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Freunde in der Eisenbahn aufspüren oder überwachen

Dank Smartphone und Tablet jederzeit mit dem genauen Standort? Nicht ganz. Keystone

Es gibt immer mehr standortbezogene Dienstleistungs-Angebote für Smartphones und Tablet-Computer. Die Entwicklung hat auch den Reisemarkt erfasst. Auf dem neusten Stand zu bleiben, ist alles andere als einfach.

Viele Menschen betrachteten Schweizer Landkarten einst als Beispiel für Präzision und Handwerkskunst. Das sind sie zwar immer noch, mit standortbezogenen Anwendungen für mobile Geräte ist ihnen aber Konkurrenz entstanden, die nicht zuletzt von Tourismus-Experten kommt.

Zu wissen, wo man sich auf den Punkt genau befindet, war einst ein Privileg der US-Streitkräfte. Doch innerhalb von nur wenigen Jahren ist die geographische Ortung für die Smartphone-Nutzer zum Alltagsgut geworden.

Schweiz Tourismus hat sich mit ihren kostenlosen Apps für Wanderer und Reisende in diesem neuen Markt als eine der führenden Kräfte etabliert. Für die nationale Tourismusagentur war dies ein logischer Schritt.

“Die geographische Lokalisierung ist für uns wichtig, vor allem was unsere Stadtführer mit ihren spezifischen Karten und Routen angeht”, erklärt Véronique Kanel, Sprecherin von Schweiz Tourismus. “Auf einem Smartphone kann man das GPS jederzeit aktivieren. Das bedeutet, dass man die Geräte nutzen kann, um sich in einer Stadt zurecht zu finden, fast so, als hätte man einen menschlichen Begleiter.”

Bei der Hand genommen 

Ihr Kollege Roland Baumgartner hat den Wandel, der mit der wachsenden Ausbreitung von Ortungsdaten einherging, von Anfang an beobachtet.

“Vor zwanzig Jahren wurde in einer Broschüre ein Wasserfall erwähnt, doch wo war dieser? Man brauchte eine Landkarte und einen klaren Ausgangspunkt”, erklärte Baumgartner im Gespräch mit swissinfo.ch. “Heute werden nicht nur die Koordinaten des Wasserfalls angegeben, sondern auch die Richtung, in die man gehen muss.”

Allerdings sei dies für viele Nutzer nicht genug. Dies unterstreiche auch den Wandel im Vergleich zu bisherigen traditionellen Werbeaktivitäten.

“Wenn es um digitale Inhalte geht, erwarten die Leute mengenmässig viel mehr als bei gedruckten Informationen”, sagte Baumgartner. “Jeder und jede versteht, dass man keine 200-Seiten-Broschüren drucken kann. Ein Gerät mit GPS wird aber nicht grösser, auch wenn man 100 Routen herunterlädt.”

Train-Passagiere-Spotting 

Letzte Woche kündigte ein weiteres Schwergewicht der Reisebranche die Einführung einer standortbezogenen Dienstleistung an: Die Schweizerischen Bundesbahnen (SBB) werden im Dezember ein eigenes Social-Media-Netzwerk lancieren, das Reisenden ermöglichen soll, Freunde aufzuspüren, die auch im Zug unterwegs sind.

“Wir haben jeden Tag eine Million Reisende auf unseren Zügen, eine real existierende Gemeinschaft, die wir miteinander verbinden wollen”, erklärte SBB-Sprecher Daniele Pallecchi. “Es ist ein Experiment mit der grössten sozialen Gemeinschaft in der Schweiz.”

Die SBB erklären, es gehe nicht um eine Werbeübung, wenigstens nicht für den Moment. Auch wolle man nicht mit Facebook oder Twitter in Konkurrenz treten.

“Rückmeldungen von unserer Kundschaft weisen darauf hin, dass das Angebot erfolgreich sein könnte”, erklärte Pallecchi gegenüber swissinfo.ch. Das gelte es nun herauszufinden.

“Einige unserer Züge haben mehr als 1000 Passagiere an Bord, das macht es recht schwierig, auf Leute zu stossen, die man kennt. Wenn man drei Stunden unterwegs ist, möchte man vielleicht herausfinden, ob Freunde oder Bekannte im selben Zug unterwegs sind.”

Die Kundschaft zufrieden zu stellen, ist ein ehrgeiziges Vorhaben. Qualität und Relevanz der Anwendungen dürfen nicht ignoriert werden.

“Wenn Sie eine Nachfrage schaffen und Nutzer finden, geht damit eine gewisse Verantwortung einher, einen guten Service zu bieten”, erklärte Florian Michahelles, Forscher an der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich (ETHZ). “Die Nutzer können sie positiv oder negativ bewerten und sie erwarten einen kontinuierlichen Service.”

