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“Es gibt massive Unterschiede zwischen uns und der SVP”

"Wir haben nicht das Bedürfnis, uns immer abzugrenzen": Philipp Müller, Präsident FDP. Die Liberalen. Keystone

Die Gründerpartei der modernen Schweiz, die Freisinnig-Demokratische Partei, vertritt eine liberale Wirtschaftsordnung und plädiert für einen schlanken Staat. Die einst wählerstärkste Partei kam 2011 noch auf einen Wähleranteil von 15,1%. Für die Wahlen im Herbst rechnet Parteipräsident Philipp Müller mit einer Trendwende.

swissinfo.ch: In den vergangenen 20 Jahren ist der Wähleranteil Ihrer Partei stetig zurückgegangen. Im Herbst wollen Sie zulegen. Wie wollen Sie dieses Ziel erreichen?

Philipp Müller: Es liegt in der Natur einer Partei, dass sie zulegen will. Wir haben gute Signale dafür, dass es eine Trendwende geben wird. Wir haben sehr gute Umfragewerte. Wir haben in den letzten Monaten bei kantonalen Wahlen gut abgeschnitten. Jetzt geht es darum, dass wir einen guten Wahlkampf machen und unsere Leute mobilisieren.

Wir müssen nichts Neues erfinden, sondern die Leute bei ihren Sorgen und Nöten abholen. Wir haben die drei Begriffe Freiheit, Gemeinsinn und Fortschritt gewählt. Dafür stehen wir. Gemeinsinn heisst nicht Umverteilung im Sinn der Linken. Wir wollen beispielsweise, dass die Sozialwerke nachhaltig finanziert werden, also auch noch in 10 oder 20 Jahren finanzierbar sind.

swissinfo.ch: Kritiker – auch solche aus Ihren eigenen Reihen – monieren, die FDPExterner Link sei zur Juniorpartnerin der Schweizerischen Volkspartei (SVP) verkommen. Andere möchten Listenverbindungen mit der SVP eingehen. Wo wollen Sie in diesem Spannungsfeld die Partei positionieren?

P. M.: Ich sehe kein Spannungsfeld. Wir haben sehr gut besuchte Delegiertenversammlungen. Das ist unsere Basis, hier sind die Leute aktiv und bringen sich ein. Hier fallen die Entscheide, und die gelten für die Parteileitung wie auch für die Fraktion im Parlament.

Wenn es ein Spannungsfeld gäbe, dann ist es richtig, wenn es Kritik gibt. Die nehmen wir auf. Und was berechtigt ist, werden wir berücksichtigen. Sie darf aber nicht anonym sein.

swissinfo.ch: Dennoch: In welche Richtung wollen sie das Profil schärfen, um nicht mit der SVP verwechselt zu werden?

P.M.: Es geht nicht darum, dass wir uns permanent in irgendeine Richtung abgrenzen. Wir machen unsere Politik, und es gibt massive Unterschiede zwischen uns und der SVP. So zum Beispiel in der Frage des Verhältnisses zur EU und zu den bilateralen Verträgen, die wir unbedingt beibehalten wollen, aber auch in der Migrationspolitik.

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In Ordnungs-, finanz- oder steuerpolitischen Fragen stimmen wir mit der SVP oftmals überein. Wir haben nicht das Bedürfnis, uns immer abzugrenzen. Wir holen uns die Mehrheiten im Parlament dort, wo sie zu haben sind. In Landwirtschafts- bzw. Subventionsfragen sind das in der Regel die Sozialdemokraten oder die Grünen.

swissinfo.ch: Was sind die zwei wichtigsten Prioritäten in der kommenden Legislaturperiode?

P.M.: Eine zentrale Rolle wird unser Verhältnis zur EU spielen. Ich denke an die Umsetzung der “Masseneinwanderungs-Initiative”, die Weiterentwicklung der bilateralen Verträge, aber auch an das Grossprojekt der Altersvorsorge 2020.

FDP.Die Liberalen
Die Gründer des Schweizerischen Bundesstaates von 1848 waren die Vorfahren der Freisinnig-Demokratischen Partei Schweiz (FDP). Sie wurde offiziell erst 1894 gegründet.
Bis 1891 waren ausschliesslich Freisinnige im Bundesrat und bis 1943 vertraten sie dort die Mehrheit, während vieler Legislaturen auch im Parlament.
Seit 1983 hat die Wirtschaftspartei, wie sie sich bezeichnet, stetig an Wähleranteil verloren, bei den Wahlen 2003 namentlich an die SVP, die sich weiter rechts positioniert.

Sie ist heute die drittstärkste Partei mit zwei Vertretern in der Regierung. Seit der Fusion mit der Liberalen Partei Schweiz 2009 heisst die Partei “FDP.Die Liberalen”.

swissinfo.ch: Die strikte Umsetzung der Zuwanderungs-Initiative steht den bilateralen Verträgen mit der EU diametral entgegen. Wieweit wollen Sie die Initiative verwässern, um die Bilateralen zu retten?

swissinfo.ch: Das kann man noch nicht definieren. Die Verhandlungen mit der EU laufen. Ich gebe mich keiner Illusion hin und gehe nicht davon aus, dass man die drei Begriffe, die seit dem 9. Februar 2014 in der Verfassung stehen – jährliche Höchstzahlen, Kontingente, Schweizervorrang – mit dem Freizügigkeitsabkommen kompatibel machen kann. Es geht nun darum, in den Verhandlungen mit der EU auszuloten, was möglich ist. Letztendlich zählt die Verfassung, und wir werden eine Lösung finden müssen. Eine solche zeichnet sich jedoch zurzeit noch nicht ab.

swissinfo.ch: Braucht es in dieser Situation eine zweite Volksabstimmung?

P.M.: Bis am 8. Februar 2017 muss das Parlament definitiv ein Ausführungsgesetz zur Zuwanderungs-Initiative beschliessen. Am 27. November 2016 wird es ohnehin eine Referendums-Abstimmung geben. Das ist der letzte Abstimmungstermin vor Ablauf der Dreijahres-Frist zur Umsetzung der Verfassung. Wir wissen noch nicht, wie das Gesetz herauskommt, aber das wird eine entscheidende Abstimmung sein, denn es wird sich die Frage nach den Auswirkungen des Gesetzes auf die bilateralen Verträge stellen.

swissinfo.ch: Der Islam sorgt regelmässig für Diskussionen. Welchen Platz soll diese Religion innerhalb der Gesellschaft einnehmen?

swissinfo.ch: Wir sind ein säkularer Staat und wollen diesen weiterhin pflegen. Wer sich an unsere Verfassung, Gesetze und Gepflogenheiten hält, der hat Religionsfreiheit und keine Probleme in der Schweiz. Wir wollen keine fundamentalistischen Strömungen und Auswüchse. Das würden wir entschieden bekämpfen, egal woher sie kommen.


(Das Interview wurde im März 2015 geführt)

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