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Ein bisher ungenutztes Referendum

Der Bund - symbolisiert im Kreuz der Bundeshauskuppel - von den Kantonen in die Enge getrieben? swissinfo.ch

"Damit verlieren wir zu viel Geld!", tönte es aus den Kantonen, nachdem das Bundesparlament im Frühsommer das Steuerpaket geschnürt hatte.

Die Mutigsten kündigten ein Kantons-Referendum an – ein politisches Instrument, das es seit 1874 gibt, das aber noch nie angewandt wurde.

Es geht um beinahe 2 Mrd. Franken: Gemäss Berechnungen der Kantone führt das am 20. Juni vom Schweizer Parlament verabschiedete Steuerpaket zu happigen Einnahmeausfällen für Gemeinden und Kantone.

Diese Perspektive lässt manchen Finanzdirektor erschaudern. Denn in der aktuellen Wirtschaftsbaisse ist es für die Kantone bereits sonst schwierig, ihre Finanzen im Griff zu halten.

Die Kantone lehnen sich auf

Zum Beispiel der Kanton Bern: Das Kantonsparlament hatte selber ein Sparprogramm von 200 Mio. Franken beschlossen. Wegen des Steuerpakets des Bundes könnten die Anstrengungen weggefegt werden. Denn dieses würde die Kantone mit 250 bis 260 Mio. Franken belasten (zudem weitere 90 Millionen für die Gemeinden).

Besonders die im Steuerpaket vorgesehenen Entlastungen für die Wohneigentümer gefallen den Kantonen nicht. Denn der steuerbelastende Eigenmietwert würde abgeschafft, zugleich aber der entlastende Schuldzins- und Unterhaltsabzug beibehalten. Bei diesem letzteren Punkt hatte sich die Regierung gegen das Parlament gestellt.

Damit profitieren Wohneigentümer überdurchschnittlich vom Fiskalpaket. Bereits am gleichen Tag nach der Schlussabstimmung im Bundes-Parlament meldete sich die Konferenz der Kantonsregierungen deshalb zu Wort.

Sie kündigte an, das Ergreifen eines Kantonsreferendums ins Auge zu fassen. Mitte dieser Woche hat das Wallis als fünfter Kanton das Referendum unterstützt.

Auch die Städte unterstützen das Referendum

Auch die über 100 im Schweizerischen Städteverband vereinten Städte warnen vor der Sparschraube des Bundes. Zwei Drittel der Bevölkerung wohnt heute in Städten und Agglomeration. Aber nur 20 Parlamentarier vertreten im Parlament diese Interessen.

Mit dem Sparen würde den Städten nicht nur das direkte Bundesgeld gestrichen, sondern auch Geld von den Kantonen. Der Städteverband unterstützt deshalb das Kantonsreferendum ebenfalls.

Staatspolitische Sensation

Die Ankündigung eines solchen Referendums kam eigentlich einer staatspolitischen Sensation gleich. Das Instrument des Kantonsreferendums sieht die Möglichkeit vor, dass mindestens 8 Kantone eine Volksabstimmung über ein Gesetz verlangen können. Doch obgleich diese Regelung seit 1874 in der Verfassung festgeschrieben ist, wurde dieses Referendum nie benutzt.

“Das Kantonsreferendum wurde vorgesehen, um die Kantone zu schützen”, erklärt Pascal Sciarini, Politologe an den Universitäten Genf und Lausanne. “Aber eigentlich handelt es sich um einen Fremdkörper im direkt-demokratischen System. Denn es ist kein Volksrecht.” Es sind meist die Kantonsparlamente, die darüber entscheiden – also die Volksvertreter.

Dass das Kantonsreferendum bis anhin nie ergriffen wurde, hat verschiedene Gründe. So ist das Prozedere recht kompliziert. “In der Mehrheit der Kantone entscheidet das Parlament, ob der Kanton das Referendum unterstützt, in einigen gar das Volk”, erinnert Sciarini.

