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Ein Bergler in Strassburg

Markus Schranz auf der Place de l'Homme de Fer, dem Verkehrsknotenpunkt in Strassburg. Gaby Ochsenbein

Die Hälfte seines bisherigen Lebens hat Markus Schranz in Frankreich verbracht. Obwohl es den Auslandschweizer immer wieder in die Berge zieht, fühlt sich der Ex-Skilehrer wohl in Strassburg. Ein Leben in seinem Heimatdorf Adelboden kann er sich nicht mehr vorstellen.

Die Hauptstadt des Elsass ist ihm ans Herz gewachsen. Stolz führt er durch die Stadt mit ihrer ausgedehnten Fussgängerzone, den schönen Bauten und grosszügigen Plätzen, dem Fluss Ill, der die historische Stadt umfliesst, er zeigt auf die zahlreichen Restaurants, wo Elsässer Choucroute oder Bäckeoffe aufgetischt werden, bleibt vor einladenden Konditoreien stehen. Besonders schön sei es hier im Frühling: “Dann ist die Stimmung einmalig.”

Die Liebe zu einer Französin, die er in Adelboden kennengelernt hatte, hat den Oberländer vor bald 30 Jahren nach Paris verschlagen, wo er für die Zürich Versicherung arbeitete. “Ich erinnere mich noch gut an diese Zeit, wie ich am Abend an die Luft musste, weil ich mich wie ein Löwe im Käfig fühlte.”

In Strassburg ist das anders: Schranz rühmt den gut ausgebauten öffentlichen Verkehr und die vielen Fahrradwege: “Hier kann man problemlos spazieren gehen, ohne ständig von Autos belästigt zu werden.”

Dank grossen Konzernen, aber vor allem wegen dem hier ansässigen Europaparlament, dem Menschenrechts-Gerichtshof und dem Europarat leben in der “Hauptstadt Europas” Menschen verschiedener Nationalitäten und Konfessionen. “Die Stadt ist international , tolerant und offen.” Die drei Schranz-Kinder besuchen internationale Schulen, und bereits die Grundschule ist hier zweisprachig.

Die Schweiz ist wenig präsent

Als Deutschschweizer wurde er im Elsass gut aufgenommen. “Strassburg ist anders als etwa Marseille. Die hiesige Mentalität gleicht der unseren.” Dazu kommt, dass viele Strassburger den Elsässer Dialekt sprechen und es ihnen leicht fällt, Hochdeutsch zu lernen.

Auch wenn es bis zur Schweizer Grenze ein Katzensprung ist, sei die Schweiz kaum Thema in Strassburg, “Sie ist nicht mehr und nicht weniger präsent als irgendein anderes Land. Da darf sich die Schweiz keine Illusionen machen.” Omnipräsent sei jedoch Deutschland.

“Die Zusammenarbeit mit dem deutschen Nachbarn ist weit fortgeschritten, es verkehren Busse in die deutsche Stadt Kehl, die Tramlinie dorthin ist im Bau. Und bereits heute gibt es Sportstätten, die gemeinsam finanziert werden.”

Wenn der Berg ruft

Schranz, der unterdessen besser Französisch als Deutsch schreibt, liest täglich eine französische Lokalzeitung sowie die NZZ online, um sich über das Geschehen in der Schweiz auf dem Laufenden zu halten. Und wirft via Webcam regelmässig einen Blick auf sein Bergdorf.

“Im Januar war es in Strassburg fast durchgehend neblig und kalt, während in Adelboden häufig die Sonne schien. Das tut weh, aber man kann nicht alles haben.” Die Berge fehlen ihm vor allem im Herbst und im Winter. Und so reist der ehemalige Skilehrer mehrmals im Jahr ins Oberland zum Skifahren oder Wandern. Drei Stunden im Auto – und schon ist er dort. Über 40 Tage waren es im letzten Jahr.

Zu klein, zu eng

Wieder dort leben, wo er seine Kindheit und Jugend verbracht hat, könnte der selbständige Versicherungsagent allerdings nicht: “Der Gegensatz zu Strassburg ist enorm. Adelboden ist weit weniger tolerant, als es als Kurort sein sollte. Ich spüre die Enge in den Köpfen jener Leute, die nie wirklich weg gingen, insbesondere wenn es um internationale Themen geht.” Vor allem stört ihn die Angstmacherei religiöser Kreise, die dort zu zahlreich und penetrant seien.

Dass sich Adelboden Ende November mit über 80 Prozent der Stimmen für die Anti-Minarett-Initiative ausgesprochen hat, bedauert er, erstaunt ist er aber nicht: “Und ich bin überzeugt, dass die meisten Adelbodner noch nie ein Minarett live gesehen haben.”

Zu weit weg

An Schweizer Abstimmungen und Wahlen nimmt Markus Schranz nicht teil. Zu lange schon sei er weg. Zudem kämen in der Schweiz manchmal Vorlagen an die Urne, die man im Ausland belächle. “Wie diese Tieranwalt-Initiative. Das ist doch übertrieben.”

Käme jedoch eine Initiative für einen Beitritt der Schweiz zur Europäischen Union vors Volk, müsste der Strassburger Schranz nicht lange überlegen und sich umgehend registrieren lassen, um ein Ja ins Abstimmungs-Kuvert zu legen. “Auch wenn Adelboden die Vorlage mit Sicherheit massiv bachab schicken würde.”

Gaby Ochsenbein, Strassburg, swissinfo.ch

Geboren 1952 in Adelboden, Berner Oberland.

Er erwarb in Neuenburg ein Handelsdiplom und war danach neun Jahre lang Skilehrer in Adelboden.

1981 zog der Versicherungsagent nach Paris, seit 1983 lebt und arbeitet er in Strassburg.

Der französisch-schweizerische Doppelbürger ist mit einer französischen Ärztin verheiratet und Vater von drei bald erwachsenen Kindern.

Strassburg ist die Hauptstadt der Region Elsass.

Die Stadt zählt 270’000 Einwohner, die Agglomeration 430’000.

Die Hauptstadt des Elsass beherbergt zahlreiche europäische Institutionen: So den Europarat, das Europaparlament und den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte.

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