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Freihandelsabkommen: Ja-Nein entlang des Röstigrabens

Mann im Urwald
Ein indonesischer Arbeiter erntet Palmfrüchte auf einer Palmöl-Plantage in Deli Serdang, Nordsumatra. Indonesien ist der weltweit grösste Produzent von Palmöl, das aus der Palmfrucht gewonnen wird. Keystone / Dedi Sinuhaji


Die Schweiz sagt überraschend knapp Ja zum Freihandelsabkommen mit Indonesien. Der Röstigraben ist dabei unübersehbar. Für künftige Wirtschaftsabkommen ist es ein Richtungsentscheid. 

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Es ist eine Niederlage – und doch ein kleiner Coup: Mehr als 48 Prozent der Stimmberechtigten, die am 7. März über das Freihandelsabkommen entschieden haben, haben den Deal zwischen der Schweiz und Indonesien abgelehnt. Und das, obschon zum ersten Mal überhaupt in der Schweiz und weltweit ein solches Abkommen an ökologische Auflagen geknüpft wurde.

Freihandelsabkommen: Die Details des Deals

  • Die Schweiz hat 2018 das Freihandelsabkommen mit Indonesien 2018 unterzeichnet, was daraufhin von National- und Ständerat bestätigt wurde. Eine Abstimmung ist nötig geworden, weil grüne Kreise um den Genfer Biowinzer Willy Cretegny und die globalisierungskritische Bauernorganisation Uniterre das Referendum ergriffen haben.
  • Das Abkommen baut die Zölle auf 98 Prozent der Schweizer Exporte nach Indonesien ab, zum Vorteil vor allem von Maschinenindustrie, Chemie- und Pharmabranche, die zusammen über drei Viertel des Exportvolumens auf sich vereinen.
  • Beide Staaten verpflichten sich, die Umwelt zu schützen und Arbeitnehmerrechte einzuhalten. Ein Schwerpunkt liegt auf der nachhaltigen Palmölproduktion – der umstrittenste Punkt. Das Abkommen senkt die Zölle für Palmölimporte um 20 bis 40 Prozent, aber nur wenn Nachhaltigkeitskriterien eingehalten sind.
  • Das zu reduzierten Zöllen eingeführte Palmöl aus Indonesien ist bei 12500 Tonnen pro Jahr gedeckelt, was rund 40 Prozent der Schweizer Palmölimporte entspricht. Bislang bezieht die Schweiz nur rund 2,5 Prozent ihres Palmöls aus Indonesien.
  • Um die Nachhaltigkeit zu gewährleisten, besteht die Schweiz auf eines von vier ausgewählten Gütesiegeln. Das bekannteste darunter ist das RSPO-Siegel. Laut dem Bundesrat repräsentierte es die derzeit strengsten Nachhaltigkeitsstandards fürs Palmöl. Hingegen kritisieren Umweltschützer das Siegel werde von der Palmölindustrie kontrolliert und sei ein Deckmäntelchen. Um in der Lieferkette eine Vermischung mit unzertifiziertem Öl zu verhindern, sind nur Transporttanks mit maximal 22 Tonnen zulässig. Importeuren, die falsche Angaben machen, drohen Freiheitsstrafen bis zu einem Jahr sowie Bussen – maximal das Fünffache des hinterzogenen Zollbetrags.
  • Vor allem aber hat das Narrativ der Befürworter besser verfangen. Der Warnung, mit dem Abkommen würden Tür und Tor geöffnet für Palmöl, das auf Kosten des Regenwalds und unter menschenunwürdigen Bedingungen gewonnen wurde, halten sie entgegen, dass erstmals überhaupt ein Freihandelsabkommen Zollerleichterungen an Nachhaltigkeitsstandards knüpft und so Anreize für eine soziale und ökologische Produktion setzt. Bei allen berechtigten Einwänden gegenüber den Zertifikaten und Kontrollen, die das voraussetzt, sind auch linksliberale Medien in der Schweiz wie beispielsweise der Zürcher Tages-Anzeiger dieser Argumentation gefolgt.

