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Ein Schweizer Mönch in Japan

Kurt Kübli lebt seit 8 Jahren in Japan. swissinfo.ch

Die Tempelstadt Koyasan hoch oben in den Bergen von Westjapan ist seit dem achten Jahrhundert ein Pilgerort.

Heute ist dort auch Kurt Kübli zuhause, ein Schweizer Mönch, der seine Heimat vor drei Jahrzehnten auf der Suche nach spiritueller Erleuchtung verlassen hat.

Koyasan wurde vor 1200 Jahren gegründet und ist das Zentrum des buddhistischen Shingon Ordens.

In der Stadt, deren Strassen von zahlreichen alten Tempeln gesäumt sind, leben Hunderte von Mönchen.

Man muss kein Detektiv sein, um Koyasans einzigen Schweizer und mit Abstand berühmtesten Mönch aufzuspüren.

“Sie wollen Kurt treffen?” fragt der Mann auf dem Tourismusbüro in Koyasan. “Kein Problem, der ist hier bekannter als Arnold Schwarzenegger.”

Kurt wurde in Zürich geboren, besuchte Japan 1980 ein erstes Mal und liess sich vor acht Jahren mit seiner japanischen Frau hier in Koyasan nieder.

Heute heisst er Kurto Gensou und ist einer der bekanntesten Mönche von Muryoko-in, einem Tempel nahe dem Stadtzentrum.

Einen Mönch treffen

Man führt mich durch einen knarrenden hölzernen Gang in einen grossen Raum mit Blick auf einen makellos unterhaltenen Steingarten und heisst mich warten. Muryoko-ins Ausländer vom Dienst ist nirgends zu sehen.

Der Mönch, der mir kurz darauf das Abendessen serviert – eine gesunde vegetarische Mahlzeit aus der Tempelküche – erklärt, Kurt sei mit Besuchern in der Stadt unterwegs und werde erst nach Einbruch der Dunkelheit zurückkehren.

Ich habe eben beschlossen, mich für die Nacht auf dem Tatami-Boden einzurichten, da vernehme ich ein lautes Klopfen. Die Schiebetüre aus Papier öffnet sich lautlos und herein tritt der Mann, den zu treffen ich fast 10’000 Kilometer weit gereist bin. Er begrüsst mich auf englisch, schweizerdeutsch und japanisch.

“Komm, ich zeige Dir die lokale Bar”, sagt er. “Und wenn Du willst, erzähle ich Dir meine Lebensgeschichte.”

Ich war ja auf einiges gefasst, aber so hatte ich mir Kurt nicht vorgestellt: wie er da sitzt, als Einheimischer am Ecktisch des einzigen Pub in Koyasan.

Über Bier und warmem Saké lässt er mich wissen, dass von den Mönchen in Koyasan keineswegs erwartet wird, dass sie ein einsames Leben in klösterlicher Abgeschiedenheit führen.

“Wir schliessen uns nicht den ganzen Tag im Tempel ein. Und wenn wir Alkohol trinken, dann nicht um uns zu betrinken, sondern zur Entspannung beim Gespräch mit anderen Leuten” sagt Kurt, der in seinem früheren Leben in der Schweiz als Weinhändler gearbeitet hatte.

“Dieser Pub ist der beste Ort, um über die Stadt auf dem Laufenden zu bleiben. Und ein kleiner Saké trägt viel zum flüssigen Gesprächsverlauf bei.”

Das frühere Leben

Im Lauf des Abends flicht Kurt ab und zu Hinweise auf sein Leben vor Koyasan ein, ein wechselhaftes Leben mit Episoden als Bankangestellter, Geschäftsmann, Künstler, Fotograf sowie Joga- und Flamenco-Schüler.

Er sagt, er habe sich in der Schweiz nie heimisch gefühlt, und ist überzeugt, mit seinem Umzug nach Japan eine richtige Entscheidung getroffen zu haben.

“Ich verspüre keine besondere Liebe zu meinem Heimatland. Nicht mal den Käse habe ich wirklich gern, und mit dem wächst man doch dort auf.”

Und weiter: “Selbstverständlich habe ich noch immer meinen Schweizer Pass, das ist ja wirklich ein schönes Dokument. Aber in meinem Herzen bin ich ein Weltbürger.”

