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Euro 08-Stadt Zürich, nüchtern und trendy

Blick auf das Niederdorf mit dem Grossmünster. Keystone

Zürich ist die Schweizer Wirtschaftsmetropole und die grösste Stadt der Schweiz. Hier läuft etwas, die Stadt ist voller Lebenslust.

Definition eines Gnoms: “Kleiner, hässlicher und missgestalteter Geist, der im Erdinnern wohnt und die Schatztruhe hütet.”

Der Ausdruck “die Gnomen von Zürich”, wie die lokalen Banker in nicht gerade schmeichelhafter Weise genannt werden, stammt offenbar aus den 1960er-Jahren, als England wütend war darüber, dass die Deutschschweizer Stadt sich zum internationalen Finanzplatz mauserte.

“Zürich ist die Zwinglistadt, ist also protestantisch. Und damit ziemlich nüchtern”, beschreibt der Bündner Sprachwissenschafter Chasper Pult die Stadt.

“Aber der Protestantismus hat den Kapitalismus und die Banken hervorgebracht, man spürt, dass diese Stadt vom nationalen und internationalen Kapital geleitet wird.”

Zürich ist ein Finanzplatz, aber es ist auch eine menschliche Stadt. Sie ist ein Ort der internen Migration, wie Pult erklärt. “Zürich ist die geheime Hauptstadt der Romanisch-Bündner. Für sie ist Zürich ein Auswanderungsort, weil sie wirtschaftlich von der deutschsprachigen Schweiz abhängig sind.”

Das gilt auch für die Tessiner. “Das Tessin sieht in Zürich eine ältere Schwester. Man denkt immer, wenn man in Zürich studiert, dann ist man arriviert!”, stellt Steve Lee, Sänger der Rockband Gotthard, fest. Lee wurde in Zürich geboren, lebt aber im Tessin.

Obwohl viele Leute aus beruflichen Gründen in Zürich leben, ziehen auch nicht wenige Reiche aus Zürich fort in die umliegenden Kantone Zug und Schwyz – aus steuerlichen Gründen. Zürich sei “eine nervöse Stadt, wie alle Metropolen”, meint Lee.

“Downtown Switzerland”

Der Neuenburger Ethnologe Jacques Hainard sieht es ähnlich: “Die Stadt kann aggressiv scheinen. Es ist eine schnelle Stadt; wer nicht genau versteht, was da läuft, kann sehr schnell aus der Fassung geraten”, sagt er.

“Zürich ist eine herausfordernde Stadt. Denn man muss mit der Zeit gehen, im Trend sein, um im Zürcher Tempo zu leben. Und gleichzeitig ist es eine Stadt, die Energie gibt, die zum Denken, zum Vorwärtsgehen anregt.”

Für viele Schweizerinnen und Schweizer ist Zürich “arrogant”. Zu diesem Image hat die Stadt sicher selber beigetragen, nennt sie doch ihren Flughafen “Unique Airport”, ihre Technische Hochschule “Science City” und sich selber “Downtown Switzerland”.

Aber viele akzeptieren das: “Es ist nötig, dass ein Teil der Bevölkerung immer zuerst ans Business denkt. Denn in der Schweiz könnten wir ohne Business nicht überleben, deshalb hat das schon auch seinen Platz”, meint der Kabarettist Emil Steinberger.

Das andere Zürich

Zürich, Geld und Business? Ja, aber nicht nur. Steve Lee findet, die Stadt habe ihre Seele bewahrt.

“Es ist eine Metropole, aber es gibt noch immer ein paar wunderbare Winkel. Wenn man gegen die Limmat hinunter geht, sieht man Häuser von einer sehr schönen, typisch zürcherischen Architektur. Der Zürcher gilt als etwas grobes ‘Grossmaul’, aber Herz und Tradition sind am rechten Fleck!”

Für Emil war Zürich immer vor allem ein kultureller Mittelpunkt: “Als Luzerner brauchte ich Zürich immer. Ich ging viel dort ins Theater, die kulturelle Szene ist sehr interessant. Wir vergessen oft, dass neben den 45’000 Personen, die im Finanzsektor arbeiten, auch 36’000 in der Kultur oder im kreativen Bereich arbeiten, Das ist sehr viel.”

Zürich beschränkt sich überhaupt nicht auf das Milieu der grossen Banken. “Die Stadt lebt Tag und Nacht”, sagt Lee, der als Rocker sicher weiss, wovon er spricht. Bars, Musik, Oper, Theater. Alternative Kunst in der Roten Fabrik. Das Brodeln ist gleichzeitig volkstümlich, multikulturell und trendig dank dem berühmten Bezirk “Kreis 5”.

Schweizerischer als Genf

Zürich, farbig und international? “Dank der grossen Einwohnerzahl hat man vielleicht den Eindruck, dass die Stadt sich in Richtung Multikulturalismus entwickelt”, antwortet Pult.

“Das ist überall etwa gleich, und diese ethnischen Einflüsse, die andere Sicht auf die Welt, tut unseren Schweizer Städten gut. Aber Zürich hat nichts gemein mit dem wirklichen Multikulturalismus von Genf zum Beispiel.”

Diesen Unterschied analysiert Hainard auf seine Weise: “Zürich ist die wirtschaftliche Macht in unserem Land. Aber trotz seiner Kultur, trotz seiner Finanzstärke, trotz seiner besonderen Beziehungen zur ganzen Welt, ist die Stadt für mich paradoxerweise viel schweizerischer als Genf. Zürich hat eine helvetische Internationalität, während Genf eine Genfer Internationalität hat, wenn man so sagen kann.”

swissinfo, Bernard Léchot, Luigi Jorio und Marc-André Miserez
(Übertragung aus dem Französischen: Charlotte Egger)

Zürich ist deutschsprachig und liegt im Nordosten der Schweiz, am Nordende des Zürichsees.

Es ist die Stadt mit der grössten Einwohnerzahl des Landes. Die Gemeinde zählt etwa 412’000, die Agglomeration nahezu 1,2 Millionen Einwohner.

Die Bedeutung der Agglomeration hängt vor allem vom Wirtschafts-, Finanz- und Handelsplatz ab.

Vierzig der hundert wichtigsten Unternehmen des Landes sind hier angesiedelt.

Zürich gilt als Wirtschafts-Hauptstadt der Schweiz, während Bern die politische Hauptstadt ist.

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