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Design: weg vom Funktionalen, hin zum Spass

Der 1939 von Hans Coray entworfene "Landi-Stuhl" - ein klassisches Beispiel für funktionalen Schweizer Design - war der populärste Stuhl des 20. Jahrhunderts. Keystone

Schweizer Industriedesign war während Jahrzehnten ein Markenzeichen für robuste Funktionalität und einfache Eleganz. Die Verspieltheit und Fantasie einer neuen Designergeneration bringt eine frische Perspektive für Schweizer Design.

“Design kann nicht mehr nach nationalen Charakteristiken definiert werden. Designer von heute müssen in einem internationalen Massstab denken”, sagt Patrick Reymond, Präsident der Eidgenössischen Designkommission, gegenüber swissinfo.ch.

Das Resultat: Schweizer Industriedesign hat sich radikal entwickelt und hat seine funktionale Identität abgeworfen zugunsten einer fantasievolleren Einstellung, wie sie von Designern im Ausland gepflegt wird. Eine Einstellung, “die Emotionen hervorruft und eine Geschichte erzählen kann”, erklärt Reymond, Gründungspartner des Ateliers Oï, einer führenden Schweizer Designagentur mit internationalem Ruf.

Was andererseits Schweizer Design weiterhin speziell auszeichnet, ist die Nähe der Designer zum Produktionsprozess ihrer eigenen Entwürfe. “Wir sind eingebunden in alle Etappen der Herstellung. Das erlaubt uns eine grössere Aufmerksamkeit für Details und gelegentlich Anpassungen im Design”, so Reymond.

Der Architekt und Designer glaubt, dass die kontinuierliche Qualität der Handwerkskunst des Schweizer Designs die ländlichen Wurzeln der Bevölkerung wiederspiegelt. “Wir lieben es, mit unseren Händen zu denken”, sagt er. Dies wiederum führe zur Erforschung von neuen Materialien und deren Potenzial. Das Atelier Oï zum Beispiel erweitere seine Materialsammlung fortwährend.

Gegenseitige Befruchtung

“Weil sich die Bedürfnisse der Kunden ausgeweitet haben, hat sich auch die Rolle der Designer erweitert”, sagt Reymond. “Wir werden oft zur Bereitstellung von Ausstattungen oder zur Orchestrierung von Events engagiert.”

Ein höherer Grad von Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Disziplinen, zum Beispiel zwischen Architektur und Grafikdesign, habe sich zur Norm entwickelt. “Ein besonderer Vorteil in einem so kleinen Land wie die Schweiz”, betont Reymond.

Er führt diese multidisziplinäre Einstellung auf den italienischen Architekten Alberto Sartoris zurück. Sartoris, der in der Nähe von Lausanne lebte und lehrte, vertrat das Konzept, wonach ein Objekt als Antwort auf den Raum entworfen werden soll, den es besetzen wird.

Chantal Prod’Hom, Leiterin des Design-Museums Mudac in Lausanne, ist auch der Meinung, dass sich die Verwischung der Grenzen zwischen Disziplinen über nationale Identitäten ausweitet. Schweizer Industriedesign habe sich durch Minimalismus charakterisiert, was in direktem Zusammenhang gestanden habe mit der industriellen Rigorosität der Schweiz und der bemerkenswerten Fähigkeit zum Miniaturisieren, sagt sie.

Tatsächlich entstanden viele Kultobjekte, wie der Gemüseschäler Rex oder das Schweizer Militärmesser (Victorinox), anonym und ausserhalb des industriellen Prozesses.

Die richtigen Fragen

Prod’Hom bestätigt, dass der vermehrte Austausch zwischen Designern aus verschiedenen Ländern jetzt zu einer “Geschichte erzählenden” Einstellung bei den jüngeren Designern geführt habe. “Design ist ein guter Weg, um die richtigen Fragen zu stellen”, sagt sie. Deshalb hat Prod’Hom ihr Lausanner Design-Museum fest in der Szene des zeitgenössischen Designs positioniert.

Diese Einstellung unterscheidet sich von jener des Schwestermuseums in Zürich. Das Museum für Gestaltung richtet sich mehr nach einer historiographischen Linie des Designs. Der Unterschied zwischen den beiden Institutionen fasst sozusagen unterhaltsam die unterschiedlichen Einstellungen zum Design in den Regionen zusammen, wo sich die Museen befinden – eine vorwärts blickende und eine immer noch von der Vergangenheit geprägte Einstellung.

Patrizia Crivelli ist Leiterin Dienst Design im Bundesamt für Kultur (BAK). In den letzten 15 Jahren hat sie die Situation in der Schweiz scharf beobachtet. Sie betont, dass die einfache Eleganz, die als langjähriges Markenzeichen des Schweizer Designs galt, damit zu tun hatte, “auf einfache Weise Lösungen für Probleme zu finden”.

