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Eher Vermittler als Revolutionär

Karl Eckstein leitet in Moskau eine grosse Rechts- und Unternehmensberatung. swissinfo.ch

Freiwillig ging 1982 kaum einer in die Sowjetunion. Doch Karl Eckstein hatte genug von seiner Arbeit beim Bund in Bern.

Er bewarb sich auf ein Inserat, in dem ein Schweizer Konsortium einen Vertreter in der UdSSR suchte, bekam den Job und zog nach Moskau.

Eckstein erinnert sich gerne an die aufregenden Zeiten von damals in der UdSSR. Als sich das Schweizer Konsortium, das ihn damals eingestellt hatte, auflöste, blieb er in Moskau und arbeitete für Sulzer, übernahm Mandate für Eternit, Ciba, Bayer und Duracell und importierte Schweizer Garagentore nach Russland.

Das Land befand sich im Umbruch. Die Möglichkeiten, aber auch die Probleme, schienen unermesslich.

Heute hat sich der promovierte Jurist und Rechtsanwalt aus dem täglichen Geschäft zurückgezogen. Die letzten zehn Jahre verdiente er sein Geld damit, dass er ausländische Unternehmen durch den russischen Bürokratie-Dschungel führte.

Seine rund 45 Angestellten halten die Kanzlei im Gang. Das Unternehmen bietet Rechts- und Steuerberatung an und führt Buchhaltungen für russische und ausländische Firmen.

“Unspektakulär”, sagt der 53-jährige Eckstein und erzählt Geschichten aus seinen ersten Jahren, als es zum Beispiel noch üblich war, Verträge erst nach wilden Saufereien abzuschliessen.

Gegen staatliche Willkür

Der Schweizer Jurist verfasste für Studenten ein Lehrbuch über Grund- und Menschenrechte, das als erstes von einem Ausländer geschriebenes Lehrbuch zur Pflichtlektüre deklariert wurde.

Zur Zeit arbeitet Eckstein an einer Zeitschrift, in der die wichtigsten europäischen Gerichtsentscheide zu den Grund- und Menschrechten zusammengefasst und übersetzt werden. “Bislang ist das Verständnis in Russland in diesen Rechtsbereichen noch sehr schwach ausgeprägt”, betont Eckstein.

Sein liebstes Projekt ist allerdings das Verwaltungs-Verfahrensgesetz, dem er sich seit drei Jahren widmet. “Dieses Gesetz gestaltet das Verhältnis zwischen Bürger und Staat, das vor allem durch Willkür gekennzeichnet war, völlig neu”, erklärt Eckstein.

In der heutigen Praxis können russische Beamte zum Beispiel einfach darauf verweisen, sie seien nicht zuständig. Träte das Gesetz in Kraft, müssten sie die Anfrage annehmen und selbst an die richtige Stelle weiterleiten.

Sie müssten Entscheide schriftlich begründen und bei jedem Entscheid angeben, bei welcher Behörde und innert welcher Frist er angefochten werden kann.

Gegen den bürokratischen Dschungel

Wenn alles gut geht, könnte schon Mitte Februar die Vorbereitung zur ersten Lesung im russischen Unterhaus beginnen. Das Einverständnis der einflussreichsten Juristen Russlands und wichtiger Politiker weiss er hinter sich.

Damit würde Eckstein genau jenes System abschaffen, das ihm so viele Kunden, denen die Anforderungen der Bürokratie über den Kopf gewachsen waren, verschafft hat.

“Ich verdiene mein Geld damit, dass ich Leute durch den Bürokratie-Dschungel führe. Das ist volkswirtschaftlich betrachtet natürlich vollkommener Nonsens”, sagt er.

Vermittler zwischen Russland und Europa

Eckstein sieht sich als Vermittler zwischen europäischem und russischemRechtsverständnis. Im Gegensatz zur Schweiz, in der die Versicherungs-Mentalität die Bereitschaft zu Risiko und Innovation gefährlich beschränkt habe, sei Russland ein interessanter Wachstumsmarkt mit den vielen Möglichkeiten einer expandierenden Wirtschaft.

Zudem herrsche eine positive Aufbruchstimmung. “Nur die sinnlose Bürokratie muss abgeschafft werden”, so Eckstein.

Der Jurist ist kein Revolutionär, sondern versucht, russische Kollegen und Politiker von seinen Ideen zu überzeugen. Für ihn ist diese Arbeit so etwas wie die logische Fortsetzung seiner Tätigkeit als Anwalt und Unternehmensberater:

“In Russland kann man nur dann erfolgreich ein Business betreiben, wenn man weiss, wie die Regeln funktionieren. Genau diese Regeln muss man aber auch kennen, um das System zu reformieren.”

swissinfo, Alexandra Stark in Moskau

600’000 Schweizerinnen und Schweizer leben im Ausland.
Seit 1990 ist die so genannte Fünfte Schweiz um 150’000 Personen gewachsen.
2002 hatten 400 Auslandschweizer ihren Wohnsitz in Russland.

Karl Eckstein, geboren am 16. April 1949, aufgewachsen in Rheineck im St.Galler Rheintal.
Abschluss des Lehrerseminars in Rorschach. Studium der Rechtswissenschaften in Basel, Promotion 1979, Anwaltspatent 1980.
1982 Umzug nach Russland.
Seit 1986 Rechts- und Unternehmensberater mit eigener Kanzlei.
Eckstein, seit 2001 russisch-schweizerischer Doppelbürger, ist mit einer Russin verheiratet und hat zwei Kinder.

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