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Deutsche in der Schweiz: Zündstoff oder heisse Luft?

Networking-Treffen des Swiss German Clubs Zentralschweiz im Hotel Kreuz in Sachseln, Kanton Obwalden. Keystone

Gut 250'000 Deutsche leben in der Schweiz. Glaubt man den Medien, dann sind sie nicht willkommen. Eine Umfrage unter Schweizern und Deutschen in der Schweiz zeigt nun, dass die so genannte Germanophobie ein Produkt von Medien und SVP ist.

707 Personen haben an der zweiwöchigen Umfrage auf www.schweizbuch.de teilgenommen, ein Drittel Schweizer, zwei Drittel Deutsche aus der Schweiz. Hinter der Umfrage steht Jörn Lacour. Er ist Autor des Buches “Deutsche in der Schweiz”.

Während seiner Recherchen für das Buch und durch die 350 Interviews, die er dabei geführt hat, bekam er den Eindruck, das Zusammenleben zwischen Schweizern und Deutschen klappe eigentlich ganz gut. Dieser Eindruck entsprach ganz und gar nicht dem, was in den Medien stand.

Diese Diskrepanz motivierte ihn zur Umfrage über eine allfällige Deutschenfeindlichkeit in der Schweiz. Die Deutschen-Hetze in Medien und Parteikampagnen findet Lacour bedenklich und gefährlich.

Die Umfrage sei zwar nicht repräsentativ, gebe aber einen Hinweis darauf, was die Leute wirklich denken.

swissinfo.ch: Wie steht es um das Zusammenleben zwischen Deutschen und Schweizern in der Schweiz? Gibt es eine Germanophobie? Oder ist das Ganze ein Medienhype?

Jörn Lacour: Selbstverständlich gibt es die Wurzeln dieses Medienhypes. Es gibt einen Unterschied zwischen Deutschen und Schweizern und auch Punkte, wo Deutsche und Schweizer anecken. Auch im persönlichen Miteinander.

Dann gibt es den Überbau der Medien, die einen glauben lassen, dass etwas so sei. Und sie behaupten dies solange, bis man glaubt, es sei so. So funktioniert auch die Schweizerische Volkspartei SVP mit ihren Kampagnen.

swissinfo.ch: Wie steht es ums Zusammenleben im Alltag: Ist da eine Anti-Deutsche-Stimmung vorhanden?

J.L.: Das ist schwierig zu sagen. Es kommt auf den Einzelfall an. Da kann ich aus den Erfahrungen meiner Interviewpartner berichten, von denen viele sagten: “So wie man in den Wald hinein ruft, kommt es auch wieder heraus.”

Wenn man sich als Ostwestfale nicht bewusst ist, dass beim Bäcker “Zwei Brötchen!” nicht ausreicht, muss man sich nicht wundern, wenn man komisch angeguckt wird. Man ist schliesslich in einem anderen Land.

Aber ich glaube nicht, dass es grundsätzlich so ist, dass die Schweizer ein unfreundliches Volk sind und jeden schief anschauen, der deutsch ist.

Ich glaube auch nicht, dass es eine grundsätzliche Deutschen-Feindlichkeit oder eine Aversion im Alltag gibt.

swissinfo.ch: Ein Viertel der befragten Deutschen sieht die Gründe für die Ablehnung gegenüber Deutschen in ihrem eigenen Verhalten, jeder dritte Schweizer stimmt ihnen zu. Was machen die Deutschen falsch?

J.L.: Das kommt auf die Sichtweise an. Aus der Sicht eines Deutschen macht man bestimmt nichts falsch, wenn man sich so gibt, wie man ist.

Aus Sicht eines Schweizers wohl schon. Genauso wie man einen Schweizer in Deutschland nicht verstehen kann, weil der Schweizer an sich – ich behaupte das nun einfach so – mehr die Diplomatie sucht, mehr durch die Blume spricht und nicht direkt sagt, was er will.

Da aber ein Viertel der deutschen Umfrage-Teilnehmer der Meinung ist, die Deutschen seien selber schuld, wird wohl was dran sein. Man muss sich halt schon bewusst sein, dass die Schweizer etwas anders miteinander umgehen.

swissinfo.ch: Braucht es also Integrationskurse? 7% der befragten Schweizer befürworten dies, rund 40% halten es für sinnvoll.

J.L.: Ich denke schon. Zumindest wäre es eine Möglichkeit, damit die Deutschen, die in die Schweiz kommen, sich bewusst werden, worauf man in der Schweiz im Umgang miteinander Wert legt.

