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Finanzkrise und Demokratie

Die Grossbank UBS beherrschte in der Schweiz die Schlagzeilen betreffend Finanzkrise. Reuters

Die globale Immobilien- und Finanzkrise fordert das Bankgeheimnis, die Rechte des Parlaments und die Wirtschaftsfreiheit heraus. An den "Demokratie-Tagen" in Aarau haben Experten aus Wirtschaft und Wissenschaft über mögliche Schaltfehler des demokratischen Rechtsstaates diskutiert.

Als Reaktion auf den Ausbruch der Finanz- und Bankenkrise im Herbst 2008 haben viele Regierungen, unter ihnen auch diejenige der Schweiz, mit Notrecht Rettungsmassnahmen für den Finanzsektor verordnet.

Der Zeitdruck war gross; demokratische Entscheidungswege blieben an entscheidenden Schnittstellen auf der Strecke.

Die historisch gewachsenen, demokratischen Regelwerke erwiesen sich in der akuten Phase der Krise als wenig tauglich, die globale Bedrohung rasch in den Griff zu bekommen.

Im Rahmen der “Demokratie-Tage” bot das Zentrum für Demokratie in Aarau (ZDA) Experten aus Wirtschaft und Wissenschaft ein Podium, um über Grundfragen der Demokratie und der Wirtschaftsfreiheit zu diskutieren.

“Not lernt denken”, meinte etwa der politische Philosoph Georg Kohler von der Universität Zürich. Er fragte: “War die Krise erschütternd genug, um nachzudenken über die Krise?

Finanzkultur und Risiko

Professor Kohler ist nicht optimistisch. Er meinte, Manager von Banken und Versicherungen und die Marktwirtschaft hätten die staatlichen Stützmassnahmen nahtlos in die privaten Unternehmensstrategien eingebaut, anstatt ihre Praktiken grundlegend zu hinterfragen.

Die Kultur der Risikolosigkeit der Manager- und Boni-Reiter sei nicht überwunden. “Die Risikogewinner müssen lernen, die Folgen ihres Scheiterns selbst zu tragen”, hielt Professor Kohler fest.

Unklar bleibt, ob in der Finanzkrise das Staats- oder das Marktversagen grösser waren. Eugen Haltiner, Präsident der eidgenössischen Finanzmarktaufsicht (FINMA), meinte: “Die Schweiz war mit ihrem übergrossen Finanzsektor, den global tätigen Banken und Versicherungen in der Krise extrem exponiert.”

Was kann die Demokratie zur akuten Bewältigung einer Krise beitragen? Eugen Haltiner hat auf diese Frage eine pragmatische Antwort: “Wir können mit demokratischen Prozessen kein Krisenmanagement betreiben. Die Demokratie muss vorausschauend den Rahmen für den Handlungsspielraum der Wirtschaft und der Banken schaffen.”

Politiker und die Verfechter von basisdemokratischen Prozessen müssten aufgrund der neuen globalen Konstellationen ihre Schlussfolgerungen für neue Rahmenbedingungen ziehen.

Demokratie im globalen Umfeld

Die Aufarbeitung der Krise zeigt: Wenn es darum geht zu entscheiden, ob einem grossen Finanzinstitut staatlich geholfen wird oder nicht, sind demokratische Prozesse ungeeignet. Denn eine Bank oder einer Versicherung in der existenziellen Gefahrenzone überlebt im gemächlichen Tempo demokratischer Prozesse die Krise nicht.

Welche Rolle spielen heute direktdemokratische und parlamentarische Entscheide im globalen Umfeld? Beat Kappeler, der wirtschaftspolitische Querdenker und Publizist, rät, sich von lieb gewordenen Vorstellungen zu trennen.

Er sagte an den Demokratietagen in Aarau:”Wir dürfen uns nicht in der Illusion wiegen, Demokratie sei Alltagsbestimmung. Demokratie ist Rahmensetzung und Sanktionsinstanz.”

In der Krise ans Limit gehen

Die Finanzkrise hat die Schweiz und ihre Nationalbank vor neue quantitative Perspektiven gestellt. Thomas Jordan, Vizepräsident des Direktoriums der Schweizerischen Nationalbank, sagte in Aarau, der Bundesrat habe auf dem Höhepunkt der Finanzkrise das Notrecht angewendet.

Die Nationalbank sei in der Krise mit ihrer Liquiditätshilfe an den Rand ihres Mandats gegangen. Neu seien bei der Rettungsübung die Beträge und Dimensionen gewesen (60 Milliarden Franken).

