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Die Managerin der Rad-WM, die nicht gern Rad fährt

ti-press

Oberster Boss der Strassenweltmeisterschaft der Radprofis, die von Mittwoch bis Sonntag in Mendrisio stattfindet, ist eine Frau: Agnès Pierret, zuvor langjährige Geschäftsführerin der Tour de France.

Das Hauptquartier der WM-Direktorin befindet sich in einem Nebengebäude der Psychiatrischen Klinik von Mendrisio.

Hier laufen die Fäden für die Organisation der Strassenrad-Weltmeisterschaften zusammen.

Die Hektik ist gross, das Handy klingelt mit Ausdauer. Trotzdem nimmt sich Agnès Pierret Zeit für ein Gespräch.

“Ich bin wie eine Telefonzentrale”, lacht die 47-Jährige. Ein grosser Teil ihrer Arbeit an der Spitze des WM-Organisationskomitees bestehe darin, die richtigen Leute zusammenzubringen und Tätigkeiten zu delegieren.

Dank Zufall und Kompetenz an die Spitze

Agnès Pierret gehört zu den ganz wenigen Frauen, die im Radsport-Management an vorderster Front mitmischen. Wie kam das? “Es sind die Zufälle des Lebens”, sagt die in Antwerpen aufgewachsene Belgierin, die auch über einen Schweizer Pass verfügt. Mit 21 Jahren habe sie dank ihrer Englischkenntnisse eine Anfrage bekommen, für eine amerikanische Rad-Zeitschrift als Übersetzerin zu arbeiten.

Bei der WM von 1986 in Colorado Springs traf sie den legendär-innovativen Schweizer Teamchef Paul Köchli, der sie als Managerin für die Profimannschaft La Vie Claire engagierte und nach Europa zurückbrachte.

Danach wechselte sie zu den Sportgruppen Weinmann-La Suisse und Helvetia, bevor sie dem Radsport kurzzeitig den Rücken zukehrte und auf einer Bank in Basel arbeitete. Doch die Auszeit von der Welt der Zweiräder dauerte nur ein Jahr. Sie wurde von der Organisation der Tour de France ASO kontaktiert und war sieben Jahre lang als deren administrative Direktorin in Paris tätig.

Es folgte ein Einsatz bei der Eurovision in Genf und schliesslich als Direktorin des krisengeschüttelten Schweizer Radsportverbands Swiss Cycling. “Dort habe ich – im Rahmen des Möglichen – die Finanzen ins Lot gebracht”, erinnert sie sich.

Liebe zum Radsport holt sie ein

Mit einem aus Liebe erfolgten Umzug ins Tessin 2002 verabschiedete sich Pierret erneut vom Radsport und fand einen Job bei einer Sportartikelfirma in Stabio. Doch die Organisatoren der WM von Mendrisio nahmen 2004 umgehend mit der Zuzügerin Kontakt auf, nachdem der Zuschlag zur Austragung der Weltmeisterschaft vorlag.

Ihre Erfahrung, ihr energisches Auftreten und ihre Mehrsprachigkeit – Pierret spricht sechs Sprachen – prädestinierten sie geradezu, Direktorin dieses Grossanlasses zu werden.

Steinzeit in der Moderne

Nicht immer sei es einfach gewesen, sich in der von Männern dominierten Radsportwelt durchzusetzen, sagt die Managerin: “Der Radsport ist kein offenes Milieu.” Als sie 1987 von den USA nach Europa zurückgekommen sei, durften in den Begleitfahrzeugen der Tour de France keine Frauen mitfahren. Diese Zeiten seien glücklicherweise vorbei, meint Pierret. Und heute gebe es keine grundsätzlichen Probleme mehr. Trotzdem sind Frauen im Radsport-Management die Ausnahme geblieben. Dies zeigt auch ein Blick ins offizielle WM-Organisationskomitee von Mendrisio.

Sorge um Fahrerinnen und Fahrer

Doch wichtiger ist im Moment: Die Organisation der Titelkämpfe im Tessin hat bisher reibungslos geklappt. “Wir sind perfekt im Zeitplan und es ist so gut organisiert, als ob wir in der Deutschschweiz wären”, erlaubt sich Pierret einen kleinen ironischen Seitenhieb.

Alle Einzelteile stimmten, jetzt müsse man nur sehen, dass auch das Zusammenspiel der Teile harmoniere – wie bei einer Uhr. Zentral sei die Unterstützung durch die einheimische Bevölkerung. Denn eine solche Veranstaltung bringt tagelange Strassensperrungen und somit auch einige Unannehmlichkeiten mit sich. Das braucht Verständnis.”Man spürt, dass der Radsport hier verankert ist; viele erinnern sich noch an den Sieg von Eddy Merckx bei der WM von 1971″, sagt sie.

Der grösste Wunsch von Pierret ist, dass die WM-Rennen unfallfrei verlaufen und nichts passiert. Der tödliche Sturz von Fabio Casartelli bei der Tour de France von 1995 hat sie tief geprägt. Und solch ein Ereignis darf sich nicht wiederholen.

Und wie hält es die Rad-Topmanagerin selber mit dem Velofahren? “Ich bin eigentlich unsportlich und fahre nur in der Stadt etwas Velo”, gesteht sie lakonisch.

Gerhard Lob, Mendrisio, swissinfo.ch

Die Strassenrad-Weltmeisterschaften in Mendrisio begannen am Mittwoch mit den Einzelzeitfahren der Männer (U23) und Frauen.

Das Zeitfahren der Männer mit dem einheimischen Favoriten und Olympiasieger Fabian Cancellara findet am Donnerstag statt.

Das Strassenrennen der Frauen über 124 Kilometer geht am Samstag über die Bühne.

Die Männer starten am Sonntag zu ihren beschwerlichen 269 Kilometern, nach denen der neue Weltmeister gekürt wird.

Die Organisatoren empfehlen den Fans, mit der Bahn anzureisen. RailAway bietet vergünstigte Kombi-Tickets an.

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