Im deutschsprachigen Teil der Schweiz seien die Designer immer noch vom Industriedesign der 50er-Jahre beeinflusst, den Crivelli als “geradlinig” bezeichnet. Dagegen seien die Designer in der französischsprachigen Schweiz “offener und verspielter”, sagt sie. “Die Grenzen sind jetzt offen, und die gegenseitige Befruchtung mit internationalen Designern hat Fantasie in den Schweizer Design eingebracht.”

Verspielte neue Generation

Mit der Lausanner Hochschule für Kunst und Design, zuerst unter der Verwaltung des magnetischen, aber etwas befehlshaberischen Pierre Keller, jetzt unter der Leitung des talentierten und urbanen Alexis Georgacopoulos, erhalte eine ganze Generation von Designern “einen neuen Start”, sagt Crivelli. “Sie nehmen sich selber nicht allzu ernst.”

Auf die Frage, wie die Fertigungsindustrie auf die bekennende Verspieltheit der neuen Designergeneration reagiert habe, weist Crivelli auf den Möbelhändler Pfister hin, der ein Programm ‘Neues Schweizer Design’ sponsere, das unkonventionelle Möbel und Textilien entwerfe, die sich gut verkauften.

Die BAK-Verantwortliche weist auch auf den von Schweizer Fabrikanten gesponserten Design Preis der Schweiz hin, der als Produktionssprungbrett für junge Designer gilt. Es ist eine nützliche Ergänzung zum Eidgenössischen Preis für Design des BAK, den Crivelli organisiert.

“Design in der Schweiz wird langsam zu einem Motor für Erfolg”, sagt Patrick Reymond. Dabei weist er auf Beispiele guter Designideen hin, wie die Freitag-Taschen aus Lastwagenplanen und die Hublot-Luxussportuhren, welche zur Zeit die Kreativität von Unternehmen anheizten.

“Der nächste Schritt ist, dass wir bekannter werden und unsere Sichtbarkeit verbessern müssen.” Die Existenz von vier unterschiedlichen Kulturen in einem Land und die besonderen Dynamiken, die dadurch entstehen, können ein Vorteil sein, wenn man lernen muss, Design zu exportieren”, so Reymond. “In der Schweiz haben wir die Fähigkeit, eine Idee von Anfang an bis zum Schluss zu verfolgen. Das ist unsere grösste Stärke.”

Der vom Bundesamt für Kultur (BAK) verliehene Eidgenössische Preis für Design vergibt jedes Jahr 18 Preise von je 25’000 Franken sowie Stipendien für Atelierplätze in New York und Amsterdam.

Der Design Preis Schweiz, der alle zwei Jahre (der nächste 2013) von der Fertigungsindustrie in Langenthal gesponsert wird, unterstützt “abenteuerliche Ideen” in den Bereichen Mode, Fabrikat, Textil, Inneneinrichtung und -ausstattung.

Mudac in Lausanne (Musée de design et d’arts appliqués contemporains).

Das Museum für Gestaltung Zürich präsentierte in diesem Jahr die Ausstellung “100 Jahre Schweizer Grafik” (10.02.-03.06.12).

Alfredo Häberli – Zürich

Atelier Oï – La Neuveville

Big Game – Lausanne

d’Esposito & Gaillard – Lausanne

Moritz Schmid – Zürich

Nicolas Le Moigne -Cheseaux/Lausanne

Die Hochschule für Gestaltung und Kunst Basel ist spezialisiert auf visuelle Kommunikation und Grafikdesign.

Die Hochschule für Kunst und Design Genf (Haute école d’art et de design Genève) kombiniert bildende und angewandte Kunst und bietet Mediendesign auf Master-Ebene an.

Die Hochschule für Kunst und Design Lausanne (Haute école d’art et de design de Lausanne) ist eine international renommierte Kunst- und Design-Universität, die im Weltranking regelmässig unter den 10 besten solchen Instituten zu finden ist. An der Lausanner Hochschule lehren renommierte Professoren, und sie bietet einen Master of Advanced Studies in Luxusindustrie und Design an. Das EPFL+ECAL LAB fördert Voraussetzungen für Innovationen an den Schnittstellen von Technologie, Design und Architektur.

Die Zürcher Hochschule der Künste ist eine der breitesten Kunstuniversitäten Europas und vereinigt die Schule für Kunst und Design Zürich und die Zürcher Schule für Musik, Drama und Tanz. Sie führt das Swiss artists in labs-Programm, das die Zusammenarbeit zwischen Kunst und Wissenschaft fördert.

(Übertragung aus dem Englischen: Jean-Michel Berthoud))

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