Wirklich notwendig, im Sinne von, die Deutschen müssten erst mal lernen, wie der Schweizer tickt, so denken nicht einmal 10%.

swissinfo.ch: Zürich hat am meisten Deutsche: Ist die Stimmung in Zürich anders als in der übrigen Deutschschweiz?

J.L.: Das habe ich versucht, herauszufinden, weil ja die Deutschen geballt in Zürich leben und dort die Stimmung, wie in den Medien behauptet wird, besonders gereizt ist.

Aber ich sehe keine, oder wenn nur minimale Unterschiede in der Wahrnehmung von Schweizern, die im Kanton Zürich leben.

Eine Sache ist mir aufgefallen: Nämlich, dass die oft negative Berichterstattung über die Deutschen den Schweizern ausserhalb Zürichs mehr auffällt als jenen innerhalb von Zürich. Die Zürcher scheinen sich also schon damit abgefunden zu haben, dass es eine Germanophobie gibt.

swissinfo.ch: Für die Schweizer Wirtschaft sind die deutschen Arbeitskräfte wichtig, findet eine Mehrheit der befragten Schweizer. Trotzdem sind die Deutschen nicht überall beliebt. Heisst das jetzt, etwas provokativ gefragt: Arbeiten dürfen sie hier, aber bitte diskret und undeutsch?

J.L.: Ich glaube nicht, dass das so ist. Den Schweizern ist schon klar, dass sie die Deutschen als Wirtschaftsfaktor brauchen. Vielleicht müssen Schweizer lernen, dass Globalisierung keine Einbahnstrasse ist.

swissinfo.ch: Welches ist die Quintessenz dieser Umfrage, und hat Sie beim Ergebnis etwas erstaunt?

J.L.: Erstaunt hat mich eigentlich, dass meine Prognose bestätigt wurde. Denn viele der Befragten teilen meine Meinung, dass Vieles in den Medien steht, was das Volk gar nicht denkt.

Die Medien, sowohl schweizerische wie deutsche, machen da etwas sehr gross, was eigentlich gar nicht so gross ist. Aber dadurch, dass sie es machen, wird es gefährlich. Das ist die Quintessenz daraus.

Die Deutschen und die Schweizer in der Schweiz halten das, was von den Medien und der SVP angestellt wird, nicht für einen Witz oder für belanglos, sondern durchaus für bedenklich und gefährlich. ielleicht hilft diese Umfrage auch, dass man bei Ringier oder sonst wo etwas differenzierter darüber nachdenkt, was man so alles in die Welt blasen darf.

swissinfo.ch: Welche Gefahr sehen Sie denn, wenn diese Deutschen-Hetze in den Medien und mit Parteikampagnen fortgesetzt wird?

J.L.: Es wird halt so lange etwas behauptet, bis es wirklich stimmt. Es wird solange erzählt, die Deutschen seien arrogant und müssten aus dem Land, bis die ersten Deutschen mal verprügelt werden.

Gaby Ochsenbein, swissinfo.ch

75% der Befragten finden, das Thema “Deutsche in der Schweiz” sei in den Medien zu präsent.

Nur 20% der Schweizer und 10% der Deutschen halten die Medienpräsenz für angemessen.

Eine deutschen-kritische Berichterstattung bemerken 75% der im Kanton Zürich lebenden Schweizer, ausserhalb Zürichs sind es sogar 90%.

In ihrem eigenen realen Umfeld und im täglichen Miteinander bemerken die befragten Schweizer zu 50% keinerlei kritische Haltung gegenüber Deutschen.

Bei den Deutschen sind es 60%, die von einer Anti-Deutschen Stimmung persönlich nichts bemerken.

Ein Viertel aller Befragten gibt jedoch an, sich von einer kritischen Haltung gegen Deutsche auch im privaten Umfeld mittlerweile gestört zu fühlen.

Ein Drittel sieht die Ablehnung gegen Deutsche als Ergebnis von Medienberichten.

Ein Viertel aller Befragten sieht die Schuld für eine ablehnende Haltung gegenüber Deutschen bei Parteikampagnen.

Ein Viertel der befragten Deutschen sieht die Gründe im Verhalten der Deutschen selbst.

Integrationskurse für Deutsche halten nur 7% der befragten Schweizer für notwendig.

Jörn Lacour, 1967, wohnhaft in Minden, Nordrhein-Westfalen, ist freier Journalist.

Er ist auch der Autor des Buches “Deutsche in der Schweiz – vom Leben und Arbeiten im Nachbarland, Geschichten und Tipps”, erschienen 2010 bei Lektora, Paderborn.

Er führte in der ersten Hälfte April 2010 die Umfrage zum Thema “Deutsche in der Schweiz – was ist dran an der Deutschfeindlichkeit der Schweizer” durch.

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