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Finma-Entscheid: Wo bleibt der Rechtsstaat?

Dem Bankgeheimnis fehlt ohne rechtsstaatliche Basis an Glaubwürdigkeit. Bild: Paradeplatz in Zürich. Keystone

Der Entscheid der Finanzmarkt-Aufsicht Finma vor bald einem Jahr hat einen Stein ins Rollen gebracht. Seither ist das Bankgeheimnis durchlöchert, und der Rechtsstaat hat Schlagseite. Darin sieht der Rechtsexperte Rainer Schweizer die grösste Gefahr.

Am Mittwoch hat der Bundesrat einen Weiterzug des letzte Woche gefällten Finma-Urteils des Bundesverwaltungs-Gerichts an das oberste Gericht, das Bundesgericht, begrüsst. “Im Interesse der Rechtssicherheit”, wie Bundespräsidentin Doris Leuthard sagte.

Das Bundesverwaltungs-Gericht hatte vergangene Woche die Übergabe der 285 UBS-Kundendossiers an die US-Justiz durch die Finma als illegales Handeln bezeichnet. Seither verlangen weitere politische Parteien und Parlamentarier mehr Klarheit über Zuständigkeiten und Zustandekommen dieses Entscheids.

Rainer Schweizer, Rechtsprofessor an der Uni St. Gallen, mit grosser Erfahrung in politischen Administrationen und behördlichen Abläufen, sorgt sich um die Rechtsstaatlichkeit der Schweiz.

swissinfo.ch: Der Finma-Entscheid hat am Bankgeheimnis gerüttelt, aber auch an der Autorität der Finanzbehörde. Was ist schlimmer?

Rainer Schweizer: Die Autorität der Finanzaufsicht hat gelitten, weil sie einen Verfassungsbruch begangen hat. Es wurden Kundeninformationen ohne gesetzliche Grundlagen umfassend offengelegt und die Kunden unmittelbar ausländischen Strafverfahren ausgeliefert.

Den Bankkunden aus den USA wurde verunmöglicht, sich in einem fairen Verfahren vor einem unabhängigen Gericht gegen den Verdacht des Steuerbetrugs zu verteidigen. Der Druck der US-Behörden auf die UBS konnte ein solches Vorgehen keinesfalls rechtfertigen.

Das hat das gesamte schweizerische System der Rechtsstaatlichkeit unterminiert. Denn die Bedeutung des Bankkundengeheimnisses hängt stark von der Glaubwürdigkeit der staatlichen Instanzen und der Rechtsordnung ab.

swissinfo.ch: Was wäre vor einem Jahr passiert, wenn die Schweiz den Mut gehabt hätte, die Kundendaten nicht herauszugeben?

R.S.: Ich bin restlos überzeugt, dass die Schweiz dem Druck hätte standhalten können und müssen. Das zeigt sich jetzt beim US-Schweizerischen Spezialabkommen über die Folgenbewältigung. In der Eidgenössischen Steuerverwaltung werden zahlreiche zusätzliche Arbeitskräfte eingesetzt, auch das Bundesverwaltungsgericht setzt zusätzliche Mittel ein.

Man hätte sich im vergangenen Winter ohne weiteres auf einen grossen Untersuchungs- und Beschwerdefall einrichten können, um dem Druck der Amerikaner zu widerstehen.

swissinfo.ch: Wirtschaftlich gesehen ist das Bankgeheimnis nun ohnehin angekratzt. Spielen im Nachhinein gemachte rechtsstaatliche Überlegungen überhaupt noch eine Rolle?

R.S.: Sie sind enorm relevant! Das Bundesverwaltungsgericht hat klar gemacht, dass auch die Finanzaufsicht zu Lasten der Privatsphäre der Bankkunden. und ihre Verteidungsrechte nur im Rahmen von Verfassung und Gesetz eingreifen darf.

Dieser Entscheid des Bundesverwaltungsgerichts stützt das Bankkundengeheimnis – ungeachtet seines inhaltlichen Umfangs – institutionell ganz erheblich.

swissinfo.ch: Im Parlament ist seit diesem Entscheid die Kritik gewachsen. Käme ein parlamentarischer Ausschuss nun zum Schluss, es seien Fehler unterlaufen, und verlangt, dass Köpfe rollen – was dann?

R.S.: Das Parlament respektive die Geschäftsprüfungskommissionen sind bereits daran, die rechtlichen Fragen rund um UBS-Debakel und die Auseinandersetzungen mit den US-Steuerbehörden zu untersuchen.

Eine Parlamentarische Untersuchungskommission (PUK) könnte diese Fragen vertiefen und das grundsätzlich Politische hervorheben. Ein Aufarbeitung ist aus mehreren Gründen unerlässlich.

