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ECONOMICS/DE: Sachverständigenrat sieht Wirtschaft in leichter Aufwärtsbewegung

WIESBADEN (awp international) – Nach der schwersten Krise der Nachkriegszeit befindet sich die deutsche Wirtschaft laut Sachverständigenrat in der Erholungsphase. “Harte wie weiche Konjunkturindikatoren deuten auf eine leichte Aufwärtsbewegung in der zweiten Jahreshälfte 2009 und im Jahr 2010 hin”, heisst es in dem neuen Jahresgutachten der “Wirtschaftsweisen” vom Freitag. Nach einem drastischen Rückgang des Bruttoinlandsprodukts (BIP) von 5,0 Prozent im laufenden Jahr rechnen die Forscher für das kommende Jahr mit einem Wachstum von 1,6 Prozent.
“So erfreulich das Ende der Abwärtsdynamik ist, die deutsche Volkswirtschaft befindet sich konjunkturell nach wie vor in einem tiefen Tal”, unterstreicht der Rat. Die leicht positiven Signale für das kommende Jahr gäben keinen Anlass zu euphorischen Einschätzungen, auch mit Blick auf ausgabenpolitische Spielräume der öffentlichen Haushalte. “Dazu ist die Aufwärtsentwicklung zu schwach und zu fragil.” Es bestünden grosse Unsicherheiten beim künftigen Produktionspotenzial und den mittel- bis langfristigen Wachstumsaussichten.
Nachdem sich der Arbeitsmarkt im laufenden Jahr “ungewöhnlich robust” gezeigt habe, rechnet der Rat für 2010 mit einem deutlichen Anstieg der Arbeitslosigkeit. Nach einem Anstieg der Arbeitslosen 2009 um rund 160.000 Personen sei 2010 mit einem Zuwachs um etwa 500.000 zu rechnen. Grund: Die Unternehmen können die Krisenbelastungen trotz gesetzlicher Erleichterungen wie Kurzarbeit nicht über einen längeren Zeitraum tragen. Bis Ende 2010 dürften demnach rund vier Millionen Menschen arbeitslos werden – und nicht wie teils befürchtet bis zu fünf Millionen.
Der Sachverständigenrat kritisiert die wirtschafts- und finanzpolitischen Pläne der schwarz-gelben Bundesregierung scharf. Der Koalitionsvertrag sei mit Blick auf die zentrale finanzpolitische Aufgabe in näherer Zukunft, die Konsolidierung der öffentlichen Haushalte, “vage” und “in jeder Hinsicht enttäuschend”, heisst es im Jahresgutachten. Im Koalitionsvertrag werde die Notwendigkeit der Haushaltskonsolidierung zwar erwähnt. “Es finden sich allerdings keinerlei konkrete Ausführungen dazu, wie diese Aufgabe bewältigt werden soll”, kritisiert der Rat.
Ausgeblendet würden nicht nur jegliche Massnahmen zur Bewältigung der bereits bestehenden Konsolidierungserfordernisse. Stattdessen würden umfangreiche weitere Steuersenkungen in einem Gesamtvolumen von 24 Milliarden Euro bei voller Jahreswirkung sowie zusätzliche Mehrausgaben angekündigt. “Angesichts der enormen Konsolidierungserfordernisse sind derartige Steuersenkungsversprechen ohne solide Gegenfinanzierung mit einer seriösen Finanzpolitik nicht vereinbar”, kritisiert der Rat. Vor dem Hintergrund des Finanzierungsvorbehalts sollte es nicht schwer fallen, die Geschenkkörbe mit nicht gegenfinanzierten Steuersenkungen wieder einzusammeln.
Ohne harte Einschnitte bei den öffentlichen Ausgaben oder ohne Erhöhungen von Steuern oder anderen Abgaben könne eine Konsolidierung der staatlichen Haushalte nicht gelingen, heisst es in dem Gutachten. Grundsätzlich seien dabei Ausgabenkürzungen Abgabenerhöhungen vorzuziehen. Steuererhöhungen dürften sich gegen Ende der neuen oder spätestens zu Beginn der darauf folgenden Legislaturperiode “schwerlich” vermeiden lassen.
Der Ausstieg der Notenbanken aus ihren Kriseninterventionen ist nach Einschätzung des Sachverständigenrats trotz der unkonventionellen Politik vergleichsweise gut beherrschbar. “Der Ausstieg aus der Krisenintervention lässt sich für die EZB – anders als für die europäische Finanzpolitik – relativ einfach bewerkstelligen”, heisst es. Um die im Zuge der Finanzkrise geschaffene Überschussliquidität wieder einzusammeln, stünden der Europäischen Zentralbank (EZB) mehrere Instrumente zur Verfügung. Sobald es die Entwicklungen auf den Finanzmärkten erlaube, könne sie damit beginnen, die Laufzeit der Refinanzierungskredite wieder deutlich zu verkürzen und zu einer quantitativ begrenzten Kreditvergabe zurückzukehren. Die überschüssige Liquidität des Bankensystems könnte dem System auch sehr kurzfristig und mit grossen Beträgen mit dem Instrument der Einlagenfazilität entzogen werden.
Angesichts der hohen politischen Unabhängigkeit der EZB gegenüber den nationalen Regierungen und der Europäischen Kommission bestehe kein Zweifel an ihrer Bereitschaft, eine geldpolitische Exit-Strategie umzusetzen, sobald sich die Notwendigkeit hierfür stelle, betont der Rat. Es seien somit für den Euroraum von Seiten der Geldpolitik – trotz unkonventioneller, jedoch den Erfordernissen einer ungewöhnlichen Konstellation gerecht werdender Massnahmen – keine Gefährdungen für die Geldwertstabilität erkennbar. Sehr viel schwieriger als die Exit-Strategie der EZB dürfte sich die Abkehr der Fiskalpolitik im Euroraum von hohen strukturellen Defiziten erweisen./bf/jha/

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