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Ein Jahr Bilaterale: Positive Erfahrungen

EU-Schweiz: Bisher gute Erfahrungen mit den bilateralen Verträgen. Keystone

Die bilateralen Verträge Schweiz-EU sind seit einem Jahr in Kraft. Eine erste Bilanz fällt aus Sicht des Bundesrates positiv aus.

Auch die Schweizer Wirtschaft gibt sich zufrieden.

Die Erwartungen der Wirtschaft in die bilateralen Verträge zwischen der Schweiz und der Europäischen Union haben sich nach den Worten von Bundesrat Joseph Deiss im ersten Jahr weitgehend erfüllt.

Zusammen mit Aussenministerin Micheline Calmy-Rey präsentierte der Wirtschaftsminister diese Woche in Bern eine Auswertung der bisherigen Erfahrungen mit den Bilateralen.

Die bilateralen Abkommen über Personen-, Land- und Luftverkehr, Landwirtschaft, Submissionswesen, technische Handelshemmnisse und Forschung waren nach dem Scheitern des Beitritts zum Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) 1992 ausgehandelt worden. Sie traten nach dem Ja des Volkes im Mai 2000 am 1. Juni 2002 in Kraft.

Unentbehrlich für die Wirtschaft

Für eine abschliessende Beurteilung der Auswirkungen sei die statistische Datenbasis noch zu schmal, sagte Bundesrat Deiss. Die Wirtschaft stehe aber geschlossen hinter den Bilateralen I.

Mit der Inkraftsetzung der sieben Abkommen sei ein substanzieller Reformschub ausgelöst worden. Es liege allerdings in der Natur von Marktöffnungs-Abkommen, dass die Gewinne erst nach einer gewissen Zeit anfielen, während die Anpassungslasten sofort spürbar seien.

Deiss verwies auf die Stellungnahme des Wirtschaftsdachverbandes economiesuisse, der die bilateralen Abkommen als “unentbehrlich und unumgänglich” bezeichnet.

Befürchtungen der Gegner nicht eingetroffen

Nicht eingetroffen seien die zahlreichen Befürchtungen der Gegner bezüglich “Einwanderungsfluten” und “Lastwagen-Lawinen”, sagte Bundesrat Deiss.

Die Zuwanderungs-Quoten würden erwartungsgemäss beansprucht. Dass die 15’000 Kontingente für Daueraufenthalter bereits nach zehn Monaten ausgeschöpft waren, führte Deiss auf gewisse Übergangseffekte zurück. Beispielsweise haben viele Grenzgänger namentlich aus Deutschland ihren Wohnsitz in die Schweiz verlegt.

Die 115’500 Kurzaufenthalts-Bewilligungen wurden dagegen nur etwa zur Hälfte genutzt. Eine grosse Nachfrage war in den Tourismus-Kantonen Wallis und Graubünden zu verzeichnen, die zusammen einen Viertel der Kurzaufenthalter aus dem EU-Raum beherbergen.

Im alpenquerenden Transitgüterverkehr sank die Anzahl der schweren Güterfahrzeuge um 9% Prozent, während die auf den Strassen transportierte Gütermenge um 2% Prozent zunahm. Gemäss Deiss ist dies durch die im Landverkehrs-Abkommen geregelte generelle Anhebung der Gewichtslimite auf 34 Tonnen sowie die dosierte Zulassung von 40-Tönnern ermöglicht worden.

Die Leistungsabhängige Schwerverkehrsabgabe (LSVA) wirkte: Sie hat dem Bundeshaushalt im letzten Jahr einen Bruttobetrag von 882 Millionen Franken eingebracht.

Bedeutung der Bilateralen wächst

Bundesrätin Calmy-Rey fügte an, der bilaterale Weg sei die direkte Konsequenz des Neins zum EWR von 1992.

Durch die Ausdehnung der Bilateralen auf die zehn neuen EU-Mitgliedstaaten werde die wirtschaftliche Bedeutung noch zusätzlich verstärkt, sagte die Aussenministerin. Die Neumitglieder seien ausschliesslich Wachstumsmärkte.

Während die bilateralen Abkommen in sechs Fällen automatisch ausgedehnt werden, muss beim Personenfreizügigkeits-Abkommen neu verhandelt werden. Der Beschluss unterliegt zudem dem fakultativen Referendum. Calmy-Rey warnte davor, die EU könne alle sieben Abkommen kündigen, sollte die Erweiterung des Personenfreizügigkeits-Abkommens am Referendum scheitere.

Spannungsfeld bleibt

Die Aktion für eine unabhängige und neutrale Schweiz (AUNS) hat gegen die neuen Bilateralen bereits das Referendum angekündigt. Der Gestaltung der EU-Beziehungen stehen also Unwägbarkeiten direkter Demokratie gegenüber.

Laut Georg Kreis, dem Leiter des Europa-Instituts in Basel, bleibt dieses Spannungsfeld auch künftig bis zu einem allfälligen EU-Beitritt der Schweiz bestehen.

Denn die Mitsprache bei den Aussenbeziehungen sei bei der Totalrevision der Bundesverfassung und der Volksrechtsreform ausgebaut worden, da solche Verträge zunehmend direkt angewendet würden. Indes, schränkt er ein, gehe es nur um das fakultative Referendum und um ein einfaches Mehr.

Volksentscheide mit Integrationskraft

Mitsprache-Verlusten nach einem allfälligen EU-Beitritt der Schweiz könnten laut dem Leiter des Europa-Instituts mehr Möglichkeiten der Allianzen-Bildung gegenüberstehen. Und die Schweiz habe als Kleinstaat “eine relativ gute Schulung und Tradition im überproportionalen Maximieren von Einfluss”.

Volksentscheide hätten vor allem auch Integrationskraft. “Für das Mittragen von Entscheiden ist es wichtig, dass grosse grundsätzliche Entscheide über die direkte Demokratie gehen”, so Kreis.

swissinfo, Jean-Michel Berthoud

Bis zum 31. Mai 2007 ist die Zuwanderung von Erwerbstätigen aus der EU noch durch Kontingente geregelt.

Die 15’000 verfügbaren Daueraufenthalts-Bewilligungen sind nach 10 Monaten bereits aufgebraucht.

Die 115’500 Kurzaufenthalts-Bewilligungen sind nur rund zur Hälfte ausgenutzt.

Die Zahl der Grenzgänger hat um 3,3% auf 175’292 zugenommen.

Die ständige Wohnbevölkerung aus der EU ist nach Inkrafttreten der Bilateralen mit 1,7% leicht stärker gestiegen als in den Vorjahren.

Die Auswertung der bisherigen Erfahrungen mit den bilateralen Verträgen I beruht auf statistischem Material, einer Konsultation der betroffenen Behörden auf Bundes- und Kantonsebene sowie auf einer Umfrage des Integrationsbüros des Aussen- und Wirtschaftsministeriums (EDA/EVD) bei Verbänden, Organisationen und Unternehmungen.

Von nicht-staatlicher Seite gingen 42 detaillierte Antworten ein. Von den darin enthaltenen 80 Stellungnahmen zu den einzelnen Abkommen waren 42 (52%) positiv, 32 (41%) neutral und 6 (7%) negativ. Insgesamt kann das Urteil der befragten Institutionen nach einem Jahr als positiv bezeichnet werden. Für eine abschliessende Beurteilung der Bilateralen ist es allerdings noch zu früh.

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