Erstens hat sich gezeigt, dass das Doppelbesteuerungsabkommen mit den USA rechtsstaatliche Defizite aufwies. Künftig müssen deshalb Amts- und Rechtshilfe zwischen Steuerbehörden sorgfältiger geregelt werden – entsprechend dem hohem Regelstandard im Bereich Strafsachen.

Zweiter Grund ist die Frage des Notrechts. Beim Bankgeheimnis und den Liquiditätsproblemen der UBS ging es nicht um Fragen der äusseren oder inneren Sicherheit, so dass Notrecht beim Rettungspaket im letzten Winter meiner Einsicht zu Unrecht benutzt wurde. Es hätte Dringlichkeitsrecht gebraucht – für einen Entscheid der Regierung zusammen mit dem Parlament.

Dritter Grund ist die Frage, wie eine Behörde wie die Finma dazu kommt, derart verfassungswidrig zu entscheiden. Auch in der Bankenaufsicht müsste also der Rechtsstaat gestärkt werden.

Viertens stellt sich das aus meiner Sicht sehr gravierende Problem, dass die UBS seit Juli 2008 selbst die Kunden bezeichnet hat, die angeblich US-Recht verletzt hatten, anstatt dass die Eidgenössische Steuerbehörde dies untersucht hätte. Damit konnte sich die an den US-Rechtsverletzungen mitbeteiligte UBS aus dem Schussfeld nehmen.

Und fünftens müsste das Schweizer Straf- und Verantwortlichkeitsrecht überprüft werden. Es darf nicht sein, dass die Leitungsorgane einer Bank im Ausland systematisch Kunden zu Rechtsverletzungen anhalten und unterstützen, und damit der Schweiz volkswirtschaftlichen und politischen Schaden zufügen, ohne dass dies rechtliche Folgen hat.

swissinfo.ch: Es geht also nicht darum, Köpfe rollen zu lassen?

R.S.: Nein, bei der rechtlichen und politischen Aufarbeitung geht es um den Banken- und Wirtschaftsplatz sowie um die Schweiz als Rechtsstaat und als glaubwürdigen Vertragspartner internationaler Abkommen – inklusive als Garant internationaler Menschenrechte.

swissinfo.ch: Ist unser Parlament dazu überhaupt imstande, angesichts der häufigen unheiligen Allianzen zwischen Rechts und Linksaussen?

R.S.: Das ist eine Frage der Organisation. Bei gewissen Fragen wird ein zerstrittenes Parlament nicht sehr weit kommen und möglicherweise divergierende Meinungen festhalten. Dennoch ist es für das Land sehr wichtig, diese schwere Krise des Rechtsstaates und Finanzplatzes aufzuarbeiten, weil sehr viel davon selbstverschuldet ist.

Alexander Künzle, swissinfo.ch

Rainer Schweizer ist seit 1990 Professor für Öffentliches Recht an der Uni St. Gallen.

In den 1970er- und 80er-Jahren war er bei der Ausarbeitung der Jurassischen Verfassung beteiligt, arbeitete im Eidg. Jusitz- und Polizeidepartement und hatte Lehraufträge an den Unis Basel, Freiburg und Zürich.

Nebenamtlich war er Bundesrichter am Eidg. Versicherungsgericht in Luzern.

1990 war er u. a. Experte des Europarates, bis 2006 Präsident der Eidg. Datenschutz-Kommission.

Am 18. Februar 2009 verfügte die Finanzmarktaufsicht Finma, die dem Eidgenössischen Finanz-Departement EDF untersteht, dass die UBS den US-Behörden 285 Kundendaten übergeben soll.

Damit wurde das Bankgeheimnis durchlöchert, was – wie vergangene Woche vom Bundesverwaltungs-Gericht bestätigt worden ist – nach Schweizerischem Recht illegal war.

Die Finma hatte zu diesem Zeitpunkt auch nicht gewusst, ob die 285 Bankkunden wirklich Steuerbetrug, -hinterziehung oder -umgehung begangen hatten.

Sie konnte nur vermuten, dass die den US-Behörden gemeldeten Daten höchstwahrscheinlich auch nach schweizerischem Recht als Steuerbetrug gelten würden – also ein Delikt darstellen, das als amts- und rechtshilfefähig erachtet wird.

Wird nun eine Parlamentarische Untersuchungskommission (PUK) eingesetzt, um genau zu eruieren, wie es zum Entscheid der Finma vor einem Jahr kam?

Bereits einen Monat nach dem Finma-Entscheid, im März 2009, wollte eine Arbeitsgruppe der Geschäftsprüfungs-Kommission der beiden Räte (GPK) Einblick erhalten, was genau zwischen Bundesrat, Finma und UBS geschah.

Doch empfand diese Gruppe, nicht alle nötigen Unterlagen erhalten zu haben (Akteneinsicht). Der Bundesrat ist der Ansicht, nicht alle Unterlagen zeigen zu müssen.

Würde eine PUK eingesetzt, müsste ihr der Bundesrat alle Dokumente vorweisen.

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