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Die Ehe für alle auf dem Prüfstand

Die LGBTIQ-Gemeinschaft trug ihre Forderungen im September bei verschiedenen Pride-Veranstaltungen auf die Strasse, wie hier in Genf. Keystone / Salvatore Di Nolfi

Dürfen gleichgeschlechtliche Paare in der Schweiz heiraten? Und sollten die Reichsten stärker besteuert werden, um die Ärmsten zu unterstützen? An diesem Wochenende geht das Schweizer Stimmvolk an die Urne, um diese beiden Fragen zu beantworten.

Die Ergebnisse der Umfragen vor der Abstimmung am 26. September lassen wenig Raum für Spannung: Nach den meisten westeuropäischen Ländern werden die Schweizer Stimmberechtigten am Sonntag den gleichgeschlechtlichen Paaren höchstwahrscheinlich das Recht auf eine Eheschliessung gewähren.

Laut der letzten Umfrage der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft (SRG) vom September sprachen sich fast 63% der befragten Personen für das Gesetzesprojekt aus.

Die Bürgerinnen und Bürger werden über eine Änderung des ZivilgesetzbuchsExterner Link abstimmen, welche die Ehe zwischen zwei Frauen oder zwei Männern legalisieren soll. Heute können gleichgeschlechtliche Paare nur eine eingetragene Partnerschaft eingehen. Jedes Jahr lassen rund 700 Paare ihren Bund auf diese Weise anerkennen.

Eingetragene Lebenspartnerinnen und -partner haben in vielerlei Hinsicht die gleichen Rechte und Pflichten wie Verheiratete. So können sie beispielsweise einen gemeinsamen Namen wählen, sind im Fall der Beendigung eines Mietverhältnisses geschützt und erhalten einen Anteil am Erbe oder an der Altersrente ihrer Ehepartnerin oder ihres Ehepartners. Seit 2018 können auch gleichgeschlechtliche Paare das Kind des Partners, der Partnerin adoptieren.

Gleichheit oder Tradition?

Was wird sich mit der Ehe für alle in der Praxis ändern? Bei einem Ja können auch verheiratete homosexuelle Paare gemeinsam ein Kind adoptieren. Stammt eine der Personen aus dem Ausland, so kann diese von einem kürzeren und weniger kostspieligen Einbürgerungsverfahren profitieren.

Verheiratete Frauenpaare sollen in der Schweiz Zugang zur Samenspende haben. Da die Schweizer Gesetzgebung eine anonyme Spende verbietet, wird das Kind im Alter von 18 Jahren die Identität des Spenders erfahren können, und beide Frauen sollen von Geburt an als Mütter anerkannt werden. Wenn sie jedoch eine Samenbank im Ausland nutzen – wie dies einige Paare heute schon tun –, wird nur die biologische Mutter anerkannt.

Wie in den meisten europäischen Ländern soll die Leihmutterschaft oder die Eizellenspende verboten bleiben. Männlichen Paaren soll es nicht gestattet werden, eine Leihmutter einzusetzen.

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Die Schweiz entscheidet über die Zukunft der Ehe

Dieser Inhalt wurde am veröffentlicht Am 26. September entscheidet das Schweizer Stimmvolk, ob es Homosexuellen das Recht auf Heirat und Familiengründung zugestehen will.

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Für die Befürworterinnen und Befürworter der Ehe für alle geht es vor allem um die Gleichstellung aller Paare. Sie wollen auch einen besseren Rechtsschutz für die Tausenden von Kindern, die in der Schweiz bereits mit zwei Müttern oder zwei Vätern leben.

Die Gegnerinnen und Gegner des Projekts stossen sich besonders am Zugang zur medizinisch unterstützten Fortpflanzung für weibliche Paare. Sie sind der Meinung, dass diese Möglichkeit dem Kindswohl zuwiderläuft. Zudem verteidigen sie die traditionelle Stellung der Ehe in unserer Gesellschaft.

99%-Initiative wohl chancenlos

Die Schweizerinnen und Schweizer stimmen am Sonntag auch über die Volksinitiative “Löhne entlasten, Kapital gerecht besteuern”Externer Link ab, besser bekannt als “99%-Initiative”.

Die von den Jungsozialistinnen und -sozialisten Schweiz (JUSO) lancierte Forderung ist ein Versuch, die Ungleichheiten bei der Verteilung von Vermögen und Einkommen in der Schweiz zu bekämpfen.

Die Initiative schlägt eine 150-prozentige Besteuerung von Kapitaleinkünften vor, die einen bestimmten Betrag überschreiten (die JUSO nennt einen Schwellenwert von 100’000 Schweizer Franken).

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Die reiche Elite der Schweiz im Visier

Dieser Inhalt wurde am veröffentlicht Ein Vorschlag der Linken für eine neue Steuer soll die wachsende wirtschaftliche Ungleichheit in der Gesellschaft bekämpfen.

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Die Befürworterinnen und Befürworter der Initiative behaupten, ihr Vorschlag sei ein Schritt zu mehr Gleichheit. Würde sie von Volk und Kantonen angenommen, käme sie der überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung zugute. Zum Beispiel durch tiefere Kosten für Krankenkassen-Prämien, Kinderbetreuung und öffentlichen Verkehr.

Das Nein-Lager hält diese Vorschläge für nicht notwendig, da sie der Wirtschaft und der Wettbewerbsfähigkeit der Schweiz schaden und nicht zu einer besseren Umverteilung des Reichtums führen würden. Es weist auch darauf hin, dass die potenziellen finanziellen Auswirkungen der Initiative nicht vorhersehbar seien.

Die Initiative hat kaum Chancen, angenommen zu werden, wie die letzte SRG-Umfrage zeigt: Anfang September sprachen sich 57% der Befragten gegen den Vorschlag aus, während nur 37% dafür waren.

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(Übertragung aus dem Französischen: Christian Raaflaub)

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