Schweizer Perspektiven in 10 Sprachen

Können Araber und Chinesen den Tourismus retten?

Keystone

Während Jahrzehnten konnten Schweizer Hotels und Ferienorte auf Besucher aus dem eigenen Land und Deutschland zählen. Jetzt kommen immer weniger Europäer. Können Touristen aus Schwellenländern das Loch stopfen?

An einem sonnigen, warmen Spätsommertag kann man sich leicht vorstellen, dass das verschlafene Weggis am Fuss des bekannten Berges Rigi und an den Gestaden des Vierwaldstättersees lange Zeit ein Magnet für europäische Sommertouristen war.

Mark Twain beschrieb Weggis als “entzückendsten Ort”. Hier spielt heute ein Trio von Musikern eine Bach-Suite, für ein knappes Dutzend ältere Zuhörerinnen und -hörer, die auf blauen und gelben Stühlen im Pavillon am See Platz genommen haben.

Auf den Tischen der Restaurantterrasse rascheln Papiertischtücher im sanften Seewind. Ein malerisches Bild, das jedoch getrübt wird: Es sind kaum Touristen da.

Weggis ist einer der vielen Schweizer Ferienorte, in denen sich die Zahl von Touristen aus den traditionellen europäischen Märkten im freien Fall befindet. Dies wegen der Wirtschafskrise in Europa und dem starken Schweizer Franken.

Der Anteil von Feriengästen aus Deutschland – bei weitem die grösste Gruppe ausländischer Touristen in der Schweiz – ist in den ersten sechs Monaten dieses Jahres im Vergleich zur Vorjahresperiode um 15% gesunken. Einen ähnlichen Rückgang gab es bei den britischen Feriengästen.

Hoffnung auf neue Märkte

Erfreulicher läuft es mit Besuchern aus Russland sowie Überseetouristen aus neuen Märkten wie den Golfstaaten, China und Indien. In den ersten acht Monaten 2012 schnellten die Hotelübernachtungen von Gästen aus den Golfstaaten um 24,7% in die Höhe, jene aus China stiegen um 26,5%, womit die chinesischen Touristen fast so zahlreich sind wie jene aus Indien, deren Anzahl ziemlich stabil blieb.

Tourismus-Vertreter setzen ihre Hoffnungen auf die Schwellenmärkte: Sie rechnen auch für nächstes Jahr mit einem Wachstum, und zwar um die 30%. Der Direktor von Schweiz Tourismus, Jürg Schmid, erklärte vor kurzem im SonntagsBlick, die chinesischen Touristen könnten die Zahl von Ferienbesuchern aus Nachbarländern wie Italien im Jahr 2013 übersteigen.

Das könnte sich jedoch als Wunschdenken erweisen angesichts der Tatsache, dass sich das Wachstum der chinesischen Wirtschaft zu verlangsamen beginnt.

Zudem beträgt das Verhältnis zwischen deutschen Touristen und jenen aus den Schwellenländern immer noch 2:1. Vielleicht verfolgen einige Schweizer Touristiker deshalb ein aktives Marketing in den neuen Märkten, während andere sich gleichgültig verhalten.

“Es hängt davon ab, wo das Hotel liegt”, sagt Stephan Maeder, Direktor des Hotel Carlton Europe in Interlaken und Präsident des Hotelier-Vereins Berner Oberland. “Hier in Interlaken ist die Veränderung des Marktes allgegenwärtig. Wenn man jedoch in die Lenk oder nach Gstaad geht, ist dies viel weniger der Fall.”

Andere Sitten und Gewohnheiten

Maeder nahm vor rund sechs Jahren das Eintreffen von Touristen aus Schwellenmärkten wahr. Seither haben sein Hotel und seine Mitarbeiter eine gewisse Anpassungsperiode durchlebt. Man musste lernen, wie man als Gastgeber diese neue Kundschaft auf akzeptable Art und Weise für alle zu bedienen hat.

“Der Umgang mit dem religiösen Element ist wahrscheinlich das Schwierigste… In der Hotellobby fragen sie mich, in welcher Richtung Mekka liege und beten dann auf dem Teppich. Natürlich mag dies anderen Gästen ein bisschen seltsam erscheinen.” Auch Diätvorgaben, Bekleidung und persönliche Hygienegewohnheiten könnten problematisch sein, betont Maeder.

