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Neues Erdgasfieber schürt Hoffnungen und Ängste

Fracking hat in den USA einen Gas-Boom ausgelöst. Reuters

Dank neuen Methoden zur Förderung von Schiefergas steuern die USA auf eine Selbstversorgung beim Energiebedarf zu. Auch In der Schweiz geben die neuen Fördermethoden den Befürwortern von Erdgas Auftrieb. Doch Umweltschützer warnen.

“Wir stehen am Anfang einer Revolution. Alle Theorien, wonach die Reserven an Erdgas und Erdöl auf der Erde höchstens noch 20 bis 30 Jahre reichen, kann man vergessen. Wir verfügen über Erdgas und Erdöl für mindestens 200 bis 300 Jahre”, schwärmt Patrick Lahusen, Vizepräsident der Aktiengesellschaft für schweizerisches Erdöl (Seag).

Seit über 30 Jahren sucht der Zürcher Ex-Banker nach unterirdischen Energievorkommen. Zu diesem Zweck hat er eine Reihe von Gesellschaften gegründet, Fundraising betrieben und Sondierungen durchgeführt: 8 von 18 Bohrungen, die in den letzten 50 Jahren in der Schweiz erfolgten, gehen auf seine Initiative zurück. Bisher hatten sie keinen Erfolg.

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Neue Hoffnung

Doch Lahusen ist sich sicher, dass auch unter der Schweizer Erdoberfläche Erdgas schlummert. “Es gibt kaum Chancen, Erdöl in grossen Mengen zu finden. Doch unter Druck und Hitze kann sich Erdöl in Gas verwandeln. Und genau das ist passiert, als sich die Alpen gebildet haben“, sagt Lahusen.

“Es gibt Gasvorkommen. Das konnten wir bei Probebohrungen in den letzten Jahrzehnten verifizieren”, sagt der leidenschaftliche Forscher. Tatsächlich fand man immer wieder Gas, aber nicht in Mengen, die für eine nachhaltige kommerzielle Förderung ausgereicht hätten. Der einzige ernsthafte Versuch einer Förderung, der in den 1980er-Jahren im Kanton Luzern vorgenommen wurde, dauerte nur wenige Jahre und endete mit einem Defizit von mehreren Millionen Franken.

Jetzt hat Lahusen neue Hoffnung geschöpft. “Über ein Jahrhundert lang haben wir in der ganzen Welt einen falschen Ansatz bei der Suche nach Gas und Erdöl verfolgt. Man dachte nur daran, die Kohlenwasserstoffe aus dem porösen Gestein abzuleiten, in denen sie sich angesammelt hatten. Mit der Vertikalbohrung wollte man den höchsten Punkt der Ablagerung erreichen. Auf diese Art und Weise hatte eine von sechszehn Sondierungen Erfolg. Doch seit einigen Jahren wissen wir, dass sich Gas und Erdöl auch in undurchlässigen Gesteinsschichten in grossen Quantitäten finden lässt, insbesondere in Schiefergestein. Und dank neuer Technologien wie Fracking (Hydraulic Fracturing) können wir heute auch Erdöl und Schiefergas in grossen Mengen fördern, die zudem leichter zu lokalisieren sind”, sagt Lahusen.

Erdgas ist leichter als Wasser und entsteht unter hohem Druck unter der Erdoberfläche. Es tendiert dazu, an die Erdoberfläche aufzusteigen, wo es verdampft.

Grosse Mengen an Erdgas sind aber im Inneren der Erde verblieben. Durch undurchlässige Gesteinsschichten wird ihr Ausströmen verhindert.

Bisher konzentrierte sich die Erdgasförderung auf Gasvorkommen in porösem Gestein, die in einer Tiefe von 2000-4000 Metern unter der Erde anzutreffen sind.

Seit 2007 begann man in Nordamerika mit der Förderung von Gas aus undurchlässigen Gesteinsschichten, vor allem aus Schiefergestein, aber auch aus Kohleflössen.

Seither hat die Schiefergasförderung einen Boom erlebt. US-Präsident Barack Obama erklärte vor kurzem, dass die USA nun über Erdgasvorräte für die kommenden 100 Jahre verfügten.

Der Preis für Erdgas ist in den USA stark gefallen. Der Preis erreicht nicht einmal einen Drittel der Preise in Europa. Die tieferen Energiekosten halfen bei der Ankurbelung der Industrieproduktion.

USA: Selbstversorgung

Bei diesem Verfahren wird zuerst eine vertikale Bohrung vorgenommen, bis man auf den Schiefer stösst. Dann fährt man mit einer horizontalen Bohrung fort, wobei eine wässrige Flüssigkeit mit Quarzkügelchen (Sand) und verschiedenen Chemikalien in das Bohrloch gepresst wird. Dadurch öffnen sich die Gesteinsspalten. Der Sand sorgt dafür, dass sich die Spalten nicht mehr schliessen.

