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Eisenbahn-Chef bereitet sich auf Kurswechsel vor

Benedikt Weibel, Europas dienstältester Bahnchef. Keystone

Die Schweiz hat nach Ansicht des scheidenden Chefs der Schweizerischen Bundesbahnen, Benedikt Weibel, das beste Eisenbahn-Netzwerk der Welt.

Die SBB stünden aber vor einigen Herausforderungen. Vor allem müsse der Güterverkehr (SBB Cargo) wieder auf Kurs gebracht werden, erklärt Weibel im Gespräch mit swissinfo.

Weibel war 1993 zum Direktor der SBB ernannt worden. Heute ist er der dienstälteste Eisenbahn-Chef Europas. Nach 28 Jahren bei den SBB tritt Weibel auf Ende Jahr zurück.

Danach wird er Delegierter der Schweiz für die Euro 2008, die Fussball-Europameisterschaften, welche die Schweiz gemeinsam mit Österreich durchführt.

Trotz der Erfolge Weibels hat es sein Nachfolger Andreas Meyer nicht einfach und steht vor einigen Herausforderungen. Die SBB rutschten im letzten Jahr in die roten Zahlen, dazu müssen offene Probleme mit der Pensionskasse gelöst werden. Und in der Sozialpartnerschaft gilt es, neue Verträge auszuhandeln.

Zudem hat Weibel jüngst für das kommende Jahr eine Preiserhöhung angekündigt, was in der Öffentlichkeit für Kritik sorgte.

swissinfo: Wo steht das Schweizer Bahn-Netzwerk im internationalen Vergleich?

Benedikt Weibel: Ich denke, wir haben bei weitem das beste Eisenbahn-Netzwerk der Welt. Ich weiss das, denn ich stand während vier Jahren auch an der Spitze der Internationalen Eisenbahn-Union und kenne daher auch die Netze in den anderen Ländern.

Die Dichte der Züge pro Gleiskilometer ist in der Schweiz doppelt so hoch wie in den Nachbarländern. Dazu stehen wir auch in Sachen Pünktlichkeit an der Spitze: 96% der Passagier-Züge erreichten ihren Zielort mit weniger als 5 Minuten Verspätung.

swissinfo: Sie haben eine neue Preiserhöhung angekündigt. Erhalten die Passagiere noch genug für ihr Geld?

B. W.: In Italien sind die Züge billiger, aber unsere Leistung ist viel besser, das steht ausser Frage. Und im Vergleich mit Frankreich, Deutschland und Österreich sind unsere Preise nicht höher.

Mehr als zwei Millionen Reisende haben heute ein Halbtax-Abonnement. Wer viel Zug fährt, tut das damit zu einem sehr günstigen Preis und das Preis-Leistungs-Verhältnis ist sehr gut.

Im Verlauf meiner SBB-Karriere habe ich zehn Preiserhöhungen miterlebt. Und die Reaktion in der Öffentlichkeit ist immer dieselbe. Ich verstehe ja, dass niemand es liebt, wenn die Preise steigen. Dennoch erstaunen mich die Reaktionen manchmal.

swissinfo: SBB-Cargo muss Stellen abbauen und umstrukturieren. Kann der Bereich Güterverkehr wieder auf Kurs gebracht werden?

B. W.: Hier steht die Bahn vor einer wirklich grossen Herausforderung, die Konkurrenz der Strasse ist gross und die Gewinn-Margen werden immer tiefer. Die Schweiz ist bekanntermassen kein schwer industrialisiertes Land und die durchschnittliche Transport-Strecke liegt bei nur 90 Kilometern. Das ist gut für den Lastwagen-Transport, nicht aber für die Bahn.

Anders sieht es beim Transitverkehr auf der Nord-Süd-Achse aus, von Deutschland nach Italien und umgekehrt. Die Konkurrenz zwischen Zug und Lastwagen und den verschiedenen Unternehmen ist sehr hart. Wir sind zwar gut positioniert, aber im europäischen Umfeld insgesamt nehmen wir nur einen Nischen-Platz ein.

swissinfo: Die SBB haben mit der Installation des Europäischen Verkehrsleitungs- und Zugsicherungs-System begonnen, das in der EU für neue Strecken Standard werden soll. Wie sehen Sie die Chancen?

B. W.: Bevor das System völlig harmonisiert ist, werden noch 30 Jahre oder mehr vergehen. Das Ganze ist bisher nichts als eine grosse Illusion der EU.

Das Verkehrsleitungs-System ist das wohl schlechteste Projekt in der Geschichte der Eisenbahn-Geschichte in Europa. Das Verrückteste ist, dass es sich aus betriebswirtschaftlichen Gründen nie wirklich aufdrängte.