Der Hoteldirektor erwähnt das Beispiel von Gästen, die es gewohnt sind, vor dem Einstieg in die Badewanne eine Dusche zu nehmen. Weil die Badzimmer im Schweizer Stil in seinem hundert Jahre alten Hotel keine separaten Duschen haben, benutzen die Gäste den Duschschlauch des Bades ausserhalb der Wanne, bevor sie in diese steigen. Das führe fast immer zu Überschwemmungen, weil die Badzimmer ausserhalb der Wanne keinen Ablauf hätten, so Maeder.

Um diesen Ansprüchen der Kundschaft Rechnung zu tragen, plant Maeder einen Ausbau des Hotels. “Jetzt diskutieren wir über Klimaanlagen, weil besonders die Araber, aber auch die Inder, sobald wir über 20 Grad haben, nach Air Conditioning verlangen, was nicht sehr alltäglich ist in Berner Oberländer Ferienorten.”

Was die Leute wollen

Hier in Weggis haben die von swissinfo.ch befragten Hoteliers allerdings nicht dieselben Probleme. Sie sagen, sie würden zwar “einige” neue Feriengäste sehen, doch die grösste Veränderung sei der Rückgang von europäischen Touristen.

“Wir sehen viel weniger Europäer, wie etwa Holländer oder Belgier oder Gäste aus den skandinavischen Ländern, die im Sommer auf der Durchreise mit dem Auto nach Italien bei uns vorbei kommen”, sagt Sabine Koch. Sie leitet zusammen mit ihrem Mann das Hotel Schweizerhof in Weggis.

“Auch wenn sie bis zu ihrer Feriendestination über 20 Stunden im Auto sind, fahren sie wegen der hohen Preise bei uns direkt nach Italien weiter.”

Urs-Peter Geering, Direktor des Hotel Beau-Rivage, erklärt, obwohl der chinesische Markt wachse, sei er “nicht gross”. Und mit 39 Zimmern könne sein Hotel keine grossen asiatischen Tourismusgruppen aufnehmen.

“Die Chinesen sind lediglich auf Schweizer Tour und übernachten meistens ein- oder zweimal in der Region Luzern. Und dann gehen sie in Luzern auf Shoppingtour – Uhren-Shopping”, so Geering.

Sowohl für Urs-Peter Geering wie auch für Sabine Koch bleiben Feriengäste aus Europa und besonders aus der Schweiz weiterhin die wichtigste Zielgruppe. Stephan Maeder bestätigt die Einschätzung, dass Touristen aus neuen Märkten sehr unterschiedliche Bedürfnisse und Erwartungen von einem Besuch in der Schweiz hätten, der oft nur eine Station auf einer Europatour durch mehrere Länder sei.

Shoppen statt Skifahren

Während indische und arabische Gäste eher ein bisschen mehr für Hotelaufenthalt und Ausflüge ausgäben, seien die Chinesen mehr am Kauf von Schweizer Luxusprodukten interessiert, sagt Maeder.

“Wenn man den bisherigen chinesischen Markt anschaut, dann kommen die Gäste nicht wirklich wegen eines schönen Hotels in die Schweiz, sondern um eine Uhr zu kaufen. Und so lange die Steuern auf Luxusgüter in China viel höher sind als in der Schweiz, wird der Markt so bleiben”, sagt Maeder. “Vom chinesischen Markt, auch wenn er wächst, können Schweizer Hotels nicht überleben.”

Geering seinerseits betont, er plane nicht, sein Marketing auf asiatische oder arabische Touristen auszurichten. “Denn wir betrachten den Schweizer und europäischen Markt als wichtiger, das ist unsere Kundschaft, die hier Ferien verbringt. Der Schweizer Tourismusmarkt ist immer noch okay.”

Und trotz des Booms in Interlaken sagt Maeder: “Für den kommenden Winter habe ich Sorgen, weil die neuen Märkte, über die wir sprechen, keine Skitouristen bringen.”

