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Fancamp fest in “Oranjer”-Hand

Jan und Dora folgen ihrer Nati mit ihrem Camper überall hin. swissinfo.ch

Keine Nationalmannschaft hat so viele treue Fans wie die holländische: 80'000 sollen sich allein in und um Bern aufhalten. swissinfo nahm einen "oranjen" Augenschein im Fancamp Dieterswil bei Bern.

“Ich habe für die Euro eine Woche Ferien geopfert”, sagt Pej Schmidt. “Geopfert ist das falsche Wort. Natürlich ist es für mich eine Freude, Ferien für unser Nationalteam zu machen. Jeder Holländer muss für die Nationalmannschaft Ferien nehmen.” Der Grafiker aus Groningen ist seit Sonntagabend hier und bleibt bis am Samstag.

Das Fancamp Bern befindet sich 14 Kilometer ausserhalb der Hauptstadt auf einer riesigen Wiese. Orange ist die dominierende Farbe: Zelte, Wohnwagen, Camper, Busse, T-Shirts, Kappen, Masken, Sonnenschirme, Schuhe – alles “oranje”.

Das Mini-Fussball-Woodstock bietet Platz für rund 10’000 Personen, inklusive sanitären Einrichtungen und einem enormen Public-Viewing-Zelt.

Oranje-Fans als nationales Phänomen

“Die Nationalmannschaft ist einfach etwas Spezielles”, sagt Pej. “In der holländischen Liga bekämpft man sich gegenseitig, für das Nationalteam stehen alle zusammen.”

Begonnen habe die grosse Oranje-Welle eigentlich nach dem EM-Titelgewinn von Holland 1988 mit den drei Grossen Ruud Gullit, Marco van Basten und Frank Rijkaard vom AC Milan. “Jetzt ist es schon fast Tradition.”

Für das Lehrerehepaar Jan und Dora Bass ist die Nationalmannschaft an der Euro ein Fest. “Da müssen wir dabei sein – auch ohne Tickets für ein Spiel”, sagt Jan. Und Dora fügt bei: “An der EM 2000 in Holland und Belgien, an der EM 2004 in Portugal, an der WM 2006 in Deutschland, überall”.

In Holland gibt es einen Verein der Freunde der Nationalmannschaft, dem rund 60’000 Mitglieder angehören. Stolz zeigt Pejs Freund Kim seinen persönlichen Vereinsausweis. Aber grimmig brummt er: “60’000 Leute sind wir, und ganze 3000 Tickets für die ersten drei Spiele unserer Nati gabs für uns.”

Holländer und die Schweizer

“Wir haben am Mittwoch das Spiel Schweiz–Türkei auf dem Bundesplatz geguckt. Es war super, mit den Schweizer Fans zu feiern und zu trinken”, sagt Naxel aus Venlo.

“Wir haben viele Freunde gewonnen. Ich denke nicht, dass das bei anderen Ländern oft passiert. Wir sind orange dahin gegangen und rotweiss zurück gekommen.”

Tim Neiss findet es schade, dass die Schweiz draussen ist. “Aber ich habe gestern mein Holland-Trikot gegen ein Schweizer Trikot getauscht, weil die jetzt Holland-Fans werden wollen.”

Und Pej fügt bei: “Die Schweizer taten uns nach der Niederlage gegen die Türkei so leid, dass wir sie mit viel Bier getröstet haben.”

Lieber ohne Frauen

Frauen sind in Dieterswil ganz eindeutig in der Minderzahl. “Fussball ist ja auch ein Männersport”, begründet dies Tim. Auf den Einwand, Deutschland sei Fussball-Frauen-Weltmeister meint er: “Na ja, da schaut ja eh keiner hin.”

“Frauen und Fussball, das geht nicht immer zusammen”, meint Theo. “Die Frauen schauen Fussball zu Hause. Das ist gut so. Wenn Jungs zusammen sind, ist das eine spezielle Atmosphäre. Aber wir kehren wieder zu unseren Frauen zurück”, lacht er.

“Schweizer Bier macht Kopfweh”

Holländer sind bekannt dafür, dass sie Speis und Trank aus ihrem eigenen Land mitnehmen, sei es nach Spanien, Italien oder an die Euro 08 in der Schweiz.

“Wir nehmen immer alles von Holland mit, im Kühlschrank. In der Schweiz isst man Schokolade. Man kann doch nicht den ganzen Tag Schokolade essen”, grinst Tim. Zudem verursache das Schweizer Bier Kopfschmerzen.

“Ja, wir haben holländische Knakworst, Suppe und Bier dabei. Aber wir essen auch in der Stadt”, sagt Naxel. “Aber dort waren wir bei McDonalds. Ich weiss nicht, was die Schweizer Küche anzubieten hat.”

Die Holländer pflegen neben dem Fussball noch andere Interessen: Pej und Kim zum Beispiel machten einen Ausflug nach Lausanne. “Wunderschön, dieser grosse See dort”, schwärmt Pej. “Wir besuchten neben dem Training unserer Nati auch das Olympische Museum – man muss auch ein bisschen Kultur machen, das gehört dazu.”

Und Naxel macht mit seinen Freunden einen Veloausflug nach Bern. “Dort muss ein Bär sein, den wollen wir uns anschauen.”

Grosse Hoffnungen

“Holland wird am Freitagabend 2:1 gegen Frankreich gewinnen. Und wir werden weiterkommen und erste, hoffe ich”, sagt Theo. “Es gibt vier gute Mannschaften: Portugal, Spanien, Deutschland und Holland. Ich denke, die werden alle bis zum Halbfinal gelangen. Im Final werden Holland und Portugal spielen – Deutschland wäre uns auch recht…”

Aber Kim warnt vor allzu grosser Euphorie: “Nur nicht überheblich werden. Plötzlich gibt’s wieder irgend welche persönlichen Reibereien im Team, wie fast bei jedem Turnier, und dann geht’s schlecht.”

swissinfo, Jean-Michel Berthoud und Etienne Strebel

Das Fancamp verfügt über einen 40’000 m2 grossen Campingbereich. Geboten werden genügend Duschen, Waschgelegenheiten und Toiletten.

Der Campers-Shop bietet Lebensmittel und Campingartikel zu normalen Detailhandelspreisen an.

Das Gelände wird rund um die Uhr bewacht.

Preise (pro Nacht): 32 Franken (20 Euro) für Erwachsene, 22 Franken (13,75 Euro) für Jugendliche bis 16 Jahre, Kinder bis 6 Jahre übernachten kostenlos.

Inbegriffen ist die Nutzung der Infrastruktur (wie z.B. Parking) und der Zutritt zur Eventzone.

Die Schweiz und Österreich wurden als Ko-Organisatoren automatisch für das Fussball-Ereignis vom 7. bis zum 29. Juni 2008 qualifiziert.

Die 31 Spiele werden in 4 Schweizer Städten (Basel, Bern, Genf, Zürich) und in 4 österreichischen Städten (Innsbruck, Klagenfurt, Salzburg und Wien) ausgetragen.

Eröffnet wurde die Euro 2008 am 7. Juni in Basel. Der Final findet am 29. Juni in Wien statt.

Die EM-Begegnungen werden in 170 Ländern im Fernsehen übertragen. Die kumulierte Zuschauer-Zahl über das gesamte Turnier hinweg soll bei rund 8 Milliarden liegen.

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