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Fragen und Antworten zur Einheitskasse

Im Wartezimmer: Patientin wartet auf den Arzt. Keystone

In der Debatte über die Volksinitiative "Für eine soziale Einheitskrankenkasse" gibt es viele Behauptungen. Es ist schwierig, richtige und falsche Argumente auseinander zu halten.

swissinfo hat die häufigsten Behauptungen herausgepickt und versucht, eine ausgewogene, wenn auch nicht schlüssige Antwort darauf zu geben.

Es gibt Länder, die das System der Einheitskasse bereits kennen. Welche Erfahrungen gibt es da?

Die Situation ist von Land zu Land sehr verschieden. In Grossbritannien und Portugal zum Beispiel läuft das System der Einheitskrankenkasse sehr schlecht.

Die Patienten können ihren Arzt nicht frei auswählen. Sie müssen sich an das Gesundheitszentrum ihres Einwohnerkreises wenden. Oft müssen sie sich in lange Wartelisten eintragen, was für die Patienten manchmal lebensgefährlich werden kann.

Finanziell begüterte Patienten lassen sich meist in Privatspitälern pflegen – schneller und besser. In Portugal und Grossbritannien hat das System der Einheitskasse zu einem Zweiklassen-Gesundheitswesen geführt.

Aber dieses System kann auch sehr leistungsfähig sein, wie das in Frankreich der Fall ist. Die “Sécurité sociale” in diesem Land gilt als eines der gut funktionierenden Staatssysteme, kämpft aber zunehmend mit Finanzierungsproblemen.

Prämien entsprechend dem Einkommen und Vermögen der Versicherten würden den Mittelstand teuer zu stehen kommen. Stimmt das?

Das ist die These der Initiativgegner. Zum Beweis dazu haben sie ein Finanzierungsmodell entwickelt. Danach beträgt heute das Gesamtvolumen der bezahlten Prämien mehr als 20 Milliarden Franken pro Jahr.

Im System der Einheitskrankenkasse müsste dieser Betrag mit Steuergeldern ausgeglichen werden. Für den Mittelstand würde dies zu 15% mehr Steuern führen.

Die Linke widerspricht diesen Berechnungen. Gemäss ihren Schätzungen müssten lediglich 10% der reichsten Leute in der Schweiz höhere Prämien bezahlen.

Wie dem auch sei, diese Zahlenschlacht ist verfrüht. Die Initiative stellt lediglich ein allgemeines Prinzip zur Sprache. Im Fall einer Annahme wird das Parlament bestimmen müssen, was genau “die finanzielle Kapazität” jedes Einzelnen ist.

Modelle von Einheitskassen gibt es in der Schweiz in anderen Bereichen. Haben sie sich bewährt?

Das System der Einheitskasse kann gut funktionieren. Das ist zum Beispiel der Fall bei verschiedenen kantonalen Gebäudeversicherungs-Kassen. In den meisten Kantonen haben die Besitzer keine Wahl: Sie müssen sich bei der Kasse ihres Kantons versichern.

Dieses Monopol hat einen Vorteil: Weil alle Gebäudebesitzer bei derselben Versicherung sind, hat diese genügend finanzielle Mittel. Dies erlaubt der Kasse, vorteilhaftere Prämien zu erlassen als dies der Fall wäre bei Privatversicherungen im freien Wettbewerb.

Eine obligatorische Einheitskasse ist aber nicht unbedingt die Wunderlösung, wie das beispielsweise die schweizerische Invaliden-Versicherung (IV) zeigt. Diese Sozialversicherung rutscht immer mehr in die roten Zahlen, namentlich wegen der Anzahl der IV-Bezügerinnen und IV-Bezüger.

Würde eine Einheitskrankenkasse nicht zu namhaften Einsparungen der Verwaltungskosten führen?

Für die Befürworter der Initiative erhöht die grosse Anzahl von Kassen die Verwaltungskosten: Mehr Verwaltungsräte, mehr Inkasso-Abteilungen, mehr Kontrollorgane, mehr Werbung usw.

Eine Einheitskasse würde alle diese Doppelspurigkeiten vermindern, was gemäss den Schätzungen der Befürworter Einsparungen in Grössenordnung der Hälfte der heutigen Administrativkosten von über einer halben Milliarde Franken pro Jahr zur Folge hätte.

Die Gegner der Initiative bestreiten dies. Sie erinnern daran, dass die Verwaltungskosten heute lediglich 5,4% der Ausgaben ausmachen. Und eine Einheitskasse für 7,5 Millionen Personen würde ihrer Meinung nach sicherlich hohe Administrativkosten haben.

swissinfo, Olivier Pauchard
(Übertragen aus dem Französischen: Jean-Michel Berthoud)

Die Initiative “für eine soziale Einheitskrankenkasse”, die am 11. März dem Schweizer Volk zur Abstimmung vorgelegt wird, wurde von der Westschweizer Bewegung “Mouvement populaire des familles” lanciert.

Sie schlägt vor, die gegenwärtig 87 Krankenkassen durch eine Einheitskasse zu ersetzen. Gemäss Initiativtext würde diese Massnahme zu mehr Transparenz im Gesundheitswesen führen und die Prämienerhöhung eindämmen.

In dem Text wird auch empfohlen, die Prämien nach den finanziellen Kapazitäten der Versicherten auszurichten. Detaillierte Angaben dazu werden aber nicht gemacht.

Die Initiative wird von der Linken unterstützt. Die Rechte und die Regierung sind dagegen.

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