Schweizer Perspektiven in 10 Sprachen

Ein Wörterbuch der neuen Dimension

Susanne Kolb, Autorin des deutschen Teils des neuen Wörterbuchs. (Foto: Kolb) swissinfo.ch

In einem mehrsprachigen Land wie der Schweiz sind Übersetzungen von grosser Bedeutung. Seit zwei Jahren erleichtert ein neuartiges Wörterbuch den Übergang vom Italienischen ins Deutsche und umgekehrt.

Das Ergebnis hat auch das italienische Kulturministerium überzeugt.

Die Linguistin Susanne Kolb war federführend bei dem Wörterbuch-Projekt. Italienisch lernte sie – zusammen mit weiteren vier Fremdsprachen – von Kindsbeinen an und mit grosser Leidenschaft.

Aus der Leidenschaft wurde eine Art Mission: Gemeinsam mit ihrer italienischen Kollegin Luisa Giacoma stellte sie das neue Wörterbuch Zanichelli/Klett zusammen. Dieses wurde in den vergangenen zwei Jahren zu einem unverzichtbaren Arbeitsinstrument für Personen und Studenten, die mit den beiden Sprachen zu tun haben.

Die deutsche Linguistin lebt seit fast 20 Jahren in Florenz. Ihre italienische Ausdrucksweise, die einen toskanischen Akzent angenommen hat, ist so perfekt, dass sich selbst Einheimische wundern.

Ein monumentales Werk

Als Susanne Kolb den Auftrag für das zweisprachige Wörterbuch annahm, war eigentlich nur von einer Überarbeitung der alten Zanichelli-Ausgabe die Rede. Doch als sie zusammen mit ihrer Kollegin Giacoma mit der Arbeit begann, merkten die beiden Autorinnen schnell, dass sie das Wörterbuch ganz neu aufziehen mussten.

“Das Wörterbuch erschien im Oktober 2001. Im Frühling waren wir praktisch fertig gewesen, doch dann mussten wir wegen der neuen Rechtschreiberegeln im Deutschen alles nochmals überarbeiten. In der deutschen Version haben sich nicht nur die Wortbeispiele geändert, sondern auch die Abfolge der Wörter”, erklärt Susanne Kolb.

Eine lebendige Sprache befindet sich in stetiger Veränderung. Die zusätzliche Zeit brauchten die Autorinnen, um die Orthografie anzupassen und das Bisherige nochmals zu überarbeiten. Bestimmte Wörter, die vor 10 Jahren noch umständlich paraphrasiert werden mussten, sind inzwischen Teil des aktiven Wortschatzes geworden. Beispielsweise “Elektrosmog” oder “Mobbing”.

Italienisch zum Singen

“Am Italienischen fasziniert mich am meisten das Melodiöse”, sagt Susanne Kolb. Umgekehrt mag sie an der deutschen Sprache ihre syntaktische Struktur und die unendlichen Möglichkeiten, neue Wörter zu bilden, die so genannten Neologismen. Kolb: “In der Philosophie entstanden viele dieser Wörter, die Übersetzern einiges Kopfzerbrechen bereiten.”

Doch nicht diese Art der Wörter waren für die beiden Verfasserinnen des neuen Wörterbuchs die schwierigsten Knacknüsse. Oft stellten vermeintlich einfache Wörter die grösseren Hürden dar.

“Manche Verben haben eine unendliche Anzahl von Bedeutungen, wie beispielsweise ‘fare’ (machen) oder ‘venire’ (kommen). Wie erklärt man das? Welche Bedeutungen stellt man oben an?”

Natürlich ist es unmöglich, den gesamten Wortschatz einer Sprache – von der Philosophie über die Physik und Geologie bis zur Umgangssprache – zu kennen. Ohne ein Team von Fachübersetzern hätten die beiden Wissenschafterinnen ihr Werk nie vollenden können. Darunter waren auch Spezialisten, die das in der Schweiz und in Österreich verwendete Deutsch gut kennen.

Helvetismen

Im Wörterbuch Zanichelli/Klett ist “la bicicletta” daher nicht nur ein “Fahrrad”, sondern auch ein “Velo”, wie es in der Schweiz heisst. Und wer auf dem Velo fährt, kann sich genauso eine “Verkühlung” wie eine “Erkältung” holen.

“Sowohl in Italien als auch in Deutschland gibt es je nach Region starke Sprachunterschiede. Diese wollten wir in unser Projekt integrieren”, sagt Kolb. Gleichwohl kann auch das neuartige zweisprachige Wörterbuch nicht alles abdecken. Eine Subjektivität in der Auswahl bleibt. “Eine Person mit 40 Jahren verwendet andere Wörter als eine mit 20 Jahren.”

Als Deutsche ist Susanne Kolb nicht direkt vom Problem der Schweizer Dialekte und dem Problem ihrer Verwendung in der Schule betroffen. Die Diskussion ist in der Schweiz wieder heftig entbrannt, seit jener PISA-Studie, die den Schweizer Schulkindern schlechte Noten im Lesen ausstellte.

Mundarten als Reichtum

Trotzdem hat Susanne Kolb ihre Meinung zum Thema: “Als Linguistin habe ich ein starkes Interesse am Überleben der Dialekte, weil sie eine Sprache bereichern. Und Mundarten kennt man sowohl in Italien als auch in Deutschland in den Regionen.” Für ein Wort wie “straccio” gibt es in Deutschland wegen der regional unterschiedlichen Mundarten mindestens zehn verschiedene Wörter (Tuch, Lappen, etc.)

Susanne Kolb ist eine Befürworterin der Mundarten. Wichtig sei es aber, eine didaktische Methode zu haben, um ein Nebeneinander von Dialekt und Hochsprache zu ermöglichen. Dann liesse sich auch das Problem des Spracherwerbs an Deutschschweizer Schulen lösen.

swissinfo, Raffaella Rossello
(Übertragung aus dem Italienischen: Gerhard Lob)

Das neue Grosswörterbuch Italienisch-Deutsch/Deutsch-Italienisch ist in Italien 2001 beim Verlag Zanichelli und in Deutschland 2002 bei Klett in der Reihe Pons erschienen.

Es gibt nicht nur Übersetzungshilfe der einzelnen Stichwörter, sondern gibt mit 40’000 grammatikalischen Konstruktions-Angaben Informationen über die Art, wie sich die Wörter in den verschiedensten Sätzen, Situationen und Zusammenhängen mit anderen Elementen der Sprache kombinieren.

Das italienische Kulturministerium hat das Wörterbuch Zanichelli/Klett im Mai 2003 mit dem Preis für die beste Übersetzung ausgezeichnet. Staatspräsident Carlo Azeglio Campi überreichte diesen Preis persönlich dem Verleger.

Die in Italien lebende deutsche Linguistin Susanne Kolb hat über 10 Jahre an dem Wörterbuch gearbeitet.

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