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Deutschland will EU-weite Haushaltssanierung

BERLIN (awp international) – Deutschland will als Konsequenz aus der Euro-Krise eine europaweite Sanierung der Staatsfinanzen durchsetzen. «Das eigentliche Problem sind insbesondere die hohen Haushaltsdefizite in den Euro-Ländern», sagte Kanzlerin Angela Merkel (CDU) zur Begründung. Deutschland bestehe darauf, das Problem bei der Wurzel anzupacken. Nötig sei auch eine europaweit stärker verzahnte Haushalts- und Wirtschaftspolitik.
Zwischen Regierung und Opposition ging das Tauziehen um die von SPD, Grünen und Linken geforderte Finanztransaktionssteuer zur Eindämmung von Spekulationen weiter. Im Gegensatz zu CDU und FDP sprach sich CSU-Chef Horst Seehofer für eine solche Steuer «ohne wenn und aber» aus.
Merkel sieht im 750-Milliarden-Euro-Rettungsschirm nur einen ersten Schritt zur Stabilisierung der Gemeinschaftswährung. Die Länder müssten ihre Finanzen in Ordnung bringen und sich um eine bessere Wettbewerbsfähigkeit bemühen, sagte sie der «Süddeutschen Zeitung» (Samstag). Bei der Verzahnung der Haushalts- und Wirtschaftspolitik «dürfen nicht die Schwächsten die Entschiedenheit bestimmen, sondern die Stärksten, damit es gelingen kann». Deutschland werde sich weiterhin international für eine angemessene Beteiligung des Bankensektors an der Krisenbewältigung einsetzen.
Die Kanzlerin kündigte an, bei der EU-Finanzministerkonferenz am Dienstag werde über die Regulierung der Hedgefonds entschieden. Zusammen mit dem französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy habe sie sich bei der EU-Kommission für eine rasche Regulierung für hochspekulativer Derivate und Leerverkäufe eingesetzt. Notwendig sei aber auch, dass die Amerikaner mitzögen. Es helfe im Kampf gegen die Auswüchse an den Finanzmärkten nichts, «wenn in Chicago oder New York weiter spekuliert wird».
Die Bundesregierung will nach einem «Spiegel»-Bericht eine Initiative für ein europaweit abgestimmtes Konsolidierungsprogramm in der Euro-Zone starten. Damit solle das Vertrauen in den Euro wieder hergestellt werden. Die «Wirtschaftswoche» berichtet über einen ihr vorliegenden Zwölf-Punkte-Plan des Finanzministeriums, in dem unter anderem ein fester Krisenbewältigungsrahmen für die Euro-Zone verlangt wird. Zudem müsse es eine Überwachung der Nationalstaaten durch einen «Kreis unabhängiger Forschungsinstitute, bis hin zur Einrichtung eines Europäischen Sachverständigenrates» geben.
Der Gesetzentwurf der Bundesregierung für den Euro-Rettungsschirm soll am Mittwoch im Bundestag eingebracht werden. An diesem Tag ist auch eine Regierungserklärung Merkels geplant. Nach Angaben aus Regierungskreisen vom Sonntag geht die Bundesregierung davon aus, dass am Freitag im Parlament über das Euro-Rettungs-Gesetz abgestimmt werden kann. Ob es am gleichen Tag bei einer Sondersitzung auch vom Bundesrat gebilligt wird, ist offen. In der Regierung würden aber keine Probleme gesehen, falls sich die Länderkammer erst bei ihrer nächsten ordnungsgemässen Sitzung am 4. Juni mit dem Thema befasst.
SPD-Chef Sigmar Gabriel bot der Regierung Zusammenarbeit beim Euro-Rettungspaket an. «Die SPD ist zu einem parteiübergreifenden Konsens bereit, es darf nur kein Nonsens sein», sagte er der «Hannoverschen Allgemeinen Zeitung» (Samstag). Merkel sagte auf dem DGB-Bundeskongress in Berlin zu den Oppositionsforderungen aber, eine Finanztransaktionssteuer sei nur sinnvoll, wenn sie international eingeführt wird.
Der FDP-Vorsitzende Guido Westerwelle äusserte sich im «Focus» erneut skeptisch über eine Steuer auf Finanztransaktionen. Trotzdem habe die FDP zugestimmt, dass dieses Instrument in der EU noch einmal geprüft werde. «Die Bundesregierung ist absolut gesprächsbereit», sagte er mit Blick auf die SPD. «Aber es macht keinen Sinn, etwas zu beschliessen, das nicht durchsetzbar ist oder wo Zweifel überwiegen, ob es etwas bringt.» Der schleswig-holsteinische FDP-Fraktionschef Wolfgang Kubicki sprach sich in der Zeitung «Die Welt» (Montag) entgegen der Parteilinie für eine zeitlich begrenzte Besteuerung von Finanztransaktionen aus.
CSU-Chef Seehofer befürwortete eine solche Steuer dagegen in der ZDF-Sendung «Berlin direkt» ohne jegliche Abstriche. «Denn wir müssen diese Branche, die Finanzbranche insgesamt, der wir ja zum grossen Teil diese Wirtschafts- und Finanzkrise leider zu verdanken haben, bei der Bewältigung der Kosten auch heranziehen», sagte er zur Begründung. «Das ist meine feste Überzeugung.» Dagegen hatte sich zuvor der Vorsitzende der CSU-Mittelstands-Union, Hans Michelbach, noch skeptisch gezeigt. Die Steuer sei kein wirksames Mittel im Kampf gegen schädliche Spekulationen.
Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) forderte, gesetzliche Massnahmen zur Finanzmarktregulierung einzuleiten – notfalls im Alleingang und ohne eine EU-Einigung abzuwarten. Das solle parallel zur Beschlussfassung über das Euro-Stabilisierungspaket geschehen. Der «Frankfurter Allgemeinen Zeitung» (Montag) sagte er, es sei ein Ärgernis, dass die schon bei den früheren Paketen versprochene Regelung noch nicht auf den Weg gebracht sei.
Der Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), Michael Sommer, forderte Merkel beim DGB-Bundeskongress auf, deutlich zu machen, wie sie künftig «dem Angriffskrieg der Hedgefonds dauerhaft den Garaus machen» will. Ein wenig die Märkte zu beruhigen, reiche nicht aus. Sommer verlangte eine «wirkungsvolle Steuer auf alle Finanztransaktionen»./bk/DP/nmu

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