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Schweiz hilft im Kampf gegen Wucher an der Moldau

Konsumikonen bringen auch manchen Tschechen in Versuchung, zum teuren Privatkredit zu greifen - mit dem Risiko, bankrott zu gehen. Bild: Luxusautos in Prag. Visum

In Tschechien werden für Privatkredite oft exzessive Zinsen verlangt. Kein Wunder, dass viele Schuldner bei der Rückzahlung straffällig werden. Nun soll das Kleinkreditwesen modernisiert werden – auch mit Mitteln aus der Schweizer Kohäsionsmilliarde.

Hradschin, Moldau und Karlsbrücke, Altstadt und Wenzelsplatz:  Prag ist eine der schönsten Städte Europas und ein Paradies für kulturbeflissene Städtetouristen mit viel Cash und Creditcards in der Tasche. Aber hinter den Vorzeige-Fassaden der 1,2-Millionen-Stadt verbirgt sich auch eine andere Konsum-Wirklichkeit: Schulden statt Cash, Strafzinsen statt Kreditkarten-Bezüge.

Vaclav ist einer unter vielen: Der 40-jährige Vater einer Tochter war lange Zeit ein unbescholtener Bürger. Gewöhnt an ein steigendes Einkommen, erwischte ihn die vor einigen Jahren einsetzende Wirtschaftsflaute auf dem falschen Fuss.

Vaclavs Schulden hatten sich innert weniger Jahre  zu einem Berg von 50’000 Franken angehäuft – ein stattlicher Betrag für Tschechien, wo ein Durchschnittseinkommen rund  1200, der häufigste Lohn aber 800 Franken beträgt.

Vaclav ist wegen Betrugs straffällig geworden, weil er sich nicht mehr anders zu helfen wusste, den Betrag zurück zu zahlen.

Gefängnis teurer als Wiedereingliederung

Vaclav ist einer von vielen Insassen in den tschechischen Gefängnissen, die in der Not zu Betrügern wurden. Aber wie er sein Budget verwalten, die Betreibungen abwenden und seine Schulden sanieren könnte, hat ihm dort niemand gezeigt.

Leute wie Vaclav in die ohnehin überfüllten Gefängnisse zu stecken, mache wenig Sinn, sagt Pavel Stern, Direktor des tschechischen Amts für Bewährungshilfe und Mediation, einer Abteilung des Justizministeriums. Vaclavs Gefängnisaufenthalt würde den Staat mehr kosten, als ihn in die Gesellschaft zu integrieren, selbst für den Fall, dass er insolvent bleiben sollte.

Wucherzinsen

Tschechische Kleinkredit-Institute können bei Zahlungsverzug für ihre Darlehen bis zu 60% Rückzahlung in Form von Zinsen, Gebühren und Abzahlungen fordern, sagt Pavel Stern. Die bestehende Gesetzgebung sehe vorläufig auch nichts gegen solche Praktiken vor.

Sein Amt hat den Auftrag, das Justizwesen zu modernisieren. Unterstützung erhält er von verschiedenen NGOs und aus der Schweiz. Im Rahmen des Erweiterungsbeitrags für die neuen EU-Länder, der sogenannten Kohäsionsmilliarde, finanziert der Bund auch mehrere Projekte in Tschechien.

Eines davon hat zum Ziel, die Reintegration der Straffälligen zu verbessern. Im Projekt engagiert sind auch Experten des Zürcher Vereins zur Entwicklung der Bewährungshilfe in Osteuropa (VEBO). Der Verein, bei dem unter anderem ehemalige Fachleute der kantonalen Vollzugsdienste aus der Schweiz mitmachen, ist schon seit einem Jahrzehnt in Tschechien tätig.

“Transparentes Lobbying” gegen Wucherzinsen

“Mit Bürgern, deren Schulden saniert werden müssen, haben die Schweizer Behörden seit fast 40 Jahren zu tun”, sagt der VEBO-Projektverantwortliche Peter Gründler gegenüber swissinfo.ch.

Um das Projektziel zu erreichen, wird ein “transparentes Lobbying” (Stern) für ein wirksames Gesetz gegen Missbräuche im Kleinkreditwesen  angestrebt.

Auf Widerstand stösst das Projekt nicht nur bei den Privatkredit-Instituten, sondern vor allem auch bei den vielen kleinen, ‘wilden’ Kreditgebern, die ihre Kundschaft gezielt unter den Armen suchen, weil sie es auf deren garantierte Sozialhilfe abgesehen haben.

