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Die Würfel sind gefallen

Keystone

Punkt zwölf Uhr mittags haben die Wahllokale geschlossen. Ein ungewöhnlich heftig geführter Wahlkampf geht zu Ende. Bald treffen die ersten Resultate zur Neubestellung des Parlaments ein.

Gegenüber 2003 kandidierten dreimal mehr Auslandschweizer. Schafft der erste Vertreter der Fünften Schweiz diesmal den Sprung unter die Bundeshauskuppel?

Am Sonntag Punkt 12 Uhr wurden in den Schweizer Stimmlokalen die Urnen versiegelt. Bereits für 14 Uhr werden die Endergebnisse für kleine Kantone erwartet.

Gegen 19 Uhr wird das öffentlich-rechtliche Radio und Fernsehen der SRG SSR idée suisse seine erste nationale Hochrechnung für die Wähleranteile der Parteien präsentieren. Sie basiert auf den Ergebnissen aus der Mehrheit der Kantone.

Die Resultate aus den bevölkerungsreichsten Kantonen – es sind dies Bern, Zürich, Waadt – werden das Bild bis Mitternacht vervollständigen. Vorausgesetzt, es gibt keine Pannen…

“Schmutzige” Kampagne

Bald schon also wird das Schweizer Volk die Zusammensetzung und die Namen seiner Repräsentanten im Parlament kennen. Monatelang hat der Wahlkampf in allen Formen getobt, in Form von Debatten, Veranstaltungen, Demonstrationen oder Chats im Internet, wo Bürger Politikern mit Fragen löcherten.

Der Wahlkampf fiel für Schweizer Verhältnisse aggressiver aus als früher. Es wurde über eine angeblich fremdenfeindliche Wahlkampagne gestritten, über einen Komplott gegen den amtierenden Justizminister; es kamen diskutable Vergleiche mit dem Faschismus in Italien auf, Linksextreme liessen ihren Gewaltgelüsten freien Lauf.

Das deutsche Wochenmagazin Der Spiegel spricht vom “schmutzigsten Wahlkampf aller Zeiten in der Schweiz”. Unbestritten ist: Noch nie hat ein eidgenössischer Wahlkampf in der internationalen Medienwelt soviel Aufmerksamkeit und Kritik erhalten.

Am vergangenen Montag erschien im “New York Times International Weekly”, einer Wochenbeilage diverser englischsprachiger Zeitungen, eine Karikatur. Darauf ist das Schweizer Kreuz zu einem Hakenkreuz deformiert. Das Eidgenössische Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) zeigte sich besorgt über das Bild der Schweiz im Ausland.

Aufmerksamkeit monopolisiert

Einer einzigen Partei, der Schweizerischen Volkspartei (SVP), ist es gelungen, den Wahlkampf zu dominieren und praktisch zu monopolisieren. Das gab es noch nie.

Mit Pressekonferenzen, Erklärungen, Vorwürfen, einer Volksinitiative zur Ausschaffung “krimineller Ausländer”, umstrittenen Wahlplakaten und zweifelhaften Videospots sowie Spielchen im Internet konnte die rechtskonservative Partei ständig Diskussionen und Reaktionen auslösen. Die Themen der anderen Parteien fielen unter den Tisch.

Ironie des Schicksals: Am Montag bedankten sich Vertreter der SVP bei ihren politischen Gegnern. Die ausgelöste Diskussion um die Schwarze-Schaf-Kampagne hätte dazu geführt, dass die SVP in Rekordzeit 200’000 Unterschriften für ihre Volksinitiative gesammelt hätte, welche die Ausschaffung straffällig gewordener Ausländer verlangt. Wird die SVP als grösste Partei der Schweiz am Abend des Wahltages ihren Gegnern nochmals danken können?

Nach teils enttäuschenden Resultaten in einigen Kantonen in den letzten beiden Jahren waren Politologen überzeugt, dass die SVP das Ende ihres Wachstum erreicht hätte und der 1991 begonnene Siegeszug der Partei von Bundesrat Christoph Blocher gestoppt sei. Doch gemäss den letzten Meinungsumfragen könnte die aggressive SVP-Kampagne nochmals Früchte tragen.

Ende der Talfahrt von CVP und FDP?

Eine weitere wichtige Frage betrifft die beiden Mitteparteien, die Freisinnig-Demokratische Partei (FDP) und die Christlichdemokraten (CVP). Seit 1979 befindet sich ihr Wählerzuspruch im freiem Fall. Vor vier Jahren wurde die Talsohle erreicht. Wird es den beiden bürgerlichen Parteien gelingen, den Trend zu kehren? Wird die CVP mehr Stimmen machen als die FDP?

Falls ja, könnte sich der Wahlausgang auf die Zusammensetzung des Bundesrats auswirken. Die FDP wäre wohl gezwungen, im Dezember einen ihrer zwei Sitze in der Schweizer Regierung an die CVP abzugeben.

Bei der Linken stellt sich hingegen die Frage, wie stark die Grünen zulegen können. Den Grünen wird als Folge der Sorgen um den Klimawandel in der Bevölkerung ein zweiter Frühling vorausgesagt. Dieser Erfolg könnte zu Lasten der Sozialdemokraten (SP) gehen, deren traditionelle Wahlkampfthemen von einer guten Konjunkturlage in den Schatten gestellt wurden.

Erster Auslandschweizer unter Bundeshauskuppel?

Das Interesse für die Schweizer Parlamentswahlen ist auch bei den Auslandschweizern gestiegen. Insgesamt 44 Angehörige der Fünften Schweiz kandidieren für einen Sitz unter der Bundeshauskuppel. Das bedeutet eine Verdreifachung gegenüber 2003. Die Frage lautet: Schafft erstmals ein Kandidat aus dem Ausland den Sprung nach Bern?

Die Wahlbeteiligung der Auslandschweizer dürfte nicht weit unter dem Wert der in der Schweiz lebenden Wähler liegen. Gemäss der Auslandschweizer-Organisation (ASO) nehmen zwischen 30 und 50% der in die Wahllisten eingeschriebenen Auslandschweizer an den eidgenössischen Wahlen teil. Immerhin sind es über 110’000 Auslandschweizer, die in kantonale Register eingetragen sind.

swissinfo, Armando Mombelli
(Übertragung aus dem Italienischen: Gerhard Lob)

Erstmals wurden die Schweizer Parlamentswahlen auch von Beobachtern der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa verfolgt.

Die Beobachter überwachten nicht den regulären Verlauf des Urnengangs. Vielmehr wollten sie Kenntnisse über die Wahlen gewinnen, um sie in jungen Demokratien einzusetzen, die zur OSZE gehören.

Der OSZE-Delegationsleiter Paul De Gregorio, ein Amerikaner, hat jedoch bereits zwei Aspekte des Schweizer Wahlsystems kritisiert: Den Mangel an Transparenz bei der Parteienfinanzierung sowie die Tatsache, dass die Stimmen der Auslandschweizer häufig nicht fristgerecht eintreffen, um ausgezählt werden zu können.

Schweizerische Volkspartei: 26,7 % (27,3 % in der letzten Umfrage)

Sozialdemokratische Partei: 23,3 % (21,7 %)

Freisinnig-Demokratische Partei: 17,3 % (15,5 %)

Christlichdemokratische Partei: 14,4 % (15,4 %)

Grüne Partei der Schweiz: 7,4 % (10,0 %)

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