Wurde die Finanzkrise und die Rolle der Schweizer Regierung und der Nationalbank demokratisch bearbeitet? Hanspeter Kriesi, Professor für Vergleichende Politikwissenschaft an der Universität Zürich, äusserte in Aarau einige Zweifel. “Die Krise wurde in der Schweiz nicht demokratisch bearbeitet. Aber sie hat das Bewusstsein der Bürger für die Probleme der heutigen Demokratie geschärft.”

Die Regierung und die Notenbank der Schweiz hätten die Krise gut gemeistert, meinte Professor Kriesi. Sie hätten mit Notrecht das Beste in einer katastrophalen Lage gemacht. Aber mit Demokratie habe die Übung nichts zu tun gehabt. Der Skandal bestehe darin, dass Regierung und Notenbank keine andere Wahl hatten.

Auflagen und Risiken für Finanzplatz

Welche Auflagen und Regeln wird die Politik nach der bewältigten Finanzkrise der Wirtschaft auferlegen, um globale Finanzunternehmen zu disziplinieren? Die Politik kann extrem scharfe Auflagen machen, die zu Wettbewerbsnachteilen führen können.

Politik und Parlament müssen mitentscheiden, welches Finanzsystem die Schweiz haben will. Eine Null-Risiko-Lösung wird es nicht geben.

Thomas Jordan von der Nationalbank kann restriktiven Auflagen auch positive Aspekte abgewinnen: “Die Banken sind herausgefordert, sich neu zu erfinden, sich zukunftsträchtig und mit weniger Risiken für die Schweiz zu organisieren.”

Bankenkrise – Legitimationskrise

Die Banken- und Finanzkrise ist auch eine demokratische Legitimationskrise. Professor Hanspeter Kriesi wies darauf hin, dass die Kontroversen über die Banken, ihre Entlöhnungs- und Boni-Systeme erst durch die Finanzkrise demokratisch thematisiert worden seien.

Kriesi ist davon überzeugt, dass die Schweiz nicht um eine demokratische Aufarbeitung der Finanzkrise herum komme, wenn das Land nicht riskieren wolle, die gleichen Fehler später zu wiederholen.

Erwin Dettling, Aarau, swissinfo.ch

Das Zentrum für Demokratie (ZDA) widmet sich der Forschung und Lehre auf dem Gebiet der Demokratie, der Politik- und der Rechtswissenschaft sowie der politischen Bildung.

Das ZDA berät Behörden und andere interessierte Kreise in Demokratiefragen.

Das Zentrum stellt die Ergebnisse seiner Forschung im Rahmen von Weiterbildungsveranstaltungen der Öffentlichkeit zur Verfügung.

Das ZDA veranstaltet jährlich einen Anlass, am dem Wissenschaft und Politik, Kultur und Bevölkerung, Medien und Verbände gemeinsam Grundfragen der Demokratie diskutieren.

Im Zusammenhang mit den diesjährigen Demokratie-Tagen zeigt das Stadtmuseum Aarau bis zum 20. April 2010 unter dem Titel “Macht des Geldes Kraft der Aufklärung” eine Ausstellung zum Thema Finanzkrise und Demokratie.

Ein Vertrauensverlust hatte im Jahr 2008 dazu geführt, dass Kunden der UBS zwischen Januar und September fast 140 Mrd. Franken von der Schweizer Grossbank abzogen.

Um das Vertrauen in die UBS und in den gesamten Finanzplatz Schweiz zu stärken, wurde ein Massnahmenpaket erarbeitet.

Die UBS gründete eine Zweckgesellschaft, in die sie 6 Mrd. US-Dollar Eigenkapital einbezahlte.

Weil die UBS diese Summe nicht auftreiben konnte, gab ihr der Bund die 6 Mrd. Dollar in Form einer Pflichtwandelanleihe, die mit 12.5% verzinst werden muss.

Die neu gegründete Zweckgesellschaft nahm bei der Schweizerischen Nationalbank (SNB) ein Darlehen von 54 Mrd. US-Dollar auf, mit einer Laufzeit von 8-12 Jahren.

Mit den 60 Mrd. Dollar kaufte die Zweckgesellschaft der UBS Wertpapiere ab, die auf dem Markt nicht mehr verkauft werden konnten.

Die UBS erhielt so flüssige Mittel und konnte das Risiko, dass die Vermögenswerte noch weiter an Wert verlieren, an die SNB abgeben.

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