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Emil, ein Dreiviertel-Jahrhundert gross in Form

Keystone

Er ist der bekannteste Schweizer Komiker in Deutschland und der beliebteste Deuschschweizer Künstler in der Romandie. Der Kabarettist, Schauspieler, Autor und Teilzeitmaler Emil Steinberger wird 75.

Heute lebt er bei Montreux am Genfersee und spricht weder von einem Rückzug noch von einem Comeback. Denn er hat die Szene, ausser während seinem Exil in New York, nie verlassen.

Kluge Erscheinung, sicheres Auftreten, sportliche Eleganz, lebhafter Blick unter buschigen Augenbrauen: das ist Emil heute. Zwar sind die Haare ergraut und die Falten unübersehbar, doch die 75 Jahre sieht man dem Mann nicht an.

swissinfo: Wie fühlt es sich an, drei Mal 25 Jahre alt zu werden?

Emil Steinberger: Man beginnt nachzudenken (lacht…), aber ich realisiere tatsächlich fast zum ersten Mal, dass mein ganzes Leben geprägt war vom Bedürfnis, andere Leute zu unterhalten. Schon als Messdiener oder in der Schule spielte ich den Hanswurst. Das ging soweit, dass der Lehrer mich einmal vor die Türe raus schickte, einfach weil er nicht ernsthaft bleiben konnte, wenn er mich anschaute.

swissinfo: Für die Romands sind Sie der Deutschschweizer, der es geschafft hat, sie zum Lachen zu bringen. Wie stehen Sie als Kabarettist zur Frage der sprachlichen Grenzüberschreitung?

E.S.: Man hat mich immer gewarnt, es nicht zu tun, weil die Romands französisch sprechende Deutschschweizer nicht mögen. Dann bin ich für eine Fernsehsendung mit Lova Golovtchiner nach Lausanne gekommen, der mich gebeten hat, einen meiner Sketches zu übersetzen. Ich tat es ihm zuliebe und merkte beim Drehen, dass die Kamera wackelte, weil der Typ dahinter so lachte. Da habe ich begriffen, dass es auch auf Französisch funktionierte.

swissinfo: Das unbeholfene Französisch, das uns zum Lachen bringt, ist das Ihr Französisch?

E.S.: Ich schrieb immer im Dialekt. Für die französische Version übersetzte ich zuerst selbst und liess dann zwei weitere Übersetzungen machen. Der gesprochene Text auf der Bühne war jeweils eine Mischung aus den Drei.

Es sollte weder zu gepflegt noch zu vulgär klingen, sondern einfach. Die Leute sollten glauben, dass das wirklich das Französisch von Emil sei.

swissinfo: Und für die deutschen Vorstellungen?

E.S.: Das ist derselbe Prozess. Aber wir sprechen nicht so gerne Hochdeutsch, für uns ist das wie eine Fremdsprache. Wenn ich eine Tournee auf Deutsch beginne, komme ich in Panik. Es ist eine andere Sprache, die Sätze sind anders konstruiert und sogar die Gesten stimmen nicht mehr.

swissinfo: Sind Sie fürs deutsche Publikum auch eine exotische Erscheinung?

E.S.: Die Deutschen lachen über unsere Langsamkeit, darüber, dass wir nur halb so schnell sprechen wie sie. Aber sonst lieben sie unseren Dialekt sehr. Für sie ist das wie Musik, eine Sprache, die nicht schwer ist, die eine Melodie hat. Einerseits spotten sie über uns, andrerseits steckt dahinter auch ein wenig Eifersucht auf diese kleine Schweiz. Man sieht das an der Art wie sie lachen, wenn ein Schweizer etwas Negative über sein eigenes Land sagt.

swissinfo: 1993 zogen Sie in die USA, wo Sie als Schweizer in New York lebten. Eine bereichernde Erfahrung, aber am Anfang hart…

E.S.: Ich habe geahnt, was es bedeutet, sich in einer fremden Stadt niederzulassen, wo man die Sprache nicht sehr gut beherrscht. Man hat Hemmungen, sich in Gesellschaft zu begeben und wenn es einem nicht gelingt, seine Gefühle auszudrücken, gilt man als uninteressant. Aber es tut gut. Ich weiss nun besser, was es bedeutet, ein Ausländer zu sein.

swissinfo: Bei Ihrer Rückkehr haben Sie sich entschieden, sich mit Ihrer Frau, einer Deutschen, in Territet bei Montreux niederzulassen. Warum nicht in der Deutschschweiz?

E.S.: Ich wollte ihr die Schweiz zeigen, und wir haben in der Gegend Vevey-Montreux begonnen, die ich seit meiner Tournee mit dem Zirkus Knie kannte. In Territet sind wir auf die Statue der Sissi gestossen (die österreichische Kaiserin hat sich hier oft aufgehalten) und gleich dahinter auf ein Haus, in dem es Wohnungen zu kaufen gab. So sind wir nun seit 1999 dort.

Allerdings gehe ich oft in die Deutschschweiz, um mir Vorstellungen anzusehen. Meine Muttersprache fehlt mir. Wenn ich mit meiner Frau ins Theater gehe, lachen die Leute immer schon, wenn wir noch am Übersetzen des gerade Gesagten sind…

swissinfo: Der Komiker, der Sie sind, kommt aus einer anderen Tradition als der französische Komiker. Wie sehen Sie das?

E.S.: Für mich ist das Komische eine Kunst, es muss das Herz und die Seele berühren. Doch ich sehe mich nicht so sehr als Komiker, wie das heute verstanden wird, sondern eher als Kabarettist, das ist etwas anderes.

Es gibt kein besseres Rezept, als Szenen zu präsentieren, in denen die Leute sich selbst wiedererkennen können. Wo sie etwas sehen, das sie berührt, das sie vielleicht schon erlebt haben, etwa wenn sie sich sagen, “ja genau, so verhalten sich die Leute in einer solchen Situation”. Dann funktioniert es.

swissinfo-Interview: Marc-André Miserez
(Übersetzung aus dem Französischen: Susanne Schanda)

Emil Steinberger wurde am 6. Januar 1933 in Luzern geboren.

Er war Postbeamter, bevor er mit 27 eine fünfjährige Ausbildung zum Grafiker an der Schule für Gestaltung in Luzern begann.

1967 gründete er zusammen mit seiner ersten Frau das Luzerner Kleintheater. Später führte er ein Kino und baute gleich noch ein Atelier-Kino für Studio-Filme.

Seit seinem 20. Lebensjahr stand er als Hobby-Kabarettist auf der Bühne. Zunächst in Ensembles, später dann solo mit “Emil und die 40 Räuber”, “Emil’s Neid-Club” und “Onkel Emil’s Hütte”.

Mit den Programmen “Geschichten, die das Leben schrieb” und “E wie Emil” gelang ihm 1970 der Durchbruch in der Schweiz und später auch in Deutschland und Österreich.

Ab 1983 spielte er seine Programme in der Französischen Schweiz auch auf Französisch.

1977 war er neun Monate lang als Emil mit dem Schweizer National-Circus Knie unterwegs.

1978 spielte er eine der Hauptrollen im Film “Die Schweizermacher”.

1987 stoppte er seine Karriere als Emil und kreierte Werbespots.

1993 verliess er die Schweiz und liess sich in New York nieder.

1999 heiratete er in New York zum zweiten Mal und kehrte in die Schweiz zurück.

2000 gründete er zusammen mit seiner Frau den Verlag Edition E.

Seit 1999 steht er wieder auf der Bühne, diesmal mit einer “kabarettistischen Lesung”, mit der er in der Schweiz, in Deutschland und Österreich gastiert.

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