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Die Schweiz sollte das “digitale Genf” stärken

Kevin Kohler & Nicolas Zahn

Wie lassen sich Aussenpolitik und Digitalisierung kombinieren? Und welche Rolle soll dabei das Internationale Genf spielen? Nicolas Zahn und Kevin Kohler vom Think-Tank foraus über die Herausforderungen für die Schweiz.

In den letzten fünf Jahren haben verschiedene Schweizer Strategie-Papiere Fragen der digitalen Gouvernanz mit aussenpolitischen Komponenten aufgegriffen. Die prominenteste Ambition ist, Genf zur “internationalen Hauptstadt der digitalen GouvernanzExterner Link” zu machen.

Wir haben für den Think Tank foraus alle Dokumente zur Digitalaussenpolitik der SchweizExterner Link gesichtet und begrüssen diese Ambition. Wir stellen jedoch auch fest, dass es immer noch eine Lücke zwischen dem Anspruch und der dazu erforderlichen politischen Unterstützung gibt.

Nicolas Zahn
Nicolas Zahn ist Project Manager bei der Swiss Digital Initiative und arbeitet an der Schnittstelle von Aussenpolitik und Technologie. Joanna Scheffel

Stand heute: Es gibt internationale Konkurrenz

Bereits länger – und unabhängig von Schweizer Strategien – gibt es in Genf internationale Organisationen, die sich mit der digitalen Gouvernanz beschäftigen.

Zu den relevanten gehören die Internationale Fernmeldeunion, die Welthandelsorganisation, das Internationale Rechenzentrum der UNO (UNICC), die Internationale Organisation für Normung, die Weltorganisation für geistiges Eigentum und die Weltgesundheitsorganisation.

Darüber hinaus hat die Schweiz in den letzten Jahren spezifische Initiativen zur Stärkung des digitalen Standorts Genf unterstützt. Dazu gehören die Swiss Digital InitiativeExterner Link, die das erste digitale VertrauenslabelExterner Link eingeführt hat, und der Geneva Science and Diplomacy Anticipator GESDAExterner Link, der künftige Governance-Herausforderungen antizipieren soll. Ebenso die langjährige Unterstützung der DiploFoundation, die zum Beispiel die Geneva Internet PlatformExterner Link bereitstellt.

Kevin Kohler
Kevin Kohler ist Sicherheitsanalyst beim Center for Security Studies an der ETH Zürich, wo er sich mit digitalen Technologien und Risikomanagement befasst. CSS

Dennoch raten wir dringend von Selbstzufriedenheit ab. Zwei Punkte sollten im Auge behalten werden:

1. Die Kofinanzierung der digitalen Infrastruktur: UNICC ist der wichtigste Anbieter von IT-Beratung, Software, Cloud- und Cybersicherheitslösungen für UN-Agenturen. Das Zentrum wurde 1971 in Genf gegründetExterner Link, wo sich auch heute noch der Hauptsitz befindet.

Im Jahr 2012 eröffnete UNICC ein neues Büro in Valencia, das nun das bei weitem grösste Büro ist. Spanien verfügt zwar nicht über ein grosses UN-Ökosystem und hat im Gegensatz zur Schweiz auch keine ausdrückliche Strategie zu dessen digitalen Stärkung. Dennoch war Spanien bereit, das Zentrum für die UNO mitzufinanzieren.

2. Das rechtliche Umfeld: Das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) hat seinen Sitz in Genf und ist mit Abstand der grösste Empfänger finanzieller Unterstützung durch das Schweizer Aussenministerium. Als das IKRK jedoch beschloss, eine “Delegation für den Cyberspace” einzurichten, platzierte es diese in LuxemburgExterner Link.

Der Hauptgrund dafür scheint die Bereitschaft Luxemburgs zu sein, mit “digitalen BotschaftenExterner Link” zu experimentieren – das sind Teile eines Datenzentrums, die von der lokalen Gerichtsbarkeit ausgenommen sind.

Die Landesregierung hat die Idee der “Schweiz als sicherer Hafen für Daten” gefördert, auch für internationale Organisationen. Bereits im Jahr 2020 hatte sich einer der Autoren dieses Textes informell beim Aussendepartement erkundigt, ob die Schweiz an einem Konzept “digitaler Botschaften” wie Luxemburg arbeitet.

Die Antwort lautete damals, dass eine solche Einrichtung interessant und technisch machbar sei, es aber eines “politischen Willens” bedürfe. Mit der hitzigen Debatte um eine “Swiss Cloud” machen sich verschiedene Departemente nun wieder Gedanken über die Bereitstellung sicherer Datenräume.

Wir sind uns bewusst, dass die Schweiz nicht unbegrenzt finanzielle Unterstützung leisten, nicht alle rechtlichen Rahmenbedingungen schaffen und nicht bei jeder Global-Governance-Initiative dabei sein kann. Dennoch zeigen die Beispiele, dass auch andere Staaten eine Rolle in der globalen digitalen Gouvernanz spielen wollen und bereit sind, konkrete Schritte dafür zu unternehmen. Sie sollen als Warnung dienen, dass eine zukünftige zentrale Rolle Genfs in der digitalen Gouvernanz nicht selbstverständlich ist.

Neue Herausforderungen meistern

Was kann die Schweiz also tun, um die Lücke zu schliessen? Wir denken, dass neu entstehende digitale Technologien besonders interessant wären, etwa Regulierungsmassnahmen im Bereich der künstlichen Intelligenz und des Quantencomputings.

Die Schweiz hat mit dem Montreux-Dokument über private Militär- und Sicherheitsunternehmen gezeigt, dass sie erfolgreich einen Multi-Stakeholder-Mapping-Prozess in einem aufstrebenden Bereich anführen und dadurch die Normbildung beschleunigen kann.

Auch hat die Schweiz mit GESDA eine hervorragende Initiative geschaffen, aber es ist noch nicht klar, wie deren Ergebnisse in die Governance-Prozesse eingebettet sind. Es gibt gute Gründe für die AnnahmeExterner Link, dass der Bedarf an globaler Gouvernanz hinsichtlich der neuen digitalen Technologien mittelfristig zunehmen wird.

Eine konkrete Idee für die Governance neu entstehender digitaler Technologien, die wir 2019 hervorgehoben haben, war ein “IPCC für KIExterner Link“. Dieses Modell würde sich mit den grössten Herausforderungen befassen, dank der Erhebung relevanter Daten.

Es gibt heute mehrere Organisationen, die KI-bezogene Themen beobachten, wie beispielsweise die OECDExterner Link. Doch die besten Arbeiten zu grundlegenden Faktoren wie globalen RechenressourcenExterner Link, Rechenleistung in KI-ModellenExterner Link, Vorhersagen für KI-Schwellenwerte und Ähnliches werden weiterhin von unabhängigen Forscher:innen mit minimalen Ressourcen erstellt.

Insgesamt möchten wir zu einem proaktiven Ansatz ermutigen, um eine führende Rolle bei der Steuerung neu entstehender Technologien zu übernehmen – dabei sind Agilität und Lernfähigkeit besonders wichtig. Um die Worte von Aussenminister Ignazio Cassis aufzugreifen: Innovation wagen – Antizipation wagenExterner Link!

Die in diesem Artikel geäusserten Ansichten sind ausschliesslich jene der Autoren und müssen sich nicht mit der Position von swissinfo.ch decken.

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