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Eine Hutmacherin wird 100

Persönlichkeit im Schweizer Hut-Geschäft: Hutmacherin Gertrud Studer-Widmer. Keystone

In der Schweiz ist der richtige Hut, beispielsweise ein Zylinder, schon lange kein Modeartikel mehr. Entsprechend klein ist das Angebot.

Die Hutmacherin Gertrud Studer-Widmer hat ihr Leben der gehobenen Kopfbedeckung gewidmet. Am Dienstag (27.09.2005) wurde sie 100 Jahre alt.

“Heute weiss fast niemand mehr, wie Hüte gemacht werden”, sagt die Hutmacherin, die am 27. September 1905 geboren wurde. Sie sitzt in einem Rollstuhl im Laden, in einer rosaroten Bluse, darüber Ton in Ton eine Jacke. Seit einem Sturz vor knapp einem Jahr lebt sie in einem Pflegeheim und verbringt nur noch einzelne Nachmittage in ihrem Geschäft.

Von ihrem Platz aus gibt sie Anweisungen: “Den können sie ein bisschen drücken, wie sie wollen”, sagt sie zu einer Kundin, die einen Regenhut kaufen will. “Und der ist zu gross”, macht sie eine andere Kundin aufmerksam.

Gertrud Studer zupft an ihrer Bluse. “Sehe ich recht aus?”, fragt sie die Verkäuferin. Diese richtet ihr die Jacke: “So, jetzt geht es wieder.” Die Hundertjährige ist immer noch sehr modebewusst.

Hut-Dynastie aus Uster

Studer-Widmer ist in der vierten Generation Besitzerin des Hutgeschäfts “Widmer’s Erben” in Uster an der Ecke Zürich- und Bahnhofstrasse, das von der Lokalpresse zu “fast so etwas wie ein Wahrzeichen” gekürt wurde. Ihr Urgrossvater Heinrich Widmer hatte 1842 in Uster eine kleine Hutfabrik gegründet.

Aus Schafwolle filzte er noch selber den Rohling für die Hüte – den Stumpen. Die Modistinnen oder eben Hutmacherinnen garnierten und verzierten dann die Hüte. Studer-Widmer hat selber keine Rohlinge mehr hergestellt: “Ich habe schnell gemerkt, dass sich das nicht rentiert.”

Sie erinnert sich an die Zeiten, wo der Hut aus dem Schweizer Alltag nicht wegzudenken war; er gehörte damals zum sonntäglichen Kirchgang und Buben erhielten zur Konfirmation die erste richtige Kopfbedeckung.

Natürlich schritt 1928 auch der Bräutigam der Hutmacherin mit einem Zylinder zur Heirat. “Ein echter Zylinder wird übrigens mit Seide überzogen,” erklärt diese. “Und nicht, wie viele Leute meinen, mit Pelz.”

Frau mit Gespür

Der Lausanner Hutlieferant Michel Curchod schwärmt von Studers Gespür: “Sie hat einen Geschmack für neue Moden und Trends, das habe ich bei keiner anderen gesehen”, sagt er.

Er habe jeweils die gleichen Modelle fürs eigene Sortiment bestellt, diese seien mit Sicherheit gut gelaufen, sagt Curchod, der selber drei Hutgeschäfte in der Westschweiz besitzt. “Sie ist eine Persönlichkeit in der Branche.”

Eine Persönlichkeit in einer Branche, die bessere Zeiten gesehen hat. Für Ernst Burkart, Präsident des Hutdetaillistenverbandes, haben neue Formen der Mobilität der Hutmode den Garaus gemacht.

“Im Auto braucht man keinen Hut mehr”, sagt er. Burkart führt das letzte von einst drei Hutgeschäften in Weinfelden im Kanton Thurgau. “Aber das heisst nicht, dass ich deswegen mehr Geld verdienen würde.”

Von Hüten allein könne man schon lange nicht mehr leben: Er hat daneben noch Schirme und Herrenmode im Sortiment.

Auch die Hut-Jubliarin Studer-Widmer kennt dieses Problem: “Dank einer treuen Kundschaft haben wir bis heute überlebt.”

swissinfo und Regula Sieber (sda)

Der Hut war bis Mitte des vergangenen Jahrhunderts zentraler Bestandteil der Schweizer Mode.

Veränderungen insbesondere in der Mobilität haben dazu geführt, dass heute nur noch wenige Hüte verkauft werden.

Der Verband von Hutdetaillisten in der Schweiz ist von über 250 Mitgliedern auf 15 zusammen geschrumpft.

Eine der Persönlichkeiten in der kleinen Schweizer Hut-Szene ist Gertrud Studer-Widmer.

Sie wird dieses Jahr 100 Jahre alt und führt in der vierten Generation ein Hutgeschäft in Uster im Kanton Zürich.

Das Geschäft mit den Hüten hat sie von der Pieke auf gelernt, ihr Laden hat aber bis heute nur dank treuer Stammkundschaft überlebt.

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