Es ist viel einfacher, mit verschiedenen Systemen zu arbeiten und die Lokomotiven an den Grenzen zu wechseln. Das beweisen die SBB. Die verschiedenen Elektrifizierungs-Systeme in den unterschiedlichen Ländern zu ändern ist kaum möglich, weil dies viel zu teuer ist.

swissinfo: Vor welchen konkreten Herausforderungen steht Ihr Nachfolger?

B. W.: In erster Linie bei der Technologie: Unser ältestes Stellwerk stammt aus dem Jahre 1904 – und muss mit den moderneren Stellwerken zusammenarbeiten können. Zentral bleibt zudem der Güterverkehr, da es in dem Bereich so schwierig ist, keinen Verlust einzufahren.

Dazu kommt der tägliche Einsatz für Qualität und Pünktlichkeit. Jeden Tag kommt es zu über 100 Zwischenfällen, dazu gehören technischen Pannen, Probleme mit dem Rollmaterial, Selbsttötungen oder Autos auf den Gleisen.

Auch das Defizit bei der Pensionskasse ist ein Dossier, das nicht ganz aus dem Weg geräumt sein wird. Zwar haben wir jetzt ein Konzept, einen Teil des Problems zu lösen, indem wir 1,5 Mrd. Franken aus unseren Erträgen im Immobilien-Bereich frei machen.

Für meine letzten Wochen im Amt habe ich noch zwei Ziele: Den Entscheid der Regierung zu unserem Vorschlag zur Sanierung der Pensionskasse und eine Lösung mit den Gewerkschaften über die Gesamtarbeitsverträge.

swissinfo: Blick in die Zukunft: Was ist Ihre Rolle bei der Euro 2008?

B. W.: Als Delegierter der Regierung bin ich zuständig für die Koordination jenes Bereiches, der nicht direkt mit den sportlichen Aspekten des Fussballs zusammenhängt. Dazu gehören Sicherheit, Transport, Marketing, Veranstaltungen und die Gastfreundschaft.

Es ist ein bisschen wie die Arbeit, die ich bisher bei den SBB hatte. Ich werde mit Städten und Kantonen arbeiten, Leute zusammenführen müssen. Die Aufgabe ist eigentlich einfach: Die perfekte Organisation von 15 Fussball-Spielen, gepaart mit einer grossen, wundervollen Party.

Interview swissinfo: Matthew Allen
(Übertragung aus dem Englischen: Rita Emch)

Benedikt Weibel hatte seine Karriere bei den SBB 1978 begonnen. Seit 1993 leitete er das Unternehmen. Zuvor war er unter anderem Generalsekretär, Direktor Marketing Personenverkehr und Chef des Departements Verkehr.

Unter Weibel wurden die SBB in eine Aktiengesellschaft und damit in eine moderne Transportgesellschaft umgewandelt, die sich die sich zu 100% im Besitz des Bundes befindet.

Weibel stand seit 2002 auch an der Spitze der Internationalen Eisenbahn-Union (UIC), deren Generalsekretariat sich in Paris befindet.

Die UIC ist eine weltweite Organisation für die Zusammenarbeit der Bahnen. Sie befasst sich heute vor allem mit Herausforderungen wie der Liberalisierung im Bahnbereich oder dem wachsenden Wettbewerb mit anderen Verkehrsträgern.

Weibel war auch Vorsitzender des Internationalen Eisenbahn-Komitees, das sich mit juristischen Fragen beim Bahntransport befasst.

Das Schweizer Eisenbahn-Netzwerk umfasst mehr als 3000 Kilometer und gehört zu den dichtesten der Welt.

Im Jahr 2005 transportierten die SBB gegen 276 Millionen Passagiere und mehr als 56 Millionen Tonnen Güter.

Im gleichen Jahr musste das Unternehmen einen Verlust von 166 Mio. Franken verbuchen, gegenüber einem Gewinn von fast 43 Mio. im Jahr 2004.

Im Jahre 2005 hatten die SBB 25’943 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, 2,3% weniger als im Vorjahr. Im Oktober 2005 wurde im Rahmen eines Restrukturierungsprogramms bei SBB Cargo der Abbau von 650 Stellen angekündigt.

Bahn 2000 war das ehrgeizige Projekt zur Erneuerung des Schweizer Eisenbahn-Netzwerkes inklusive einer Verdichtung der Fahrpläne. Der Kostenrahmen für die mittlerweilen abgeschlossene Etappe belief sich auf 5,9 Mrd. Franken. Dazu kamen 2,3 Mrd. für Rollmaterial.

Zu Bahn 2000 gehörten 130 neue Infrastruktur-Projekte im ganzen Land; unter anderem der Bau einer neuen Strecke zwischen Mattstetten und Rothrist entlang der Hauptverbindungsachse zwischen Bern und Zürich.

Der Startschuss zu Bahn 2000 war 1987 mit einer Volksabstimmung erfolgt; Planung und Durchführung dauerten insgesamt rund 20 Jahre.

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