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Erst Deregulierung – dann Überdruss

Zu viele Restaurants buhlen in der Schweiz um die Gunst der Kunden. swissinfo.ch

Es gibt zu viele Restaurants in der Schweiz. Für einmal sind sich Wirte und Gewerkschaften einig.

Nun wollen die Branchenvertreter in der kleinen Welt der Gastrobetriebe Ordnung schaffen. Einige von ihnen um jeden Preis.

In der Schweiz gibt es insgesamt gegen 30’000 Restaurations-Betriebe. Gemäss Schweizerischem Cafetier-Verband sind dies 10’000 – also gut ein Drittel – zu viel.

Gastgewerbe und Hotellerie bieten für die rund sieben Millionen Einwohner mehr als drei Millionen Sitzplätze an. Diese Zahl sei aus wirtschaftlicher Sicht zu hoch, meint auch Gastro-Suisse, der Verband für Hotellerie und Restauration.

Was tun?

Viele Betriebe würden nicht rentieren und sich dadurch verschulden, erläutert Gastrosuisse-Direktor Florian Hew gegenüber swissinfo. Personal müsse entlassen werden und Dienstleistungen würden abgebaut, was ein Image-Problem für die ganze Branche darstelle.

Mitte Dezember ist der Schweizer Cafetier-Verband nun in die Offensive gegangen. Pächter sollen pro Sitzplatz über ein Eigenkapital von 2000 Franken verfügen, bei Besitzern von Cafés sollen es 6000 Franken sein, lautet der Vorschlag.

Gastrosuisse-Direktor Hew ist nicht der Meinung, dass das Problem mit einem festgesetzten Minimalkapital für angehende Wirte gelöst werden kann. Er findet aber, es wäre nützlich, wenn professionell erarbeitete Geschäftspläne zur Verfügung stünden, bevor jemand einen Gastro-Betrieb eröffnet.

Zu wenig qualifizierte Wirte



Die Branche ist gemäss Eric Dubuis, Gewerkschaftssekretär der Hotel & Gastro Union ein Opfer mangelnder Professionalität. “Drei bis vier Monate Kurs, ist das genug für ein Wirtepatent? Für mich heisst die Antwort klar nein”, sagt er.

Den Wirten fehle es oft an Qualifikationen, und sie beschäftigten Angestellte, die manchmal qualifizierter als sie selbst seien. In sämtlichen Westschweizer Kantonen sei eine Wirteprüfung zum Beispiel obligatorisch, was in anderen Kantonen, wie in Zürich, nicht der Fall sei, betont der Vize-Präsident der Genfer Cafetiers, Jean-Luc Piguet.

In Genf hätten viele Arbeitslose, beispielsweise ehemalige Bank- oder Versicherungs-Angestellte, ein Café eröffnet, so Piguet. “Aber man wird nicht einfach so Gastwirt.”

Nicht verallgemeinern



Gastrosuisse-Direktor Hew wehrt sich gegen eine Pauschalisierung: Die Mehrzahl der Gastro-Unternehmer sei auch heute gut ausgebildet, verfüge über die nötigen Kenntnisse und habe genügend Erfahrungen im Beruf sammeln können. Problematisch werde es aber, wenn immer neue Betriebe eröffnet würden – ohne die nötigen finanziellen oder auch professionellen Voraussetzungen.

Wenn es vom Standort oder vom Konzept her dann nicht stimme, so Hew gegenüber swissinfo, sei der Schaden programmiert, und es gebe Konkurse.

Keine fertigen Lösungen

Jean-Luc Piguet spricht sich gegen protektionistische Lösungen aus: “Man darf die Leute nicht daran hindern, sich in diesem Metier zu betätigen, man darf sie nicht daran hindern zu arbeiten.”

Auch er will bei der Bildung ansetzen. “Wir müssen uns ernsthafter darstellen und anspruchsvoller bei den Berufsprüfungen werden. Es geht nur über den Schutz des Berufs und gleichzeitig des Kunden.”

Bei der Gewerkschaft Hotel & Gastro Union tönt es ähnlich. “Die Qualifikation von Wirt und Angestellten muss erhöht werden, um aus dem Kreislauf heraus zu gelangen, dass ein schlecht verwaltetes Café nur mit billigerem und weniger kompetentem Personal auskommen kann.”

Folgen der Deregulierung



Ohne Veränderungen wird die Situation nach Ansicht von Piguet nur noch schlechter werden. Die Konsolidierung der Branche wird sich vielleicht vollziehen, “aber langsam”. Viele Restaurants werden mehr schlecht als recht leben, ohne über Mittel für Investitionen oder Renovationen zu verfügen.

In den 90er-Jahren sollte mit der Abschaffung der aus den Anfängen des Jahrhunderts stammenden Bedürfnisklausel die Branche liberalisiert werden. Der gewünschte Effekt trat jedoch nicht ein.

swissinfo, Monika Lüthi und Agenturen

In der Schweiz gibt es fast 30’000 Restraurations-Betriebe.

Auf die 7 Millionen Einwohnerinnen und Einwohner in der Schweiz kommen mehr als drei Millionen Sitzplätze.

Gemäss Schweizerischem Cafetier-Verband sind dies 10’000 zu viel.

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