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Gefährdeter Brückenschlag

Die neue BuchBasel hat mehr Besucher angezogen als erwartet. Keystone

Bücher schaffen nur selten den Sprung über die Sprachgrenze. Braucht es deshalb auch keine gesamtschweizerische Buchmesse?

Der Eklat um die zeitgleichen Buchmessen von Genf und Basel kratzte an einem Tabu, beantwortete die Frage aber nicht.

Der Eklat war gross. Zum gleichen Zeitpunkt wie der traditionsreiche Genfer “Salon du livre” veranstaltete Basel zum erstenmal die Buchmesse “Buch Basel”. Die Provokation war unmissverständlich, auch wenn die Basler Veranstalter eine böswillige Absicht bei der Terminwahl dementierten.

Genf befürchtete Konkurrenz aus der Deutschschweiz und einen Einbruch bei den Besucherzahlen. Die Schweiz sei zu klein für zwei Buchmessen, hiess es im Vorfeld. Am Sonntagabend kam die Entwarnung: Genf meldete fast so viele Besucher wie immer, Basel mehr als erwartet.

Angriff auf die Willensnation

Was bleibt ist die Frage, ob es in Genf auch in Zukunft eine gesamtschweizerische Buchmesse geben wird. “Der Genfer Anspruch, eine nationale Plattform zu sein, ist völlig falsch und trifft nicht zu”, betonte der Initiator der Basler Messe, Matthyas Jenny, am Eröffnungstag. Was die deutschsprachige Literatur betreffe, besitze Genf keine Kompetenz.

Tatsächlich ist die Präsenz Deutschschweizer Verlage in Genf Jahr für Jahr zurückgegangen. Ausschlaggebend dafür waren aber vorwiegend ökonomische Gründe. Nur Diogenes, der grösste Schweizer Verlag, hielt Genf die Treue.

Denn Genf ist mehr. Mit dem Anspruch, eine gesamtschweizerische Plattform zu sein, werden zentrale Werte Schweizer Identität angesprochen: Die Schweiz als Willensnation.

Die Teilnahme an der Genfer Buchmesse bedeute für die Aussteller aus der Deutschschweiz kein Geschäft, sondern ein “Ja zur multikulturellen und mehrsprachigen Schweiz”, sagte Ruth Geiger von Diogenes gegenüber der NZZ.

“Genf hat sich bemüht den Brückenschlag zu machen, ob erfolgreich oder nicht ist eine völlig andere Frage”, betont David Streiff, Direktor des Bundesamts für Kultur BAK, gegenüber swissinfo. Der Bund habe natürlich ein Interesse, dass diese Brückenschläge über die Sprachgrenzen immer wieder stattfänden. “Wenn aber die Leute in ihrer Region bleiben, entfällt diese Möglichkeit zum Brückenschlag.”

Messen willkommen

Während aus der Warte der nationalen Kulturpolitik eine gesamt-schweizerische Messe unverzichtbar scheint, kann es aus der Sicht der Literatur gar nicht genug Messen geben.

“Genf ist keine gesamtschweizerische Messe, es ist eine frankophone Messe, aber das darf auch sein”, erklärt Theres Roth-Hunkeler, Präsidentin des Verbandes “Autorinnen und Autoren der Schweiz AdS”. Es habe durchaus Platz für zwei Buchmessen. “Alle Promotion für die Literatur und das Buch ist notwendig und zu begrüssen.”

Getrennte Sprachwelten

Sprachregionale Buchmessen machen aber auch aus anderen Gründen Sinn: “Es gibt Literaturen in der Schweiz, aber nicht die Schweizer Literatur”, betont die Kulturjournalistin und Publizistin Klara Obermüller. Die anderssprachigen Literaturen lebten sehr getrennt voneinander, und selbst in Fachkreisen wisse man relativ wenig voneinander. “Das beschämt mich, aber es ist mir bisher nicht gelungen, es zu ändern.”

“Trotz Vielsprachigkeit, die Trennung ist Realität”, erklärt der Zürcher Autor Peter Stamm. Nur eine Minderheit spreche beide Sprachen und sei Grenzgänger. “Ich lese französische Autoren, aber unabhängig davon, ob sie Romands sind.”

Natürlich habe man gemeinsame Wurzeln, und es gebe typisch schweizerische Hintergründe wie der Militärdienst oder die föderalistische Kultur. “Doch leben viele jüngere Deutschschweizer Autoren in Berlin und unsere Kollegen aus der Romandie in Paris.”

Arbeit gegen den Realtrend

In Genf wurde im Rahmen einer Ausstellung auf die zentrale Bedeutung der Übersetzungen für die Schweizer Literatur aufmerksam gemacht. “Wir möchten, dass man Kenntnis nimmt von den anderssprachigen Literaturen in diesem Land”, betont BAK-Direktor Streiff. Der Bund beteiligt sich deshalb über die Kulturstiftung Pro Helvetia an den Übersetzungskosten.

Dennoch schaffen nur wenige Autoren den Sprung über die Sprachgrenze. “Es ist eine Folge des mangelnden Interesses. Denn die Sprachbarrieren fallen ja im Moment der Übersetzung weg”, vermutet Klara Obermüller.

Die deutsche und österreichische Literatur seien ihr viel vertrauter als diejenige der nicht-deutschsprachigen Schweiz. “Das ist einfach eine Tatsache, die kann man sich wegwünschen, aber nicht unbedingt wegzaubern: Wir bewegen uns in unseren Kultur- und Sprachkreisen und fühlen uns darin zu Hause.” Alles andere bedürfe einer zusätzlichen Anstrengung.

Diese Realität akzeptiert auch BAK-Direktor Streiff: “Aber es ist unsere Pflicht als Bundesamt gegen diesen Realtrend Gegengewicht zu setzen.”

Man werde deshalb versuchen mit guten Argumenten zumindest auf eine Klärung der Terminfrage hinzuarbeiten. “Doch steuern können wir dies nicht, weder Genf noch Basel bekommen von uns finanzielle Unterstützung, und nur mit Geld kann man direkten Einfluss nehmen.”

swissinfo, Hansjörg Bolliger und Anita Hugi

Während der fünftägigen Dauer zählte der Genfer Buchsalon etwa 110’000 Eintritte, knapp 10% weniger als letztes Jahr.

Die neue “BuchBasel”, die etwa fünfmal kleiner ist und nur drei Tage dauerte, verzeichnete respektable 28’000 Besucher.

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