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Freiwilliges Exil in London

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Vor 15 Jahren kam Christina Niederberger nach London, um Malerei zu studieren. Sie blieb und schreibt an der Goldsmiths University ihre Doktorarbeit zum Thema Heimat und Kitsch in der Kunst.

Obwohl sie mit einem Briten verheiratet ist, war die Schweizer Künstlerin nie wirklich bereit, “ihr Herz ganz nach London zu verpflanzen”.

“Mein Leben findet klar in London statt. Ich habe aber ein Zimmer in Bern behalten, weil ich mein soziales Umfeld nicht aufgeben wollte.” Für Ausstellungen, an Weihnachten und im Sommer reist sie regelmässig in die Schweiz. “Der Sommer in London ist schrecklich. Die Stadt ist ein Moloch, aus dem es kein Entrinnen gibt.”

In ihren ersten Jahren in England hatte die studierte Psychologin kaum Zeit, auf neue Leute einzugehen. “Ich war hier um zu malen. Kunst gibt emotional so viel, dass kein Bedürfnis da war. In London ist in Sachen Kunst enorm viel los.”

Der Wunsch war immer da

Künstlerin werden wollte sie schon immer. “Es war mein erster und innigster Wunsch”, sagt die Wahllondonerin. “Schon als Kind habe ich viel gemalt und gezeichnet.”

Da es aber damals – Niederberger hat Jahrgang 1961 – keine Möglichkeit gab, freischaffende Kunst auf akademischem Niveau zu studieren, machte sie den Umweg über Psychologie und arbeitete drei Jahre in diesem Beruf, bis sie merkte: “So will ich mein Leben nicht verbringen. Ich will Kunst machen.”

Und seit 1992 geht die Bernerin diesen Weg konsequent. Sie schloss einen Bachelor und einen Master in Fine Art ab und ist seit 2003 Doktorandin an der Kunstakademie der Goldsmiths University in London.

Ihr Atelier liegt in einem alten Schwimmbad, das seit 1973 von Kunststudenten der Goldsmiths genutzt wird. Hier herrscht ein reges Treiben. Hier wirken Studierende aus verschiedenen Kunst-Richtungen aus aller Herren Länder. Auch Schweizerdeutsch ist zu hören.

“Ich bin Kunstmalerin”

Christina Niederberger hat ihre Bilder bisher in verschiedenen Gruppen- und Einzelausstellungen in Biel, Bern, London, Berlin und New York gezeigt. Mittlerweile kann sie vom Erlös ihrer Werke leben.

“Malerei ist mein Beruf und glücklicherweise verkaufe ich genug, um den Lebensunterhalt zu bestreiten. Das empfinde ich als enormes Privileg.”

Die Künstlerin aus Bern befasst sich in ihrem Schaffen mit der Verwischung von Vorder- und Hintergrund, sie malt abstrakte Bilder mit figurativen Elementen, welche die ganze Ordnung umkippen, oder figurative Bilder, die abstrakte Elemente enthalten.

Zudem arbeitet sie seit Längerem an einer Serie von Leuchterbildern. Mit durchsichtigem Lack malt sie Leuchter auf Plexiglas. Scheint kein Licht hinein, ist kaum etwas zu sehen.

“Strahlt jedoch die Sonne oder eine Lampe auf das Bild, fällt ein Schatten des Leuchters auf die Wand. Das Licht projiziert das Bild des Leuchters.”

Kunst und Sprache

An der Goldsmiths hat sie gelernt, wie viel Intellekt die Kunst fordert. “Früher habe ich immer gedacht, Malerei sei etwas für die Sinne.” Gute Kunst habe aber auch sehr viel mit theoretischer Auseinandersetzung zu tun.

Zudem komme man heutzutage, wenn man als professioneller Künstler bestehen wolle, nicht darum herum, sich philosophisch mit der Kunst auseinander zu setzen.

Die Auseinandersetzung findet auch zu Hause statt. Ihr Mann, Philip Gibbs, lehrt an der Heatherley School of Art Drucktechnik. Der Vermieter ihrer Wohnung im multikulturellen Südlondon ist ein pensionierter Kunstprofessor des Royal College of Art. “Unser Haus ist voller Kunst”, sagt die Schweizerin.

“Wo bin ich zu Hause?”

Als Christina Niederberger 1992 im Alter von 31 Jahren nach London kam, war ihr nicht klar, dass sie bleiben würde. “Ich kam für einen einjährigen Kurs.” Doch sie blieb, die Stadt bot viel Interessantes und Neues in Sachen Kunst.

Als nach etwa sieben Jahren das Neue Routine war, wurde ihr bewusst, dass sie jetzt in dieser Metropole lebte. Und je länger sie hier war, desto relevanter wurde das Thema Heimat.

“Ich merkte an meinen Arbeiten, dass ich zwar von den Kunststudien hier beeinflusst bin, meine kulturellen Wurzeln aber sehr stark in mein Schaffen hineinspielen.”

Daher war es naheliegend, dass die Auseinandersetzung als Künstlerin mit diesem freiwilligen Exil in London sowie das Thema Heimat und Kunst zum Thema ihrer Doktorarbeit wurde.

Seit 2003 arbeitet sie Vollzeit an ihrem “practice-based” PhD, der aus einer Ausstellung und einer Dissertation besteht. Ende 2007 möchte sie abschliessen. Dann wird sie eine der ersten doktorierten Schweizer Kunstmaler in Grossbritannien sein.

swissinfo, Gaby Ochsenbein, London

Geboren 1961 in Bern

1981 – 1989 Psychologie-Studium in Bern

1992 – 1993 Heatherley School of Art, London

1993 – 1997 BA Byam Shaw School of Art, London

2001 – 2002 MA Fine Art Goldsmiths College, University of London

Seit 2003 practice-based PhD Fine Art, Goldsmiths College, University of London

Thema der Doktorarbeit: “The quest for ‘Heimat’ – Kitsch and localized identity in contemporary painting” – “Die Suche nach ‘Heimat’ – Kitsch und lokale Identität in der zeitgenössischen Malerei”

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