Apps zur Weiterentwicklung verdammt 

Michahelles war einer der Köpfe hinter dem Projekt SwissPeaks, einer 2009 lancierten, standortbezogenen so genannten Augmented-Reality-Applikation. Mit solchen Anwendungen können auf Live-Bildern von Smartphone-Kameras zusätzliche Informationen dargestellt werden, im Fall von SwissPeaks ging es um die Identifikation von Berggipfeln.

Schon früh hatte das Studienprojekt etwa 20’000 Nutzer, von denen viele Vorschläge machten, wie die App verbessert werden könnte. Doch das reicht nicht immer, um an der Spitze zu bleiben.

“Wenn man eine gute Idee hat, ist der Wettbewerb wirklich hart”, sagte Michahelles. “Viele andere Anwendungen kommen auf den Markt. Man muss seine eigene App immer wieder verbessern, mit neuen Funktionen ergänzen, die sie von den andern unterscheiden.”

Um das Projekt, das im Teilzeit-Modus betreut wurde, voranzutreiben, hätte man mehr Zeit investieren müssen, doch weil es der Hochschule an Ressourcen fehlte, bedeutete das mehr oder weniger das Ende von SwissPeaks. Seit 2010 wurde die App nicht mehr aktualisiert.

Geografische Ortung hat ihre Grenzen, vor allem bedingt durch die Art der Technologie. Im Innern von Gebäuden können GPS-Signale, welche die genausten Ortungsdaten geben, nicht empfangen werden, während drahtlose Netzwerke und andere Methoden manchmal unzuverlässig sind.

“Gewisse Telefone entscheiden selber, welche Methode sie nutzen, wenn eine geographische Lage ermittelt wird, und man kann sich nicht immer auf die Angaben verlassen, die man erhält”, erklärte der App-Entwickler Adrian Kosmaczewski.

Drinnen Sendepause 

Kosmaczewski, der unter anderem einen Führer für die Kathedrale von Lausanne und mobile Anwendungen für swissinfo.ch entwickelt hat, warnt, dass Kunden die Möglichkeiten der geographischen Ortung zum heutigen Zeitpunkt nicht überschätzen sollten.

“So möchten etwa Warenhäuser zeigen können, auf welcher Etage sich ein Kunde befindet, und realisieren nicht, dass dies nicht möglich ist”, ergänzte er.

Die Zeit, auf traditionelle Karten zu verzichten, ist also vielleicht noch nicht gekommen. Baumgartner auf jeden Fall teilt diese Ansicht.

“Für jemanden, der an einer Übersicht seiner Wanderung interessiert ist, die gesamte Umgebung verstehen möchte, ist eine Karte auf Papier immer noch besser, denn wenn man auf der Karte eines Mobiltelefons oder eines Tabletts zoomt, verändert sich der Massstab, man verliert die Details”, unterstrich er.

Und es sind gerade diese Details, die verhindern könnten, dass man von einem Berg herunterfällt.

Satelliten-Ortung, Global Positioning System GPS: Ursprünglich zur Navigation im militärischen Bereich entwickelt. Heute wird das System in verschiedensten Bereichen eingesetzt, zum Beispiel zur Navigation von einem Ort zum andern in einem Auto.

Handy-Ortung: Die Lokalisierung erfolgt über Mobilfunkantennen. Die Präzision der Ortsangaben hängt von der Dichte der Sendemasten ab. Handys mit Internetzugang, die so genannten Smartphones, sind zudem mit einem GPS-Modul ausgestattet, was eine genauere Ortung möglich macht.

Wireless Local Area Networks (WLAN): Ermöglichen die drahtlose Verbindung von nahe beieinander stehenden Computern untereinander und mit dem Internet. Eine WLAN-Basisstation ermöglicht drahtlosen Zugang zu einem lokalen Netzwerk.

Mobiltelefone werden in Bezug auf die Basisstationen geortet, falls diese in entsprechenden Datenbanken verzeichnet sind.

Ortung via IP-Adresse: Für den Zugriff aufs Internet braucht jedes Gerät eine IP-Adresse. Ist die IP-Adresse bekannt, kann der Standort eines Geräts geographisch auf ein bestimmtes Gebiet eingeschränkt werden. Für die genaue Ortung muss der Provider die Verbindungsdaten bekannt geben.

Quelle: Geographische Wegmarken in der Cyberwelt. Ortungstechnologien als Herausforderung für eine offene Gesellschaft, TA-Swiss

(Übertragung aus dem Englischen: Rita Emch)

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