Das Abstimmungsresultat ist die Überraschung dieses Wochenendes. Das Parlament hatte die Vorlage Ende 2019 klar gutgeheissen, alle grossen Wirtschaftsverbände und auch der Bauernverband hatten das Abkommen unterstützt. Trotzdem gelang es den Gegnern rund um den Westschweizer Biowinzer Willy Cretegny und die globalisierungskritische Bauernorganisation Uniterre mit ihrem Referendum beinahe, die Vorlage zu kippen. Vor allem in der Westschweiz, die das Abkommen geschlossen zurückgewiesen hat, verfingen ihre Argumente. Einmal mehr spiegelt sich im Resultat der Röstigraben.

Es bleibt ein Konsens

Cretegny, der Initiant des Referendums, sagte der Nachrichtenagentur SDA am Sonntag, er sei «überhaupt nicht enttäuscht» vom Resultat. Das Nein-Komitee habe nur schon darum gewonnen, weil es eine Debatte über den Freihandel in der Schweiz angestossen habe.

Rudi Berli von Uniterre zog ebenfalls eine positive Bilanz. Er wiederholte sogar eines der Kernargument der Befürworter: Das Abkommen mache ja glücklicherweise Nachhaltigkeitsauflagen, sagte er gegenüber SRF und forderte: “Die Einhaltung dieser Auflagen muss kontrolliert und sanktioniert werden.” Das sei die Herausforderung, die jetzt auf den Bund zukomme.

Balthasar Glättli, Nationalrat und Präsident der Grünen Schweiz, sagte, für ihn sei das Resultat wie ein Sieg. Denn selbst bei den Befürwortern des Abkommen habe sich die Überzeugung durchgesetzt, dass man den Freihandel an ökologische Auflagen knüpfen müsse. Allerdings brauche es griffige Massnahmen und kein Greenwashing.

Dieser Weg scheint vorgezeichnet. Anders ist in der Schweiz auf mittlere Sicht kein Freihandelsabkommen mehr möglich. Auch auf Seiten der Befürworter gab es denn auch diverse Stimmen, welche ein Zeitalter der Nachhaltigkeit anbrechen sahen und die Verantwortung des Bundes bei der Kontrolle herausstrichen. So sagte beispielsweise Tiana Angelina Moser, Nationalrätin der ökologisch-zentristischen GLP in der SRF-Abstimmungsarena, das Abstimmungsresultat zeige deutlich, dass die Bevölkerung keinen Freihandel ohne Nachhaltigkeit mehr toleriere.

Exponentinnen des bürgerlichen Lagers wie Elisabeth Schneider-Schneiter, Nationalrätin der Mitte, betonten hingegen mehr die wirtschaftliche Seite des Entscheids. Für die Exportwirtschaft, insbesondere die KMU, sei es ein ausgesprochen wichtiges Ja.

Polarisierte Kommunikation

Der Politologe Lukas Golder vom Forschungsinstitut gfs.bern sagte in seiner Analyse der Ergebnisse, in der Schweiz gebe es offenkundig ein starkes Bedürfnis nach Nachhaltigkeit. Hier setze sich der Trend der Konzernverantwortungsinitiative fort, die im letzten Herbst nur am Ständemehr gescheitert war.

Kritisch äusserte sich Golder über den politischen Prozess. Dass die Unentschlossenen, die Ende Januar noch 13 Prozent ausgemacht hatten, nun fast geschlossen dem Nein-Lager zufielen, obschon das Abkommen mit seinem Nachhaltigkeitszusatz eine moderate Ausprägung hatte, wertete er als ein Zeichen, dass sich die Kommunikation verändert habe. “Eine moderate Position ist heute weniger gut vermittelbar als eine extreme.”

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