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Milliarden-Poker an den Schweizer Urnen

Eine Roulettekugel landet im Feld mit der Zahl 29
Das Schicksal des neuen Geldspielgesetzes ist keine Glücksache, sondern hängt vom Willen des Schweizer Stimmvolks ab, das am 10. Juni 2018 darüber abstimmen wird. Keystone

Es ist ein ungewöhnlicher und äusserst heftiger Abstimmungskampf. Am 10. Juni entscheidet das Schweizer Stimmvolk über das neue Geldspielgesetz. Für die Befürworter fördert es das Gemeinwohl und schützt die Spieler vor Gefahren. Für die Gegner zensiert es das Internet und zementiert die Monopole der einheimischen Casinos. Auf dem Spiel stehen riesige Summen.

Grafik Casinos in der Schweiz
swissinfo.ch

Roulette, Black Jack, Poker: Diese und andere Geldspiele könnten die Schweizer Casinos auch online anbieten, falls das Bundesgesetz über GeldspieleExterner Link (BGS) in Kraft treten würde. Es wurde vom Schweizer Parlament im vergangenen September verabschiedet.

Wie bereits die realen Spieltische wären auch virtuelle Tische unter bestimmten Bedingungen bewilligungspflichtig. Der Zugang zu allen webbasierten Glücksspielangeboten ohne eine Konzession des Bundes würde gesperrt.

Andererseits könnten Vereine, die zur Organisation grosser Lotterien und Sportwetten berechtigt sind, mit dem BGS neue Formen von Lotterien und Sportwetten vorschlagen. Zum Beispiel Wetten mit Wettbüros und solche in Echtzeit, also während einer Sportveranstaltung.

Eine weitere Neuheit: Gewinne aus Lotterien und Sportwetten wären bis zu einer Million Franken steuerfrei. Heute gilt diese Regelung nur für Gewinne bis tausend Franken. Zu den Neuerungen des BGS gehört auch die Freigabe von Bewilligungen für kleinere Pokerturniere ausserhalb von Casinos.

Gewinne für das Gemeinwohl

Die Grundidee hinter der Gesetzgebung ist, dass der Staat den Geldspielmarkt reguliert und kontrolliert, und dass er gleichzeitig garantiert, dass der Markt sein Angebot auf dem neuesten Stand halten kann.

Mit der Umsetzung des von Volk und Kantonen 2012 angenommenen Verfassungsartikels über Geldspiele soll das BGS sicherstellen, dass die Erlöse aus Geldspielen für die Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHV) und die Invalidenversicherung (IV) sowie für kulturelle, soziale und sportliche gemeinnützige Einrichtungen verwendet werden.

Spieltische in einem Casino
Casinos zahlen in der Schweiz eine Steuer von 40-80% auf das Bruttoeinkommen (Einnahmen abzüglich ausbezahlter Gewinne). Steuern aus den A-Casinos (Grand Casinos) gehen vollständig an die Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHV) und die Invalidenversicherung (IV). Von jenen aus den B-Casinos gehen 60% an AHV/IV und 40% an den Kanton, in dem sich das Casino befindet. 2016 entrichteten die 21 Casinos 323,3 Mio. Fr. an Steuern: 275,9 Mio. an AHV/IV und 47,3 Mio. an die Kantone. Zudem zahlen Casinos Steuern auf ihre Unternehmensgewinne, wie jedes andere Unternehmen auch. Keystone
Lottokugeln wirbeln während einer Ziehung der Lottozahlen in einer Glaskugel durcheinander
Swisslos und Loterie Romande, die beiden zur Durchführung von Lotterien und Sportwetten auf interkantonaler Ebene zugelassenen Unternehmen, müssen ihren Reingewinn für wohltätige und gemeinnützige Zwecke verwenden, vor allem in den Bereichen Kultur, Sozialarbeit, Sport und Umwelt. 2016 betrug der gesamte Reingewinn von Swisslos und Loterie Romande fast 630 Mio. Fr. Die Lotteriegesellschaften sind zudem verpflichtet, den Kantonen zur Bekämpfung der Spielsucht jährlich eine Gebühr zu entrichten. 2016 belief sich diese auf 4,5 Mio. Fr. Keystone

Im Parlament wurde das neue Gesetz von einer grossen Mehrheit gutgeheissen. Bekämpft wurde es nur von der Grünliberalen Partei (GLP), von einer Mehrheit der Schweizerischen Volkspartei (SVP) und der Grünen sowie von einer kleinen Minderheit der Freisinnig-Demokratischen Partei (FDP.Die Liberalen).

Jugendrevolte

Ironischerweise wird nun aber jenes Gesetz, das die Schweizer Regierung und das Parlament als “Anpassung an das digitale Zeitalter” präsentieren, von den sogenannten “Digital Natives” bekämpft.

Die Jungparteien von vier im Parlament vertretenen grossen Parteien nämlich – SVP, FDP, GLP und Grüne – haben gegen das Gesetz das Referendum ergriffen. Die vier Jungparteien haben ihre erste Wette bereits gewonnen: Es gelang ihnen, die notwendigen 50’000 Unterschriften zu sammeln, um das BGS an die Urne zu bringen.

