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Freihandelstraum wird zur Herausforderung

Mehr Exporte dank Freihandel: Der Hafen in Basel. Keystone

Die Strategie der Schweiz, mit einzelnen Ländern Freihandelsabkommen abzuschliessen, könnte mit China, Indien und Russland an ihre Grenzen stossen. Diese Ansicht vertreten zumindest einige Wirtschaftsexperten.

Die Schweiz hat mit zahlreichen ähnlich entwickelten Ländern erfolgreich Freihandelsabkommen abgeschlossen. Bei den grossen Schwellenländern jedoch kann die Schweiz möglicherweise die Probleme in Bereichen wie Menschenrechte, undurchsichtige Regierungsführung oder Geistiges die Probleme nicht alleine bewältigen.

“Die Schweiz verhandelt mit sehr schlechten Handelspartnern, die keinen  Druck spüren, gegenüber der Schweiz substantielle Konzessionen einzugehen“, sagt Simon Evenett, Professor für Aussenwirtschaft und Entwicklung an der Universität St. Gallen gegenüber swissinfo.ch: “Ich kann mir nicht vorstellen, dass Indien oder China mit der Schweiz auf ein speziell innovatives Abkommen eingehen werden. Die Abkommen können auf dem Papier gut aussehen, aber sie werden der Schweiz nicht sehr viele Arbeitsplätze bringen.“

Kürzlich hat die Schweiz Verhandlungen über Freihandelsabkommen mit Ländern mit dem weltweit grössten Wirtschaftswachstum, also mit China, Russland und Indien aufgenommen.

Pharma-Branche will Patentschutz

Doch je grösser der Nutzen eines Freihandelsabkommens für die Schweiz sein könnte, desto schlechter stehen die Chancen, dass es effektiv zu einem Abschluss kommt. Der Traum vom Abschluss eines Abkommen mit Indien noch vor den Wahlen im Jahr 2012 schwindet rasch.

Einer der grossen Stolpersteine ist die Forderung der Schweizer Pharma-Industrie nach einem Patentschutz gegen die indische Generika-Industrie. Indische Gegner eines solchen Patentschutzes argumentieren, damit würden Medikamente für die ärmeren indischen Patienten zu teuer.

Indien seinerseits verlangt von der Schweiz, dass diese vor allem für Arbeitnehmer im Bereich Informationstechnologie mehr Visa-Bewilligungen ausstellen soll. Die Schweizer Gewerkschaften fürchten Lohndumping.

“Wir können nicht akzeptieren, dass Arbeitskräfte aus andern Ländern unser Lohnniveau unterbieten”, sagt Denis Torche von der Gewerkschaft Travail Suisse gegenüber swissinfo.ch: “Wir haben bereits Probleme mit Lohn-Dumping im Zusammenhang mit dem freien Personenverkehr mit der EU. Und wir wollen keine zusätzlichen Probleme.“

Stolperstein Menschenrechte

Die Unterhändler der Schweiz sind verpflichtet, allfällige Partner-Länder aufzufordern, die minimalen Standards bezüglich Menschenrechte und Umweltschutz einzuhalten, was besonders in den Verhandlungen mit China ein Problem ist.

Am Weltwirtschaftsforum Davos 2011 warnte der chinesische Handelsminister Chen Deming vor einer “Verzögerung der Verhandlungen“ für den Fall, dass die Schweiz „zu stark auf die Menschenrechte“ dränge.

Die kürzlich erfolgte Beitritt Russlands zur Welthandelsorganisation WTO hat Hoffnungen auf wirtschaftliche Reformen geschürt, die allerdings auch von Skepsis begleitet werden.

Laut dem Global Trade Alert (GTA) der Universität St. Gallen hat Russland seit 2008 weltweit am meisten protektionistische neue Gesetze in Kraft gesetzt.

Exportindustrie im Zentrum

Simon Evenett, der den GTA leitet und andere Beobachter rechnen damit, dass Russland seine Handelsbarrieren gegenüber der Schweiz fallen lassen wird. “Es ist nicht klar, ob Russland nachgeben wird“, so Evenett. “Die Verhandlungen werden sicherlich hart verlaufen.“

Freihandelsabkommen kommen vor allem den exportorientierten Branchen, also der Maschinen- Uhren- und Pharmaindustrie entgegen. Demgegenüber würden laut Evenett von plurilateralen Abkommen auch andere Branchen profitieren. Doch die Bestrebungen der WTO auf eine Liberalisierung des Welthandels sind seit Monaten aufs Eis gelegt.

Schweiz beobachtet

Die Pattsituation in der so genannten Doha-Runde hat dazu geführt, dass eine Gruppe frustrierter Länder damit begonnen hat, plurilateral über den Abbau von Handelshemmnissen zu diskutieren. Dieser Prozess verspricht schnellere Resultate.

“Der bilaterale Ansatz ist gut für einige ausgewählte Industriebreiche. Die Geschäftsinteressen der Schweiz wären jedoch mit plurilateralen Abkommen umfassender vertreten“, sagt Evenett.

Botschafter Luzius Wasescha, der Schweizer Vertreter bei der WTO sagt, er beobachte die Entwicklung der Bemühungen für plurilaterale Abkommen mit Interesse. Doch ein Entscheid werde erst nach Ministergesprächen im Januar gefällt, sagt Wasescha gegenüber swissinfo.ch: „Plurilaterale Gespräche können was bringen, aber sie sind kein Allerweltmittel.“

Die Schweiz verfügt – neben der EFTA-Konvention und dem Freihandelsabkommen mit der EU – gegenwärtig über ein Netz von 26 Freihandelsabkommen mit 35 Partnern ausserhalb der Europäischen Union (EU).

Die Abkommen werden normalerweise im Rahmen der Europäischen Freihandelsassoziation (EFTA) abgeschlossen. Dennoch hat die Schweiz die Möglichkeit, Freihandelsabkommen auch ausserhalb der EFTA abzuschliessen, wie beispielsweise im Fall Japans oder der Färöer-Inseln.

Ziel der Freihandelspolitik der Schweiz ist die Verbesserung der Rahmenbedingungen für die Wirtschaftsbeziehungen mit wirtschaftlich bedeutenden Partnern.

Den schweizerischen Wirtschaftsakteuren soll gegenüber ihren wichtigsten Konkurrenten ein möglichst stabiler, hindernis- und diskriminierungsfreier Zugang zu ausländischen Märkten verschafft werden.

Im Rahmen der Stabilisierungspolitik des Bundesrates kommen aussenwirtschaftspolitischen Massnahmen zur weiteren Öffnung von Exportmärkten erhöhte Bedeutung zu.

Die EFTA-Staaten unterzeichnen auch Zusammenarbeitserklärungen mit gewissen Partnern. Zusammenarbeitserklärungen sehen einen institutionalisierten Dialog über Möglichkeiten zu Vertiefung der wirtschaftlichen Beziehungen vor. Sie können zu einem späteren Zeitpunkt in Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen münden.

(Übertragung aus dem Englischen: Andreas Keiser)

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