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Fatih Terims Ein- und Ausblicke

Keystone

Erstmals seit den Tumulten nach der WM-Barrage im Herbst 2005 hat sich der türkische Nationalcoach gegenüber einem Schweizer Medium zur Euro 08 geäussert. Fatih Terim schätzt die Gruppe mit der Schweiz als schwierig ein.

Seit dem Out der Türkei in den Entscheidungsspielen gegen die Schweiz im November 2005 für die WM 2006 in Deutschland hat sich vieles entspannt – auch Terim selber. Der Groll ist nach einer schwierigen Phase der Zuversicht gewichen.

Zur Schweiz habe er vor und nach der ominösen Barrage gute Beziehungen gepflegt. Seine Frau hat einst in Crans-Montana gelebt und studiert. Und Freunde von ihnen beiden lebten in der Schweiz, sagt Terim.

Vor acht Jahren führten Sie Galatasaray Istanbul zum Triumph im UEFA-Cup. An der vorletzten WM gewann die Türkei Bronze. Wann schreibt der türkische Fussball die nächste Erfolgsgeschichte?

Fatih Terim: Vielleicht ist diese Geschichte gar nicht mehr so weit entfernt. Wir haben bald eine wichtige Plattform dazu…

In der Schweiz wurde der EM-Titelgewinn vom Fussballverband zum Ziel erklärt. Wie sieht die türkische Erwartungshaltung aus?

F.T.: Ich erinnere mich nicht, dass von uns je nur wenig erwartet worden ist. Die Türkei hat an der WM 2002 den 3. Platz erreicht. Das Volk erwartet von der Nationalmannschaft das Höchste.

Die Schweizer Nationalmannschaft hat derzeit mit erheblichen Schwierigkeiten zu kämpfen. Das 0:4 gegen Deutschland in Basel wirft Fragen auf. Wie schätzen Sie das Team ein?

F.T.: Ich denke, die Schweiz wird ihren Heimvorteil gut nutzen. Das ist ein ganz wichtiger Pluspunkt. Und die Schweiz verfügt über eine gute Mannschaft. Die Resultate aus den Vorbereitungsspielen können nie einen Aufschluss über den Ausgang von Ernstkämpfen geben.

Die Gruppe mit der Schweiz und der Türkei ist sehr ausgeglichen besetzt. Wie stufen Sie die weiteren Gegner Portugal und Tschechien ein?

F.T.: Portugal stand vor vier Jahren im EM-Final. Tschechien ist praktisch Dauergast an grossen Turnieren. Viele glauben immer, wenn nicht Frankreich, Italien oder Deutschland in der Gruppe spielen, wird es automatisch einfacher sein. Tschechien und Portugal sind sehr ernst zu nehmende Gegner.

Die “Heim-WM” in Deutschland haben Sie knapp verpasst, nun kündigt sich eine “Heim-EM” in der Schweiz an. Sehr viele türkische Emigranten leben im EM-Gastgeberland oder in benachbarten Ländern.

F.T.: Die türkischen Zuschauer werden an diesem Festival teilnehmen, egal woher sie kommen, wie sie kommen – sie kommen ganz sicher. Die Verbindung zu unserem Publikum ist gross und wichtig. Es kann sein, dass wir vor 3000 bis 4000 Zuschauern trainieren.

Gestatten Sie einen Rückblick. Wie sehr hatte das türkische Team unter der verlorenen WM-Barrage gegen die Schweiz zu leiden?

F.T.: Wir starteten mit der schwierigsten Ausgangslage aller Teams zur EM-Qualifikation. Wegen der FIFA-Strafen mussten wir auswärts und ohne Publikum spielen. Das war keine einfache Situation. Dazu kam die heftige Kritik der Presse. Die psychische Belastung war gross. In dieser Phase rückten Trainer, Verband und Spieler ganz nahe zusammen.

Empfanden Sie die Bestrafung nach den Tumulten in Istanbul als ungerecht?

F.T.: Wir wurden sehr hart bestraft. Aber daran können wir nichts mehr ändern. Ich will auch nicht sagen, was falsch oder richtig ist. Die Zeit ist nicht still gestanden. Ich darf Sie darauf hinweisen, dass wir in den zwölf Spielen der Qualifikation eine richtige Gentleman-Mannschaft waren und keine direkte rote Karte bekamen.

Wird das nächste Duell Schweiz-Türkei nicht mehr ausarten? Wie sieht Ihre Botschaft an den Gastgeber der EM aus?

F.T.: Seit der WM-Barrage haben sich die Beziehungen entspannt. Wir pflegen auf Junioren-Ebene einen regen Austausch. Ich wünsche mir, dass auch an der EM alles reibungslos klappt und alles freundschaftlich ablaufen wird. Die Geschichte soll ruhen, für uns ist das abgeschlossen. Blicken wir vorwärts.

Ihr Image hat in der Schweiz unter den schweren Vorfällen erheblich gelitten. Viele kennen Sie nur als den “bösen” Trainer mit den funkelnden Augen. Beschreiben Sie sich selber ein wenig genauer.

F.T.: Man muss zwischen der Seitenlinie und dem privaten Leben trennen. Am Spielfeldrand bin ich zu 100 Prozent auf den Erfolg fokussiert. Dem Sport habe ich meine wichtigsten Erfolge zu verdanken, Fussball ist mein Leben.

Es gibt aber auch Raum für den geistreichen, witzigen, kommunikativen und kreativen Menschen. Ich bin ein natürlicher Typ, ich lache gern, wenn etwas witzig ist. Ich bin kein aggressiver Mensch, das möchte ich betonen.

Interview: Sven Schoch, Istanbul (Sportinformation Zürich)

Fatih Terim, am 04.09.1953 in Adana geboren, ist einer der erfolgreichsten Fußballspieler und -trainer der Türkei.
Als Spieler war er als Libero in den Vereinen Adana Demirspor und Galatasaray Istanbul tätig. Er war lange Zeit Rekordnationalspieler der Türkei.

In seiner aktiven Laufbahn gewann er mit Galatasaray (1974/75 – 1984/85) nie die türkische Meisterschaft, als Trainer dafür vier Mal hintereinander (1996 bis 2000). Zudem wurde er zweimal türkischer Pokalsieger. Hinzu kam noch der Gewinn des UEFA-Pokals im Jahre 2000 mit Galatasaray. Dies war auch der erste europäische Titel einer türkischen Mannschaft.

Nach diesen vier Erfolgsjahren bei Galatasaray wechselte er zum AC Florenz, von wo er dann zum AC Mailand wechselte. Dort blieb ihm der Erfolg allerdings verwehrt, und Terim musste seine Tätigkeit, vor Ablauf seines Vertrages, beenden.

Die türkische Nationalmannschaft nahm unter ihm 1996 zum ersten Mal an einem Endturnier der Europameisterschaft teil. Seit dem 26. Juni 2005 ist er erneut türkischer Nationalcoach. Im Januar 2006 trat er zunächst von seinem Amt zurück, einigte sich aber am in einem Gespräch mit dem neuen Verbandspräsidenten darauf, seine Tätigkeit fortzusetzen.

Mit Terim qualifizierte sich die Türkei im November 2007 für die Fußball-EM 2008.

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