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Die grosse Erleichterung nach dem Albtraum

Das Lachen wieder gefunden: Micheline Calmy-Rey einen Tag nach der Heimkehr Max Göldis. Keystone

Eine diplomatische Strategie mit klar definierten Etappen und die Internationalisierung der Affäre haben laut Aussenministerin Micheline Calmy-Rey zur Freilassung von Max Göldi geführt. Nun will die Schweiz ihre Beziehungen mit Libyen normalisieren.

Vor weniger als zwölf Stunden ist sie zusammen mit Max Göldi an Bord eines spanischen Regierungs-Jets in Zürich gelandet: Micheline Calmy-Rey freut sich darüber, dass Max Göldi – nach fast zwei Jahren in libyscher Geiselhaft – “wieder mit seiner Familie vereinigt ist”.

“Unsere Freude von heute ist weder dem Zufall noch einer Laune des Schicksals zu verdanken. Sie ist das Ergebnis einer Diplomatie, die unter extremen Bedingungen gearbeitet hat, das Resultat langjähriger und schwieriger Verhandlungen”, sagt die Aussenministerin.

Es sei dem “einzigartigen Zusammenspiel verschiedener Akteure” zu verdanken, dass Göldi Libyen endlich habe verlassen können,. “Die Schweiz hat viele Freunde”, sagt Calmy-Rey und dankt dem spanischen und dem deutschen Aussenminister und auch dem italienischen Premierminister für ihre Hilfe und ihren Einsatz.

Dass die beiden Geiseln – Rachid Hamdani konnte Libyen bereits vor vier Monaten verlassen – nun frei seien, heisse noch nicht, dass sich die Beziehungen zwischen der Schweiz und Libyen normalisiert hätten, so Calmy Rey: “Wir werden weiter arbeiten, um die bilateralen Beziehungen zu normalisieren.” Ein erstes Treffen soll am kommenden Freitag in Madrid stattfinden.

Klar definierte Strategie

Die von der Schweiz verhängten Visa-Restriktionen für libysche Staatsbürger im Schengen-Raum, deren Aufhebung, die Bereitschaft von Max Göldi, im Februar die Schweizer Botschaft zu verlassen und eine viermonatige Gefängnisstrafe abzusitzen: all das sei Teil einer klar definierten und international abgestimmten Strategie mit verschiedenen, klar definierten Etappen gewesen, erzählt Calmy-Rey.

“Parallel dazu haben wir mit der libyschen Seite einen Aktionsplan verhandelt. Das hat Monate gedauert.” Umstritten seien vor allem die Modalitäten zur Freilassung von Max Göldi gewesen: “Das war bis zur letzten Minute ein heikles Thema.”

Der Aktionsplan, der die Grundlage für die Freilassung Göldis darstellt, ist laut Calmy-Rey bereits vor einigen Wochen von den Staatssekretären der Schweiz, Libyens, Spaniens und von Deutschland unterzeichnet worden. Ebenfalls bereits unterzeichnet lag am Wochenende in Tripolis eine kurze Erklärung auf dem Verhandlungstisch. Darin bekunden die Aussenminister der vier Länder ihren Willen zur Umsetzung des Aktionsplans.

Internationales Schiedsgericht

Sie habe am Wochenende “absolut nichts unterzeichnet”, sagt Calmy-Rey. Alles sei schon vorher vorbereitet und von namentlich von der Schweizer Regierung genehmigt gewesen. Sie habe sich in Tripolis auch nicht entschuldigt, sondern lediglich eine längst erfolgte Entschuldigung der Genfer Regierung zitiert.

Der Aktionsplan sieht neben der Freilassung von Max Göldi die Einsetzung eines internationalen Schiedsgerichts vor. Dieses soll unter Aufsicht von Spanien und Deutschland gebildet werden und wird in Berlin tagen. Das Gericht soll die Umstände untersuchen, unter denen Hannibal Gaddafi und dessen Ehefrau im Juli 2008 in Genf vorübergehend festgenommen worden sind.

Bisher keine Entschädigung bezahlt

Im weiteren muss die Genfer Justiz die Veröffentlichung von Polizei-Fotos von Hannibal Gaddafi durch eine Genfer Tageszeitung strafrechtlich verfolgen und die Schuldigen verurteilen. Falls die Schuldigen nicht gefunden würden, müsste die Schweiz laut dem Aktionsplan dem Gaddafi-Sohn eine Entschädigung ausrichten.

Bisher habe weder die Schweiz, noch der Kanton Genf eine Entschädigung bezahlt, sagt Calmy-Rey und dementiert damit entsprechende Medienberichte.

Kein Verlass

Es seien “schwierige Verhandlungen mit schwierigen Partnern” gewesen, bilanziert Staatssekretär Peter Maurer die vergangenen Wochen und Monate. Dabei habe sich auch gezeigt, dass in einer Verhandlungen, während derer “immer wieder neue Forderungen” gestellt würden und “man nicht genau weiss, auf welches Wort Verlass ist oder nicht”, Vermittler “unerlässlich” seien. In dieser Rolle hätten sich seine spanischen und deutschen Kollegen “rund um die Uhr” eingesetzt.

Schliesslich habe in der Schlussphase alles länger gedauert als vorgesehen, schildern Maurer und Calmy-Rey die gut 24 Stunden in Tripolis. “Unsere Nerven waren sehr angespannt”, so Calmy-Rey: “Wir haben klar gemacht, dass wir nicht ohne Max Göldi abreisen
werden” und so den Druck aufrecht erhalten.” Die Verhandlungen um die Ausreiseformalitäten dauerten einen ganzen Tag.

Treffen im Zelt

Bei einem Treffen mit dem libyschen Herrscher Muammar Gaddafi in dessen Zelt, zu dem rund fünfzig Personen – darunter die Premierminister von Italien, Slowenien und Malta – eingeladen waren, wurde klar, dass Göldi mit einem Linienflugzeug auszureisen hatte.

Göldi flog nach Tunis. Dort traf er spätabends Calmy-Rey und den spanischen Aussenminister Miguel Angel Moratinos für den Weiterflug nach Zürich.

Andreas Keiser, Bundeshaus, swissinfo.ch

Wenige Stunden nach seiner Rückkehr in die Schweiz stand Max Göldi in Bern den Medien Red und Antwort.

Nach fast 700 Tagen, in denen er in Libyen festsass, war er in der Nacht auf Montag in der Heimat eingetroffen.

Er sei “müde, aber sehr glücklich, wieder in der Schweiz” zu sein. “Ich habe die vergangenen 23 Monate in grosser Unsicherheit und Angst verbracht. Ich wurde Opfer eines Konflikts, der mit mir nichts zu tun hat”, sagte Göldi.

Er sei sich keiner Schuld bewusst, sagte der ruhig wirkende Heimgekehrte. Er dankte allen Personen, die sich für seine Freilassung eingesetzt haben.

Die Verbringung von Landmann Rachis Hamdani und ihm an einen unbekannten Ort durch libyschen Behörden nach einem vorgetäuschten Spitalbesuch bezeichnete Göldi als Entführung.

Er habe 53 Tage in einem verdunkelten Zimmer in vollkommener Isolation verbracht, sagte er. Die Bewacher hätten sich korrekt, aber distanziert verhalten und keinen Kontakt gewünscht.

Der Bruder von Max Göldi, Moritz Göldi, dankte den Medien für ihre zurückhaltende Berichterstattung während der Festhaltung der beiden Schweizer in Libyen.

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