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Und nicht nur das: Es scheint fast sicher, dass sich die Jungparteien des gesamten politischen Spektrums im Schweizer Parlament gegen das Geldspielgesetz zusammenschliessen werden. So haben sich unterdessen die Jungparteien der Sozialdemokratischen Partei (SP) und der Bürgerlich-Demokratischen Partei (BDP) dem “Nein”-Lager angeschlossen.

Und den Jungfreisinnigen gelang in der Vorbereitung der Abstimmungskampagne ein cleverer Schachzug: Sie konnten die FDP-Delegiertenversammlung überzeugen, sodass sich die Mutterpartei schliesslich gegen das Gesetz aussprach und damit die Parlamentsfraktion der Partei brüskierte, die dem Gesetz mit sehr grosser Mehrheit grünes Licht gegeben hatte.

Gegen “Zensur” und Protektionismus

Nicht der einzige, aber der Hauptgrund für die Opposition von verschiedenen Seiten gegen das BGS ist die Sperrung ausländischer Anbieter. Würden seriöse Anbieter ausgeschlossen, wanderten Online-Glückspieler in den Schwarzmarkt ab, betonen sie. Sie verurteilen die “staatliche Internet-Zensur” und eine “digitale Isolierung”.

Für die Gegner verstösst diese Blockierung gegen die Wirtschafts- und Informationsfreiheit. Eine solche Netzsperre wäre ein “gefährlicher Präzedenzfall”. “Was mit Online-Poker beginnt, kann schnell zu weiterer Zensur im Bereich der Musik, Filme oder sogar Informationswebsites führen”, befürchten sie.

Eine weitverbreitete Praxis

Geldspiele sind nicht irgendein Konsumgut, das frei verkäuflich ist: Bereits heute brauche es Bewilligungen, sagte Justizministerin Simonetta Sommaruga bei der Lancierung der Abstimmungskampagne für das BGS.

Eine Blockierung wäre darüber hinaus auch keine Schweizer Besonderheit: Es sei eine Praxis, die bereits in vielen Ländern gelte. Allein in Europa werde sie bereits von 17 Ländern umgesetzt, von denen zwei – Italien und Frankreich – an die Schweiz angrenzen, betonte Sommaruga.

Betreiber von Geldspielplattformen, die keine Bundeslizenz hätten, würden auch nicht einen Teil ihres Erlöses an die AHV/IV und gemeinnützige Einrichtungen entrichten, betonte die Ministerin. Zudem müssten sie auch keine Massnahmen ergreifen, um die mit dem Glücksspiel verbundenen Risiken wie Sucht, Betrug und Geldwäscherei zu verhindern.

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Ungenügender Spielerschutz

Das BGS hingegen verstärke die Massnahmen zum Schutz gegen krankhafte Spielsucht. Die Verpflichtung, diese Bestimmungen zu übernehmen, die bereits für Casinos gelten, würde auch auf die Kantone und deren Lotteriegesellschaften ausgedehnt. Das neue Gesetz sieht ausserdem vor, dass unter den Leitern der Aufsichtsbehörden mindestens ein Spezialist für Suchtprävention ist.

Aber auch in dieser Frage sind die Gegner des BGS der Meinung, die gesetzlichen Bestimmungen seien unzureichend, und es sollte eine nationale Expertenkommission eingerichtet werden. Zudem sollten die Kantone eine spezifische Steuer erheben, um die Kosten für die Folgen übertriebener Geldspiele zu finanzieren. Im Visier haben sie besonders die Tatsache, dass Lotteriegewinne bis zu einer Million Franken von der Steuer befreit werden sollen.

Lobbys verkomplizieren das Spiel

Doch im Kampf zwischen Befürwortern und Gegnern des Geldspielgesetzes geht es nicht nur um Argumente, die direkt mit dem Gesetzestext zu tun haben. So beschuldigen die Befürworter die Gegner, sie liessen sich von ausländischen Online-Geldspielfirmen bezahlen.

Tatsächlich hat das GegnerkomiteeExterner Link von zwei jener internationalen Firmen finanzielle Unterstützung erhalten. Aus diesem Grund haben die jungen Grünen ein separates KomiteeExterner Link gegründet, um finanziell unabhängig zu sein.

Die Gegner wiederum beschuldigen die Befürworter, sie liessen sich von Casinos und interkantonalen Vereinen manipulieren, die Lotterien und Sportwetten organisieren und von denen sie finanzielle Mittel für die Abstimmungskampagne erhalten hätten.

Der Druck ist hoch, und die “Ja”-Seite – zu der die Regierung und die Mehrheit des Parlaments und der Kantonsregierungen gehören – findet breite und vielfältige Unterstützung. Zu ihren Verbündeten zählen besonders sportliche, kulturelle und soziale Organisationen und Verbände.

Sie wird auch von einem grossen Befürworter-KomiteeExterner Link unterstützt, dem Politikerinnen und Politiker von Parteien aus praktisch dem gesamten politischen Spektrum der Bundes- und Kantonspolitik angehören. Der Kampf bleibt aber intensiv, und die Würfel sind noch lange nicht gefallen.

(Übertragung aus dem Italienischen: Christian Raaflaub)

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