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Der Nahost-Konflikt am Film-Festival Freiburg

"Jenin...Jenin" von Mohamed Bakri. (Bild: www.jeninjenin.com) وصفت العديد من منظمات حقوق الإنسان الدولية ما حدث في مخيم جنين في شهر أبريل 2002 بجرائم حرب.

Der palästinensische Film "Jenin...Jenin" sorgte in Freiburg für heisse Köpfe und hitzige Diskussionen. Jüdische Kreise bezeichnen ihn als Propaganda-Film.

Die Festival-Leitung nahm den umstrittenen Dokfilm trotz Protesten nicht aus dem Programm.

“‘Jenin…Jenin’ ist ein Propaganda-Film. Die Zeugen-Aussagen sind manipuliert und entsprechen nicht der Wahrheit”, sagt Vital Epelbaum am Montag an einer emotional, aber durchaus zivilisiert geführten Diskussion in Anschluss an die Aufführung des umstrittenen Films am Freiburger Festival.

“Die Grausamkeit in den besetzten Gebieten ist noch viel grösser als im Film”, entgegnet ein Teilnehmer der Diskussion.

“Die Araber lehren schon fünfjährigen Kindern den Hass gegen Juden”, erklärt Epelbaum. Er habe das in einem Flüchtlingslager in Gaza mit eigenen Augen gesehen.

“Der Hass muss den Kindern nicht gelehrt werden, der kommt ganz von alleine – beim Anblick ermordeter Eltern und demolierter Häuser”, erwidert eine Palästinenserin aus dem Publikum.

Schwieriger Brückenschlag

Dieser kurze Wortwechsel zeigt, wie schwierig die Diskussion und wie festgefahren die Fronten sind. Auch in Freiburg erweist sich ein Brückenschlag in der Nahost-Frage als unmöglich.

Vital Epelbaum hatte vor Beginn des Festivals darum gebeten, den umstrittenen Film aus dem Programm zu kippen, da es sich um einen Propaganda-Film mit manipulierten Interviews handle. Der Film schüre den Rassenhass und er fühle sich als Schweizer Jude angegriffen.

Der Protest von jüdischer Seite beschert dem Film ein grosses Publikums-Interesse. Das nehme er in Kauf, so Epelbaum. “Man muss im Leben seine Meinung, seinen Standpunkt verteidigen.”

Hass ist da

Der Film des arabischen Israeli Mohamed Bakri, der in Israel verboten ist, zeigt die Lage im Flüchtlingslager Jenin nach dem Einmarsch israelischer Truppen im April 2002.

Die Bilder dokumentieren eine enorme Zerstörung und Brutalität. Die Wut und Trauer der gefilmten Frauen, Männer und Kinder, ihre Ohnmacht und Verzweiflung gehen unter die Haut.

Klar ist in den Aussagen und Augen der verzweifelten Menschen auch Hass gegen die Besetzer zu spüren. Klar wird von den Juden gesprochen, die ihnen das Leben unerträglich machten. Dass die Interviews jedoch gefälscht sein sollen, dafür gibt es keine Anzeichen.

Das reife Publikum

Das Festival sieht sich erstmals in seiner langjährigen Geschichte mit einer solchen Forderung konfrontiert. “Wir waren sehr erstaunt über die Reaktion von Herrn Epelbaum und jüdischen Kreisen”, sagt Martial Knaebel, künstlerischer Leiter des Festivals, gegenüber swissinfo.

Die Leitung habe keinen Grund gesehen, den Film aus dem Programm zu streichen. “Das Festival wählt Filme aus und stellt sie zur Diskussion. Das Publikum hat die Möglichkeit, zu reagieren”, so Knaebel.

Zudem ist “Jenin…Jenin” nur ein Film unter vielen aus der Krisenregion im Nahen und Mittleren Osten: Auf dem Programm stehen mehrere aus Israel, Libanon und Palästina, aber auch “Forget Baghdad” des schweizerisch-irakischen Regisseurs Samir.

Der Krieg ist ein Thema

Die 17. Ausgabe des Freiburger Festivals finde in einer politisch äusserst dramatischen Zeit statt, sagt Martial Knaebel gegenüber swissinfo. “Die internationale Lage gibt uns eine grössere Verantwortung.”

Im Programm habe es aus diesem Grund eine ganze Reihe von Filmen, bei denen es um Opfer gehe; um Kriegsopfer, ob im Nahen Osten oder anderswo.

“Wir wollen nicht so sehr vom Krieg selber sprechen, sondern Filme über Opfer zeigen. Beim bevorstehenden Krieg sind nicht irakische Soldaten die ersten Opfer, sondern die Bevölkerung, Frauen, Männer, Kinder. An sie muss man zuerst denken.”

Zurück zur angeregten Diskussion um Jenin, denen diese Woche in Freiburg noch etliche folgen werden: Was genau in Jenin geschehen ist im April letzten Jahres, weiss weder Herr Epelbaum, noch wissen es die Diskussions-Teilnehmer und Festival-Besucherinnen in Freiburg. Ist doch bekanntlich die Wahrheit das erste Opfer eines jeden Krieges.

swissinfo, Gaby Ochsenbein in Freiburg

Die 17. Ausgabe des Internationalen Filmfestivals Freiburg dauert vom 16. bis 23. März 2003.
Gezeigt werden insgesamt 87 Filme aus 40 Ländern.
Neu ist ein Dokumentarfilm-Wettbewerb im Programm mit 10 Filmen aus 10 Ländern.
Um den “Regard d’Or” bewerben sich 11 Spielfilme aus 7 Ländern.
Die diesjährige Retrospektive ist dem Film-Musical gewidmet.

Der 53-minütige Film von Mohamed Bakri zeigt Menschen im Flüchtlingslager Jenin im Westjordanland vier Tage nach dem Angriff der israelischen Armee im April 2002.

Israel sprach von mehreren hundert Toten und Verletzten auf palästinensischer Seite. Auf israelischer Seite sollen 23 Soldaten getötet worden sein.

Palästinensische Quellen sprechen von einem Massaker mit 400 toten Palästinensern.

Internationale Organisationen warfen Israel schwere Menschenrechts-Verletzungen vor.

Am israelischen Fernsehen durfte der Film “Jenin…Jenin” nicht ausgestrahlt werden.

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