Peter Gründler weist auf ein weiteres Problem hin: “In Tschechien ist der Staat im Unterschied zur Schweiz noch nicht bereit, bei einem Vergleich mitzumachen, zum Beispiel im Entgegenkommen bei Gerichtskosten oder beim Strafvollzug. Deshalb wollen auch die privaten Gläubiger, also die Banken,  bei solchen Vergleichen nicht mitmachen.”

“Mangels geeigneter Instrumente schenken die Kreditgeber der Bonität ihrer potenziellen Kunden zu wenig Aufmerksamkeit”, so Gründler: “Sie verlassen sich ausserdem auf ein sehr gläubigerfreundliches Zwangsvollstreckungsrecht.”

Allianz gegen Schulden

Die Projektträger haben im Frühling in Tschechien eine Fachallianz gegründet,  um der Zunahme der Verschuldung Einhalt zu gebieten. Die Allianz schlägt unter anderem vor, dass bereits die Schüler im Grund- und Mittelschulunterricht für ein  Finanzbewusstsein sensibilisiert, die Verpfändung gesetzlich geregelt und die Regulierung der Verbraucherkredite angepasst werden sollen, damit nur zahlungsfähige Kreditsuchende Geld aufnehmen können.

Laut Pavel Stern vom tschechischen Justizamt stammen die Lehrgänge für den Unterricht aus der Schweiz. Auch würden Schweizer Fachleute eine wesentliche Rolle bei der Lösung der privaten Verschuldungsprobleme in Tschechien spielen.

“Es braucht einen langen Atem”, ergänzt Gründler. “Auch in der Schweiz dauert es bekanntlich mehrere Jahre, bis Gesetze und Gewohnheiten endlich revidiert werden.”

2010 sassen 204 Straftäter pro 100’000 Einwohner in tschechischen Gefängnissen.

In der Schweiz beträgt dieser Anteil 74.

Die Rückfall-Quote von Gefängnisinsassen beträgt 61%.

Bewährung- und Rehabilitierungsprogramme spielen eine Schlüsselrolle in der Reintegration dieser Zielgruppen und vermögen die Rückfall-Quote zu vermindern.

Die Programme sind auch dazu geeignet, die Zahl der Gefängnisinsassen zu reduzieren, die Gesellschaft besser gegen Kriminalität zu schützen und darauf verwendete öffentliche Ausgaben einzusparen.

Die Schweiz unterstützt die Tschechische Republik für die Jahre zwischen 2007 und 2017 mit 110 Mio. Franken. (Zum Vergleich: Die EU-Fördergelder betragen für 2007/13 26,3 Mrd. Euro).

Das Geld stammt aus dem Erweiterungsbeitrag (“Kohäsionsmilliarde”), den das Schweizer Volk 2006 genehmigt hat, zwei Jahre nach dem Beitritt der zehn neuen Länder Europas zur EU.

Die Mittel sind zur Verminderung der wirtschaftlichen und sozialen Ungleichheiten bestimmt. Sie werden nicht einfach zur Verfügung gestellt, sondern gehen in konkrete Projekte in den Bereichen Sicherheit, Stabilität, Reformen, Umwelt, Infrastruktur, Privatsektor-Förderung sowie menschliche und soziale Entwicklung.

Die Umsetzung der Projekte wird vom Schweizer Erweiterungsbeitragsbüro in Prag begleitet. Es koordiniert seine Arbeit mit der Nationalen Koordinationsstelle im tschechischen Finanzministerium.

Studien zeigen auf, dass eine Schulung während des Strafvollzugs dazu beiträgt, die Rückfallquote nach dem Verbüssen der Strafe zu senken.

In der Schweiz sollen bis 2015 rund 27 Haftanstalten ihren Gefangenen Unterricht anbieten, entschied 2009 die Konferenz der Kantonalen Justiz- und Polizei-Direktoren.

Der Kanton Zürich hat für bestimmte Kategorien von Straftätern zugeschnittene Lernprogramme zusammengestellt.

Beispielsweise für Raser, also für Leute, die immer wieder zu schnell fahren, oder für häusliche Gewalttäter. Sie werden vom Richter verpflichtet, solche Programme zu besuchen.

Das tschechische Bewährungs- und Mediationsamt unter der Leitung von Pavel Stern hat mehrere solche Programme übernommen. Diese können kurzfristig erfolgreich umgesetzt werden.

Auch diese Programmübernahmen werden vom Schweizerischen Erweiterungsbeitrag unterstützt.

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