Logiernächte nach Regionen, Januar-Juni 2012

Graubünden: 2011 2,9 Mio., 2012 2,7 Mio. (-7,6%)

Wallis: 2011 2,2 Mio., 2012 2,02 Mio. (-6,9%)

Berner Oberland: 2011 1,8 Mio., 2012 1,67 Mio. (-5,7%)

Genfersee-Region (Kanton Waadt): 2011 1,26 Mio., 2012 1,21 Mio. (-3,5%)

Tessin: 2011 1,01 Mio., 2012 938’000 (-7%)

Jura und Dreiseen-Region: 2011 333’076, 2012 343’523 (+3,1%)

Freiburg: 2011 191’367, 2012 210’325 (+9,9%)

Logiernächte nach Nationalitäten, Januar-Juni 2012

Deutschland: 2011 2,74 Mio., 2012 2,33 Mio. (-15,1%)

Grossbritannien: 2011 922’000, 2012 817’000 (-11,4%)

Frankreich: 2011 704’000, 2012 670’000 (-4,8%)

Niederlande: 2011 439’000, 2012 367’000 (-16,3%)

Russland: 2011 292’000, 2012 311’000 (+6,5%)

Indien: 2011 272’000, 2012 283’000 (+4,3%)

China (exklusive Hongkong): 2011 222’000, 2012 282’000 (+26,6%)

Golfstaaten: 2011 144’000, 2012 203’000 (+40,6%)

Japan: 2011 167’000, 2012 181’000 (+8,2%)

(Quelle: Bundesamt für Statistik)

Das Schweizer Gastgewerbe arbeitet daran, sich den Bedürfnissen von Gästen aus unterschiedlichen Weltregionen anzupassen. Schweiz Tourismus und Hotelleriesuisse haben kürzlich für Hotels und Restaurants ein Informationspaket mit Empfehlungen für den Umgang mit chinesischen Gästen zusammengestellt.

Einige der “Dos und Don’ts” für Schweizer Dienstleister:

• Chinesen verbringen ihre Freizeit gerne in einer Gruppe: Berücksichtigen Sie dies bei der Freizeitgestaltung während der Reise.

• Geben Sie Ihren chinesischen Gästen nach Möglichkeit kein Zimmer im 4. Stock oder Zimmer mit Nummern, die eine 4 enthalten (4, 14, 24, 34 usw.), denn diese Zahl wird mit Unglück oder gar dem Tod in Verbindung gebracht. Zimmernummern mit einer 6, 8 oder 9 sowie Zimmer auf dem 6., 8. oder 9. Stock gelten hingegen als glücksbringend.

• Geben Sie Ihren chinesischen Gästen ein Zimmer mit zwei Einzelbetten: Die Mitglieder einer Reisegruppe kennen sich normalerweise vor dem Reiseantritt nicht.

• Chinesen trinken heissen Tee oder heisses Wasser zu jeder Tages- und Nachtzeit: Stellen Sie den Gästen einen elektrischen Wasserkocher oder eine Thermosflasche mit heissem Wasser zur Verfügung sowie Gratistee und -kaffee. Heisses Wasser und Tee werden üblicherweise und kostenfrei auch zum Mittag- und Abendessen gereicht.

• Die Chinesen sind Last-Minute-Touristen: Reisen werden nicht geplant und man wartet nicht gern. Reagieren Sie rasch und flexibel auf Vorschläge Ihrer chinesischen Gäste und bieten Sie schnellen Service.

• Chinesen sind Schnellesser: Versuchen Sie, die Speisen gleichzeitig aufzutragen, und verstehen Sie es nicht als mangelnden Respekt, wenn sich Chinesen vom Tisch erheben, kaum dass sie die Gabel (respektive die Stäbchen) hingelegt haben.

(Übertragung aus dem Englischen: Jean-Michel Berthoud)

In Übereinstimmung mit den JTI-Standards

Mehr: JTI-Zertifizierung von SWI swissinfo.ch

Einen Überblick über die laufenden Debatten mit unseren Journalisten finden Sie hier. Machen Sie mit!

Wenn Sie eine Debatte über ein in diesem Artikel angesprochenes Thema beginnen oder sachliche Fehler melden möchten, senden Sie uns bitte eine E-Mail an german@swissinfo.ch

SWI swissinfo.ch - Zweigniederlassung der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft

SWI swissinfo.ch - Zweigniederlassung der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft