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Die Geschichte bewahren

Der Musik-Experte Asyan Kaybildaev und seine Frau. swissinfo.ch

Die Geschichte Kirgisistans stehe nicht in Büchern, sondern sei in 2000 Volksliedern enthalten. Das sagt ein Mann, der sein Leben dem heimischen Liedgut widmet.

Dank Schweizer Hilfe kann er sein Wissen der Nachwelt überliefern.

Der Nationalheld Kirgisistans heisst Manas. In der Hauptstadt Bischek ist er allgegenwärtig: Flughafen, Universität, Strassen, Restaurants und Geschäfte sind nach ihm benannt.

Die Legenden um die Person, die durch ihren aufopfernden Kampf das Land vereint hat, sind in unzähligen Büchern festgehalten. Mehr als 500’000 Schriftstücke befassen sich mit ihm.

Mund-zu-Mund-Geschichte

“Doch bis zu Beginn des letzten Jahrhunderts gab es keinerlei schriftliche Dokumente”, gibt Asan Kaybildaev zu bedenken. “Die Legenden wurden nur mündlich überliefert und von unzähligen Liedern begleitet, die diesem Helden Leben und Farbe einhauchten.”

Der vitale 75-Jährige ist Philologe und Experte der kirgisischen Sprache. Mit der Überlieferung des Liedguts beschäftigt er sich seit langem. Zuerst als Wissenschaftler, dann als Radiojournalist und schliesslich als Schriftsteller.

“Noch zu meiner Jugendzeit reisten Sänger von Ort zu Ort, um von Manas oder anderen Protagonisten unserer Vergangenheit zu singen. Sie spielten und sangen rund um die Uhr, Tag und Nacht.”

Zwischen Lenin und Stalin

Wir treffen Kaybildaev in seinem Wohnhaus in Baitik, einem Dorf nahe Bischek. Vor uns liegt eine dürre und unwirtliche Steppenlandschaft. Am Horizont sieht man die schneebedeckten Gipfel der Berge.

Kaybildaev begrüsst uns voller Enthusiasmus. Er stellt seinen Rechen in die Ecke und streckt uns die Hand entgegen. Er kann es nicht erwarten, von seiner Leidenschaft zu erzählen.

Sein Büro ist winzig, voll von Büchern, Bildern und Zetteln in kyrillischer Schrift. Hier befindet sich sein Lebenswerk. Unter dem Schreibtisch stehen ein Paar ausgetretene Hausschuhe und ein Ofen für den Winter.

Unzählige Fotos von ihm stehen auf einem Regal. Darunter auch Fotos von zwei historisch wichtigen Persönlichkeiten: Lenin und Stalin. Für beide hegt der Musikwissenschaftler bis heute grosse Bewunderung. “Wenn wir vergessen, was die Sowjets für dieses Land gemacht haben, können wir auch Gott vergessen!”, meint er.

Das Schweizer Mandat

Ab und zu gibt der alte Mann merkwürdige Laute von sich. Er hört auf zu reden, räuspert sich und meint dann entschuldigend: “Wissen Sie, ich habe Herzprobleme…”

Er zeigt ein Buch. “Dieses habe ich im Jahr 2000 herausgegeben. Und es wurde als bestes kirgisisches Buch des Jahres ausgezeichnet”, sagt er stolz. “In diesem Buch habe ich die Geschichte von 80 kirgisischen Volksliedern rekonstruiert. In diesen Liedern verbirgt sich ein Teil unserer Geschichte.”

Unter den besungenen Helden befindet sich natürlich Manas, aber beispielsweise auch der mythische Dschingis Kahn, den seine Eroberungszüge auch durch diesen Teil der Welt führten. “Als Unterstützung zum Erhalt unserer Kultur und Sprache sollte es eigentlich in Englisch übersetzt werden”, meint Kaybildaev.

Das Buch war der Auslöser für die Zusammenarbeit der Direktion für Enwicklung und Zusammenarbeit (DEZA). “Ich wurde von der Schweiz kontaktiert, um ein Handbuch über die traditionellen kirgisischen Instrumente zu schreiben. Ich habe natürlich dankbar angenommen”, erinnert sich der Musikwissenschaftler.

Inzwischen wird das Handbuch, das einen Beitrag zur kirgischen Kultur und nationalen Identität darstellt, von der DEZA in Bischek an Interessierte abgegeben, vor allem an Musikstudenten und Wissenschaftler.

Die Melodie der Geschichte

“Spiel etwas für uns”, fragen wir Kaybildaev am Ende unseres Besuchs. Sein Gesicht hellt sich auf – er hat offenbar nichts anderes erwartet.

Er verschwindet für einen Moment, um seine besten Kleider anzuziehen. Er erscheint kurz darauf wie ein Sultan. Dann nimmt er seine Komuz, eine dreisaitige Gitarre, stimmt geübt die drei Seiten, und erzählt singend von der Flucht von Manas’ Ehefrau, nachdem der Held gestorben war. Seine Erzählung setzt sich aus Noten, Klängen und Akkorden zusammen – nicht aus Wörtern.

swissinfo, Marzio Pescia und Jean-Didier Revoin, Bischek
(Übertragen aus dem Italienischen von Gerhard Lob)

Der finanzielle Umfang dieses Deza-Projekt ist eher gering: 200 Dollar für ein 30-tägiges Mandat
Ziel: Förderung der lokalen Kultur, Musik und Identität.

Der kirgisiche Philologe und Musikwissenschaftler Asan Kaybildaev hat sein ganzes Leben dem Studium der kirgisischen Volksmusik gewidmet. Das Liedgut birgt seiner Meinung nach die Geschichte seines Volkes.

Vor drei Jahren publizierte er ein Buch, das die Geschichte von 80 kirgisischen Volksliedern rekonstruiert. Der Band wurde zum “Buch des Jahres” in Kirgisistan gewählt.

Die DEZA hat den Wissenschaftler damit beauftragt, ein Handbuch zu den traditionellen kirgisischen Musikinstrumenten zu schreiben.

Unter den beschriebenen Instrumenten befindet sich auch die Komuz, eine dreisaitige Gitarre, die der Autor selber spielt, seit er acht Jahre alt ist.

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