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Frauenhäuser – letzte Zuflucht

Wenn Frauen und Kinder unter häuslicher Gewalt leiden, können Angst und Verzweiflung ins schier Unermessliche wachsen.

In Frauenhäusern können misshandelte Frauen und ihre Kinder erst mal zur Ruhe kommen, nachdem der Wunsch, den Ehemann oder Partner zu verlassen, in die Tat umgesetzt worden ist.

Frauenhäuser bieten Opfern von Gewalt eine sichere Zuflucht. Agnes F., Mitarbeiterin des Frauenhauses in Biel: “Die Adresse des Frauenhauses ist geheim. Die Frauen sollen sich hier sicher fühlen. Nicht einmal mein Mann weiss, wo genau ich arbeite.”

“Wir erarbeiten gemeinsam mit den Frauen ihren neuen Lebensweg, helfen ihnen bei der Suche nach einem Anwalt, vermitteln Kontakte zur Fürsorge” beschreibt sie ihre Aufgaben.

“Wenn wir feststellen, dass eine Frau massiv misshandelt worden ist, beispielsweise ein blau geschlagenes Auge hat, weisen wir sie in ein Spital ein. Dort werden auch Fotos als Beweismittel gemacht.”

Intensive Anfangsbetreuung

Die Betreuung sei in den ersten drei Tagen am intensivsten, erklärt Agnes F. Die Frauenhaus-Mitarbeiterinnen vermitteln den Kindern der Frauen einen Platz in einer Klasse, damit sie möglichst ohne Unterbruch die Schule besuchen können. “Es gibt ein Schulhaus, das Kinder aus dem Frauenhaus aufnimmt, ohne grosse Umstände und auch nur für kurze Zeit.”

Zudem müssen Kontakte zur Fürsorge, anderen Ämtern oder Anwälten geknüpft werden. Für fremdsprachige Frauen wird, wenn nötig, ein Dolmetscherdienst organisiert.

Bezugspersonen schaffen Vertrauen

Bei allen administrativen Aufgaben darf auch das psychische Befinden der Frauen und Kinder nicht vernachlässigt werden. Pro Woche haben die Frauen Anrecht auf mindestens eine Beratungs-Sitzung.

Kinder erhalten eine Bezugsperson aus dem Team der Betreuerinnen. Im gemeinsamen Spiel versucht man, den Kindern bei der Verarbeitung ihrer Erlebnisse zu helfen. Wenn nötig, werden externe Therapie-Fachleute beigezogen.

Gewisse Selbstständigkeit nötig

Die Betreuerinnen des Frauenhauses Biel verlangen von den Zuflucht suchenden Frauen eine gewisse Selbstständigkeit: “Die Frauen müssen allein in die Stadt gehen, sie müssen Einkäufe tätigen aber auch selbstständig zur Beratung gehen können.”

Die durchschnittliche Aufenthaltsdauer im Bieler Frauenhaus beträgt gut einen Monat. Die Bandbreite bewegt sich zwischen einer Nacht und vier Monaten. Frauen, die nicht aufgenommen werden können, werden in Not-Wohnungen oder Not-Hotels in Biel verwiesen, manchmal auch an Frauenhäuser innerhalb des Kantons Bern oder sogar in andere Kantone.

“Frauen dürfen in der Ortschaft, wo sich das Frauenhaus befindet, nicht bekannt sein”, betont Agnes F. “Diskretion und Anonymität bedeuten Sicherheit. Deshalb werden in Biel und Umgebung wohnende Frauen an andere Frauenhäuser vermittelt.”

Weshalb bleiben Frauen oft so lange bei ihren Peinigern?

Aussenstehende zeigen sich erstaunt, dass Frauen oft lange bei ihren Gewalt anwendenden Partnern bleiben. Agnes F.: “Gewalt ist auch eine Form von Zuwendung. Und wenn diese wegfällt, ist meist gar nichts mehr da.”

Auch Existenzängste können das Ausharren beim Partner fördern. Haben ausländische Gewaltopfer nur eine provisorische Aufenthaltsbewilligung in der Schweiz, ist die Furcht durchaus begründet, diese zu verlieren, wenn der Ehemann verurteilt wird.

Häusliche Gewalt ist trotz aller Aufklärung in den letzten Jahren ein Tabuthema geblieben. Niemand gibt gerne zu, misshandelt zu werden, Häufig glauben misshandelte Frauen, selbst schuld zu sein, wenn ihr Partner ihnen gegenüber Gewalt anwendet.

Opfer jeden Alters und jeder Schicht

Nicht nur junge Frauen suchen Schutz im Frauenhaus. “Auch 40-60-Jährige, die jahrelang gelitten haben, bis sie den Mut gefunden hatten sich zu trennen, kommen zu uns”, erklärt Agnes F.

Die betroffenen Frauen stammen aus allen Bevölkerungsschichten. “Geld, Einkommen und Bildung haben keinen Einfluss darauf, ob in einer Beziehung Gewalt ausgeübt wird”, so Agnes F.

“Die Auswirkungen der körperlichen Gewalt sind oft äusserlich erkennbar. Immer psychisch unten zu sein, verbal gedemütigt zu werden ist gleich traumatisierend, wie wenn man körperlich geschlagen wird.”

Zusätzlich finanzielle Probleme

Frauen, die häufig überstürzt von zu Hause ausziehen, können meist nicht auf ihre finanziellen Ressourcen zurückgreifen. Die ersten zwei Wochen erhalten die Frauen Unterstützung nach dem Opferhilfegesetz. Dann ist der Sozialdienst (der Wohngemeinden der Frauen) zuständig. Bis die Gelder aus den Gemeinden eingetroffen sind, kann einige Zeit vergehen. Das Frauenhaus hat einen Fonds für Frauen eingerichtet, die kein eigenes Geld besitzen.

Verhungern muss im Frauenhaus niemand, da ein “Kochbatzen” von 10 Franken pro Person und Tag ausgerichtet wird.

Knacknuss Finanzierung

Das Frauenhaus Biel wird vom Kanton Bern subventioniert, es besteht ein Leistungsvertrag. Ein weiteres finanzielles Standbein ist der Frauenhaus-Verein, dessen Mitgliederbeiträge das finanzielle Überleben sichern. Weiter ermöglichen Kirchen-Kollekten und andere Spenden dem Frauenhaus, seine Aufgaben wahr zu nehmen.

Die Finanzierung der Frauenhäuser in der Schweiz ist von Kanton zu Kanton unterschiedlich geregelt. Öffentliche Gelder fliessen teilweise so spärlich, dass einige Häuser ums Überleben kämpfen. Allen Häusern ist gemeinsam, dass sie sich nur dank der Unterstützung durch Private über Wasser halten können.

swissinfo, Etienne Strebel

Das Bieler Frauenhaus bietet Platz für 6-7 Frauen und 6-7 Kinder.
Es hat 12 Betten und ein Notbett
Im Schnitt beträgt die Belegung 85%
Die Belegungs-Schwankungen reichen von totaler Überbelegung bis zu nur 2-3 Frauen.

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