Aber weshalb wird ausgerechnet jetzt auf dieses seltene Instrument zurückgegriffen? “Momentan gibt es einige Reibungsflächen zwischen den Kantonen und dem Bund”, sagt Sciarini.

“So haben die Kantone den Eindruck, im Bereich ihrer Beziehungen zu Europa vom Bund ignoriert zu werden. Sie waren auch gezwungen, sehr kurzfristig zu den Sparabsichten des Bundes Stellung zu nehmen. Der Sparpaket-Entscheid ist dann der Tropfen gewesen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat.”

Grosse Eile – viel Image steht auf dem Spiel

Pascal Sciarini gibt sich zuversichtlich, dass das Referendum zustande kommt. “Für uns Politologen wäre das ein sehr interessantes Ereignis, weil es sich um einen Präzedenzfall handelt.”

Die Chancen für ein Zustandekommen nehmen zu. Zwar unterstützen gut 16 kantonale Regierungen den Vorschlag eines Referendums. Doch das letzte Wort haben in den meisten Kantonen nicht die Regierungen selbst, sondern die entsprechenden Parlamente.

Um erfolgreich zu sein, muss das Referendum bis zum 9. Oktober 2003 von mindestens acht Kantonsparlamenten gutgeheissen werden. Kommt es nicht zustande, würde dieser Misserfolg einen harten Schlag fürs Image der Kantone bedeuten. Ja sogar ein richtiges “Desaster”, wie sich Anfang August der Sekretär der Konferenz der kantonalen Finanzdirektoren, Kurt Stalder, in der Tageszeitung “Der Bund” vernehmen liess.

Bürgerliches Dilemma und linke Skepsis

Die Verfechter des kantonalen Referendums müssen auch gegen das Manko an Begeisterung ankämpfen, das ihm wegen den Parlamentswahlen im Herbst entgegengebracht wird.

Denn in den Kantonalparlamenten stellen die bürgerlichen Volksvertreter die Mehrheit. Und in einem Wahljahr dürfte es schwierig sein, sie zu überzeugen, gegen ein Fiskalpaket zu sein, das Familien und Hausbesitzer entlasten würde.

Im linken Politspektrum wiederum zeigt sich ebenfalls viel Skepsis ob den Erfolgsaussichten des Kantonsreferendums. Deshalb entschieden sich die Grünen und die Nicht-SP-Linke Anfang Juli, in eigener Regie ein “konventionelles” Referendum gegen dieses Fiskalpaket zu lancieren.

So wird über das Steuerpaket wohl mit grosser Sicherheit in irgendeiner Weise abgestimmt werden.

swissinfo, Andrea Tognina
(aus dem Italienischen von Eva Herrmann und Alexander Künzle)

Ein Kantonsreferendum kommt zustande, wenn 8 der 23 Ganz-Kantone es beschliessen.
5 Kantone haben bereits entschieden, das Fiskalpaket so zu bekämpfen.
Auch der Schweizerische Städteverband unterstützt das Kantonsreferendum gegen das Steuerpaket des Bundes.
Die Referendums-Frist läuft bis am 9. Oktober.

Letzten Juni haben die beiden Kammern des Bundes-Parlaments das Steuerpaket 2001 gutgeheissen. Es stellt vor allem Familien, Hausbesitzern und den Kapitalmarkt besser.

Die Einnahmenausfälle der Minderbesteuerung belaufen sich auf rund zwei Milliarden. Davon 600 Millionen, die den Kantonen zufallen würden.

Ausserdem gäbe es bis zu 1,3 Milliarden Ausfälle bei den kantonalen Steuereinnahmen.

Besonders das Geschenk an die Hausbesitzer (Eigenmietwert-Erleichterung bei Beibehalten von Abzügen) ist umstritten.

Mitte Woche hat das Wallis entschieden, das Referendum zu unterstützen. Sankt Gallen, Bern, Graubünden und Solothurn haben dies schon früher bekannt gegeben. Zug, Aargau und Neuenburg lehnen das Referendum ab. In anderen Kantonen steht der Entscheid noch aus. Bis 9. Oktober muss die Quote von acht unterstützenden Kantonen erreicht sein.

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