Mit der Fracking-Methode hat man bei der Gasförderung insbesondere in Nordamerika erstaunliche Resultate erzielt. Die Internationale Energieagentur (IEA) ist überzeugt, dass die USA bis 2020 Saudi-Arabien als grösster Förderer von fossilen Energieträgern ablösen wird und bis 2035 ihren Energiebedarf selbstversorgend decken kann. Bei der IEA spricht man von einem “neuen goldenen Zeitalter für Erdgas” mit Reserven für 250 Jahre. Damit einher geht “eine dramatische Wende” für die Energieszenarien der Erde.

Das Fracking (Hydraulic Fracturing) kennt man als Technologie zur Förderung von Schiefergas und Erdöl schon länger, doch es wurde wegen seiner hohen Kosten und unkonventionellen Methoden selten eingesetzt.

In Folge des markanten Preisanstiegs für Rohöl in den letzten Jahren wurde die Fracking-Methode verbessert und erstmals in umfangreichem Massstab in den USA und Kanada eingesetzt.

Der grosse Einsatz von Wasser und chemischer Substanzen, um die Schieferschichten zu spalten, hat aber Umweltschützer auf den Plan gerufen. Doch der Run auf das Schiefergas konnte nur in  wenigen nordamerikanischen Staaten gebremst werden.

Letztes Jahr hat die Internationale Energieagentur IEA „goldene Regeln“ für den Abbau von Schiefergas veröffentlicht, um die Belastungen für die Umwelt und insbesondere das Risiko einer  Verschmutzung von Trinkwasser einzudämmen.

Geteilte Meinungen in Europa

Diese Szenarien schrecken die Umweltschützer auf. Denn der Cocktail mit Chemikalien, der zum Abbau des Gases in die Gesteinsschichten eingespritzt wird, kommt teilweise wieder an die Oberfläche. “Die Risiken dieser Technologie, so wie sie heute eingesetzt wird, sind für die Umwelt nicht hinzunehmen – vor allem für das Grund- und Trinkwasser und damit letztlich für den Menschen”, sagt Michael Casanova von der Naturschutzorganisation Pro Natura.

Während auch in den USA Umweltschützer gegen Fracking opponieren, hat sich Europa in Bezug auf die Einschätzung dieser neuen Methode gespalten. Länder wie Frankreich und die Niederlande haben ein Verbot erlassen, während Polen und Ungarn sich für die Anwendung dieser Technik zur Förderung von Gas ausgesprochen haben. In der Schweiz will die Landesregierung vor einer offiziellen Stellungnahme zuerst die internationalen Erfahrungen abwarten. Einige Kantone haben sich für ein Verbot ausgesprochen.

“Es gab einige Fälle von Verunreinigungen sowie Unfälle, doch in jüngster Zeit hat man neue Normen für den Umweltschutz eingeführt”, sagt Lahusen. Es gäbe jetzt auch eine neue Methode ohne das Einspritzen von Wasser und Chemikalien. Man verwende flüssiges Propan, das nach dem Fracking in gasförmigem Zustand an die Oberfläche ströme, dort gespeichert und wieder verwendet werde.

Das neue Gasfieber

Diese Methode wird auch vom Unternehmen eCorp International angewandt, das im Januar in Zürich seinen neuen Europasitz eröffnet hat, um Sondierungen in der Schweiz und anderen europäischen Ländern durchzuführen. Das US-Unternehmen will in den nächsten Jahren in Zusammenarbeit mit der Firma Seag von Patrick Lahusen rund 30 Sondier-Bohrungen in der Schweiz durchführen.

“Ich habe acht Bohrungen in 30 Jahren gemacht, nun werde ich 10 in nur zwei Jahren machen“, sagt ein euphorischer Patrick Lahusen. “In den bisherigen Sondierungen haben wir immer Schiefer durchbohrt, ohne zu wissen, dass eine Förderung schon auf dieser Gesteinsschicht möglich ist.”

Auch andere Gesellschaften haben Konzessionsgesuche für Bohrungen gestellt. Umweltschützer sind ob dieses Gasfiebers besorgt. “Nach Fukushima ist die Schweiz in ein neues Energie-Zeitalter eingetreten. Wenn wir nun nach neuen Erdgasreserven suchen, wird es einen Rückschlag für die Nutzung der erneuerbaren Energiequellen und für das Ziel einer besseren Energieeffizienz geben”, sagt Michael Casanova.

(Übertragung aus dem Italienischen: Gerhard Lob)

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