Viel Zeit bleibt mir nicht für weitere Fragen zu Kurts Jugendjahren in der Schweiz. Er muss in sein kleines Tempelzimmer zurück, denn sein Tag beginnt früh.

“Ich stehe jeden Morgen um 4 Uhr auf und mache mir als erstes eine Tasse grünen Tee. In der Stille des Morgens wird sogar das Geräusch des Teegiessens zu Musik”, sagt er.

Dann rezitiert er “viele hundert oder tausend” verschiedene Mantras bevor er mit den andern Mönchen des Tempels, sei es als Vorsänger oder im Chor, die Frühmorgenandacht des Tempels zelebriert.

Kultstatus

Kurt verbringt viel Zeit mit ausländischen Besuchern, denen er Koyasan zeigt. Daneben vertieft er sich in die Recherchen für ein Buch über den Hauptkomplex des Tempels, das er noch in diesem Jahr in drei Sprachen veröffentlichen will.

Aber er wehrt sich dagegen, als internationaler Botschafter der Tempelstadt bezeichnet zu werden.

“Ich würde mir nie einen solchen Titel zulegen, schon nur weil wir Schweizer bekanntlich einen Hang zur Bescheidenheit haben. Am einfachsten ist es, man nennt mich den ‘verrückten Mönch’, erklärt er.

Kurts Kultstatus beschränkt sich nicht auf die Gassen von Koyasan. Japanische und ausländische Film- und Fernsehequipen haben Dokumentarfilme über ihn gedreht und er sagt, er könne in vielen japanischen Städten nicht durch die Strassen gehen ohne erkannt zu werden.

Während Kurt eine Gruppe amerikanischer Touristen durch den Tempelbezirk führt, frage ich einige seiner Mönchskollegen in Muryoko-in, was denn die Einheimischen von ihm hielten.

“Er passt in keine bestehende Kategorie”, sagt einer. “Man kann ihn nicht einfach in eine Schublade stecken. Er ist eine einzigartige Persönlichkeit.”

Und als ginge es darum, dies zu beweisen, beantwortet Kurt später meinen Versuch, ihn nach dem Weg der Erleuchtung auszufragen, indem er mich für eine zweistündige Thai-Massage in einem nahegelegenen Tempel anmeldet.

“Die Massage mag schmerzhaft sein, aber sie eignet sich sehr gut dazu, Körper und Geist mit neuer Energie aufzuladen”, versichert er mir.

Unsanftes Erwachen

Am nächsten Morgen ertönt der Tempelgong kurz vor 6 Uhr. Kurt steht in der offenen Schiebetür und informiert mich leicht entnervt, mein Zug fahre in 20 Minuten.

Er fordert einige Mönche auf, meine Sachen einzusammeln und im draussen bereitstehenden, tempeleigenen Auto zu verstauen.

Der Motor läuft, doch die Temperatur ist über Nacht weit unter den Gefrierpunkt gefallen, der Boden ist schneebedeckt und die Windschutzscheibe überzogen von einer dicken Eisschicht.

Ich schaue mich nach Kurt um, weil ich wissen möchte, ob wir den Zug wohl schaffen werden, da kommt er mit einem riesigen Kupferkessel aus der Tempelküche gerannt.

Er schüttet das heisse Wasser auf die Windschutzscheibe, das Eis schmilzt auf der Stelle und Kurt, in Holzschuhen und Zeremonialgewand, setzt sich ans Steuer und schlägt die Türe zu.

“Es wird eng, aber du schaffst es”, beruhigt er mich, und er soll recht behalten.

Da ist er nun um die halbe Welt gereist auf der Suche nach einem zeitlosen Paradies, doch wenn’s um Pünktlichkeit geht, ist Kurt immer noch ein echter Schweizer.

swissinfo, Ramsey Zarifeh in Koyasan, Japan
(Übertragen aus dem Englischen: Dieter Kuhn)

Kurt Kübli lebt seit acht Jahren als Mönch in der japanischen Tempelstadt Koyasan.

Er teilt ein kleines Zimmer im Muryoko-in Tempel mit seiner japanischen Frau. Gegenwärtig schreibt er an einem Buch über den Garan, den wichtigsten Tempelkomplex von Koyasan.

Muryoko-in bietet für ¥9,500 (SFr107) Übernachtungen für Gäste an (im Preis inbegriffen sind zwei vegetarische Mahlzeiten, die von den Mönchen des Tempels zubereitet werden).

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