni ist ein regnerischer Mittwoch, kaltes Aprilwetter herrscht, die Berner Altstadt ist in ein graues Kleid gehüllt.

Trotzdem ist der Bärengraben, der am unteren Ende der Berner Altstadt liegt, Ziel von Besuchern. Eine Grossmutter steht mit ihrer Enkelin am Grabengeländer, das Mädchen ruft einem der drei Bären im vorderen Bärengehege zu: “Urs, Urs, bei Fuss”.

Der eine Bär, auf den Steinhügeln im Graben, bewegt sich lange kaum, dann dreht er langsam den Kopf, ganz in der Manier eines Paramount-Löwen. “Urs” aber sitzt nicht in diesem Gehege, Urs wohnt im zweiten, hinteren Graben – denn Urs ist das einzige Männchen. Hier hinten lehnt sich ein Geschäftsmann, ein Mäppchen unter den Arm geklemmt, über das Geländer und beobachtet den Braunbären. Urs sei sein Freund, erklärt der Geschäftsmann. Auf dem Weg zum Mittagessen komme er oft hier vorbei.

Auch der Bärenwärter Emil Hänni wird seinen Bärenfreunden treu bleiben. Die Route seines täglichen Spaziergangs mit seinem Hund werde ihn in Zukunft auch am Bärengraben vorbeiführen, lacht er.

Der sympathische Bärenwärter, der gerne Witzchen macht, ist nicht wie sonst auf den Beinen. Es sei ein seltsames Gefühl, sagt er im Gespräch mit swissinfo, zu wissen, dass heute sein letzter Arbeitstag im Bärengraben sei. Er habe eben nicht in einer Werkstatt gearbeitet, wo man einfach froh sei, wenn man in Pension gehe. “Ich werde die Tiere sehr vermissen, und ich glaube, auch sie werden mich vermissen”, sagt Hänni.

Mit dem Schoppen aufgezogen

Die Bären sind für Hänni wie Kinder. Im Wärterhäuschen hat es überall Abbildungen von Tieren und insbesondere Bären: In einem Regal steht ein altes GEO-Magazin mit einem Panda auf der Titelseite, an einer Wand hängt eine gerahmte Fotocollage “seiner” Bärengraben-Bären, mit Liebe zusammengestellt wie ein Familien-Fotoalbum.

Besonders ein Bär ist Hänni ans Herz gewachsen: Das Männchen Urs. 1977 hat Hänni das damals frischgeborene Bärenbaby selbst aufgezogen, nachdem es die Bärenmutter – es war bereits ihr 29. Bärenkind – nicht annehmen wollte.

Der Grabenwärter nahm den Ausgestossenen kurzerhand nach Hause, legte zusammen mit seiner Frau im Badezimmer Stroh und Wärmeflaschen bereit und päppelte den kleinen Bären auf. Er gab ihm den Schoppen, konsequent alle vier Stunden, rund um die Uhr. “Es ist ein Wunder, dass er überlebt hat”, erinnert sich der Bärenwärter, “er war schon ganz kalt, als ich ihn von der Mutter weggezogen habe”.

Auch der Name des Bären ist eine der vielen Geschichten, die Hänni zu erzählen weiss: Der Bärenwärter hat den heutigen Urs damals nämlich Freddy getauft, nach einem Freund von Hänni, dem Wirt eines Berner Traditionsrestaurants.

Immer ein Bär muss Urs heissen

Für den Bärenvater ist Urs auch immer der Freddy geblieben, obwohl er entsprechend einer Tradition später offiziell Urs heissen musste. “Es gibt eine Abmachung zwischen dem Kanton Bern und dem Kanton Solothurn, dass immer ein Bär im Bärengraben Urs heissen muss”, erläutert Hänni. Warum das so ist, weiss Hänni nicht. Vielleicht, weil Urs der Stadtheilige von Solothurn ist?

Seit 1976 arbeitet Emil Hänni im Bärengraben, gelernt hat er Maler. Zuvor war Hännis Vater der Wärter im Bärengraben. Und so hat Emil schon als Kind im Bärengraben mit angepackt.

Es war immer sein Wunsch gewesen, einmal die Bärenarbeit des Vaters zu übernehmen. Bevor er sich um die Stelle bewarb, war er deshalb vier Jahre Pfleger im Tierpark Dählhölzli.

Hänni ist letzter Bärenwärter von Bern

Der Stadtberner Tierpark wird nun auch die Pflege der Bären weiterführen, mehrere Tierpfleger werden sich die Arbeit teilen. Denn Emil Hänni ist der letzte vollamtliche Bärenwärter von Bern. Seine Stelle wurde aufgelöst.

Der Bärengraben, der wegen seinem beschränkten Auslauf und dem wenigen Licht, das zu den Tieren in den Graben hineinfällt, nicht unbestritten ist, soll nämlich in drei bis fünf Jahren durch einen “Bärenpark” ersetzt werden.

Dort, entlang der Aare, sollen die Bären einst Auslauf haben, in Höhlen wohnen und auch mal in der Aare ein Bad nehmen dürfen, so die Pläne.

Im Gespräch mit Emil Hänni merkt man immer wieder, dass ihm der Abschied schwer fällt. “Aber ich habe ein sehr gutes Verhältnis zu den Tierpflegern vom Dählhölzli”, freut sich der zukünftige Pensionär, und so werde er seine Bären wenigstens ab und zu aus nächster Nähe besuchen können.

Weder Rüebli noch Honig

Aber auch wenn Hänni vom Geländer herab die Bären ruft, kommen sie angetapst. Unterscheiden kann er die Tiere an der Musterung des Fells, aber auch an der Länge der Krallen.

Rüebli, übrigens, kriegen die Berner Bären schon lange keine mehr. In den dreieckigen Tüten, welche die Besucher bis jetzt immer bei Emil Hänni im Wärterhäuschen kaufen konnten, stecken frische Fruchtscheiben: vom Wärter eigenhändig geschnetzelte Kiwis, Äpfel und Feigen.

Und wenn Emil Hänni, der letzte Bärenwärter von Bern, eines nicht vermissen wird, dann die nicht immer einfachen Besucher, die auch mal ein Glas Honig in den Bärengraben hinunterleeren.

swissinfo, Anita Hugi

Die Stadt Bern ist nach dem Bär benannt.
Berchtold V. v. Zähringen erbaute Bern im Jahre 1191.
Die Stadt sollte, so berichtet die Sage, nach dem ersten Tier benannt werden, “so im Walde gevangen wurd. Nu ward des ersten ein ber gevangen”.
Seit Mitte 19. Jh. liegt der Bärengraben am unteren Ende der Altstadt.
Der Bärenplatz, der mitten in der Altstadt unmittelbar vor dem Bundeshaus liegt, zeugt von seinem früheren Standort.
Noch bis 2006 kann man die Bären am Bärengraben besuchen.

In Bern erinnert man sich vage an ominöse “Bären-Essen”. Daran habe er nie teilgenommen in seiner Zeit als Bärenwärter, sagt Hänni. Er könnte die Tiere, mit denen er tagtäglich zu tun habe, nie essen.

Dass es Bärenessen gab, ist aber kein Mythos. Die Regierung habe an diesen Essen jeweils teilgenommen, an denen man “überflüssige” Bären aus dem Bärengraben verspeiste, weiss Hänni. Bis in die 1980er Jahre habe es die “Bären-Metzgeten” gegeben. Das Bärenfleisch gab es auch in einigen Restaurants und bei zwei Metzgern.

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