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Freiheit für die Flüsse – für unsere Sicherheit

Dieser revitalisierte Abschnitt der Engelberger Aa hat sich auch beim Hochwasser 2005 bewährt. Bafu/Office fédéral de l'environnement

Die Überschwemmungen vom August 2005 haben gezeigt: Das Eindeichen der Flüsse schützt nicht vor Hochwasser. Es braucht vor allem eine Renaturierung.

Das Wasserforschungs-Institut EAWAG arbeitet dieses Konzept in seinem Projekt “Rhone-Thur” auf und zieht eine positive Zwischenbilanz.

Der nachhaltige Hochwasserschutz ist in der Schweiz zwar gesetzlich verankert. Bisher haben jedoch die dafür nötigen Werkzeuge gefehlt. Das sogenannte “Rhone-Thur”-Projekt liefert jetzt notwendige Entscheidungshilfen und ortet dringenden Handlungsbedarf.

Das 2002 von Bund, Kantonen und Forschungsinstituten lancierte Projekt hat flussbauliche Vorhaben an Rhone, Thur und anderen Flüssen begleitet. Ziel war die Erarbeitung von Methoden und Werkzeugen zur Revitalisierung von Flüssen – was letztlich dem Hochwasserschutz dienen soll.

Unter der Leitung des Wasserforschungsinstituts EAWAG der Eidgenössisch Technischen Hochschule (ETH) Zürich trafen sich am Mittwoch rund 350 Fachleute und zogen eine Zwischenbilanz. Diese zeigt, dass der Revitalisierung von Gewässern eine hohe Priorität zukommt.

Immer mehr Hochwasserschäden

Gemäss einer neusten Studie gelten in der Schweiz ein Viertel der Gewässer als stark beeinträchtigt als Folge baulicher Eingriffe. Im Mittelland sind es gar 40%, das entspricht rund 16’000 Kilometern Fluss- und Bachläufen.

Hier bestehe Handlungsbedarf vor dem Hintergrund der zunehmenden Hochwasser in den letzten Jahren. Das Hochwasser von 2005 war das finanziell kostspieligste Schadenereignis der letzten 100 Jahre in der Schweiz. Generell haben sich die Schäden in der zweiten Hälfte der Überwachungsperiode 1972-2005 vervierfacht.

Viele Flüsse für Massnahmen gut geeignet

Als wichtigste Massnahme müssen künstliche Einengungen der Flüsse möglichst rückgängig gemacht werden. Solche Revitalisierungen reduzieren laut EAWAG nicht nur die Gefahr von Überschwemmungen, sondern schaffen auch deutlich mehr Lebensvielfalt für auentypische Pflanzen und Tiere.

Revitalisierungsmassnahmen mit Flussaufweitungen könnten beiden Problemen begegnen: Einerseits geben sie dem Fluss mehr Platz, den er sich sonst bei Hochwasser mit grossen Schadenfolgen selber nimmt, und anderseits wird eine grössere Vielfalt an Lebensräumen geschaffen.

Ein Nutzen für beide Probleme sei inzwischen auch Voraussetzung, um Bundesgelder für Hochwasserschutz-Projekte zu erhalten, sagte EAWAG-Sprecher Andri Bryner.

Untersuchungen an Emme, Moesa, Rhone und Thur im Rahmen des Rhone-Thur-Projekts hätten dies klar gezeigt. Der Erfolg des Hochwasserschutzes bei Flüssen im Mittelland hängt jedoch laut den Ergebnissen des Projekts auch stark davon ab, ob im Oberlauf der Zuflüsse naturnahe Abschnitte vorhanden sind, sowie von der Vernetzung der Flüsse mit dem Grundwasser.

Handbücher und Handlungsanleitungen

Laut EAWAG liegen nun neue Handbücher und Handlungsanleitungen vor, die eine wichtige Lücke schliessen. Revitalisierungen könnten künftig besser realisiert werden, gestützt auf Prognosemodelle und Variantenvergleiche.

Diese wurden notwendig, nachdem die praktischen Instrumente zur Umsetzung des gesetzlich geforderten nachhaltigen Hochwasserschutzes bisher weitgehend fehlten.

Das Rhone-Thur-Projekt hat laut EAWAG auch gezeigt, dass viele Gewässer im Mittelland für Revitalisierungen und Aufweitungen gut oder sehr gut geeignet sind.

swissinfo und Agenturen

Erdrutsche und Überschwemmungen haben in den letzten 30 Jahren Schäden von etwa 10 Mrd. Franken verursacht.

In den letzten 15 Jahren haben sich – ausgelöst durch eine verstärkte Urbanisierung – die Schäden vervierfacht.

Im Durchschnitt betrugen die Schäden 300 Mio. Franken pro Jahr.

In den letzten sieben Jahren haben die Behörden über 200 Mio. Franken für Revitalisierungs-Projekte aufgewendet.

Das interdisziplinäre “Rhone-Thur”-Projekt wurde 2002 gestartet. Es wird von verschiedenen Institutionen getragen, darunter das EAWAG-Wasserforschungsinstitut, die Eidgenössischen Technischen Hochschulen in Zürich und Lausanne und das Bundesamt für Umwelt.

Ziel dieses Projektes ist die Entwicklung von Methoden und Instrumenten, die bei der weiteren Revitalisierung von Gewässern helfen und damit auch vor Überschwemmungen schützen können.

Ein Folgeprojekt zeigt weiter auf, wie weit wasserbauliche Massnahmen standorttypische Lebensräume und schlussendlich auch die Biodiversität, die Artenvielfalt, wiederherstellen können.

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