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Gemeinsamer Kampf gegen Frauenhandel

Menschenhandel: Viele Frauen landen unfreiwillig in der Prostitution - nun wollen einige Kantone ihre Zusammenarbeit verbessern. Keystone

Einige Deutschschweizer Kantone gehen im Kampf gegen Menschenhandel gemeinsam vor. Erstes Ergebnis: Die Opfer werden nicht mehr sofort ausgewiesen, sondern zuerst betreut.

In Bern nahm zudem eine neue Koordinationsstelle ihre Arbeit auf.

Das Geschäft mit dem Menschenhandel blüht. Der Menschenhandel ist ein schwer zu enthüllendes Geflecht, um das sich meist ein Mantel des Schweigens hüllt. Betroffen sind in erster Linie Frauen, die zur Prostitution gezwungen werden.

Die Zahl der betroffenen Menschen ist schwer zu beziffern. In der Schweiz werden schätzungsweise pro Jahr zwischen 1500 und 3000 Frauen Opfer von Menschenhandel.

In ganz Westeuropa, schätzt man, werden pro Jahr zwischen 120’000 und 500’000 Frauen – meist aus Osteuropa – in den Westen “verkauft”.

Theoretisch strafbar

In der Schweiz ist der Menschenhandel verboten. Der entsprechende Artikel 196 im Strafgesetz-Buch ist seit 1960 in Kraft. Allerdings kommen schätzungsweise nur etwa 5% der Fälle von Menschenhandel vor Gericht. Nach Angaben des Zürcher Rechtsanwalts Marcel Bosonnet sind es gar weniger als diese 5%.

“Seit 1960 sind nur 15 Fälle bekannt, in denen es in der Schweiz zu einer Verurteilung wegen Menschenhandels kam”, erklärte Bosonnet letzte Woche bei einer öffentlichen Diskussion in Zürich.

“Es stellen sich somit zwei Fragen: Sind die Statistiken falsch, oder funktioniert die Schweizer Justiz nicht”, so der Rechtsanwalt weiter.

Schlecht informierte Behörden

Eine mögliche Erklärung ist, dass die Behörden die Straftäter zu wenig verfolgen. “Wir haben noch keine spezialisierten Untersuchungsrichter, um den Menschenhandel zu bekämpfen und zu verfolgen”, bedauert Marcel Bosonnet.

Der Anwalt kritisiert auch den “Mythos”, wonach Frauenhandel vor allem Teil des weltweit organisierten Verbrechens sei. “Es handelt sich hier oft um viel kleinere Strukturen”, sagt er.

Gemäss Bosonnet werden die Frauen oft von den eigenen Familien oder ihrem näheren Umfeld in die Prostitution gezwungen. Damit stehe das Opfer unter zusätzlichem Druck und wage es nicht, in der Schweiz Anzeige gegen die Verantwortlichen zu erstatten.

Aufenthalt gewähren



Ein weiteres Problem, darin waren sich die Experten in Zürich einig, ist, dass es kaum Aussagen von Opfern vor Gericht gibt, da sich die Frauen in der Regel illegal in der Schweiz aufhalten. Und wenn sie sich bei den Behörden zu erkennen geben, wurden sie bisher fast immer ausgeschafft.

“Diese Frauen werden nicht als Opfer betrachtet, sondern als Täterinnen, weil sie sich illegal im Land aufhalten”, sagt Marianne Schertenleib vom Zürcher Frauen-Informationszentrum FIZ, das sich seit langem mit der Problematik befasst.

“Wenn die Polizei die Frauen bei Kontrollen in Nachtclubs oder Massagesalons aufgreift, wird eine Ausweisung aus der Schweiz verfügt. Damit werden die Opfer des Frauenhandels zu Täterinnen gestempelt.”

Die Frauen könnten sich nicht einmal von ihren traumatischen Erlebnissen erholen, bevor sie im Flugzeug sässen und ausgeschafft würden, sagt Schertenleib. Das sei umso grausamer für die Frauen, weil die wirklichen Täter ungestraft weiter machen könnten.

Verschuldet



“Vor kurzem hatten wir eine Frau bei uns, die während Monaten in einer Wohnung eingeschlossen war. Sie wurde gezwungen, sich zu prostituieren, arbeitete Tag und Nacht und hatte trotzdem mehrere tausend Franken Schulden bei ihrem Vermieter.”

Der Bericht des Bundes zum Menschenhandel in der Schweiz (2001), der aufgrund einer Motion der sozialdemokratischen Nationalrätin Ruth-Gaby Vermot-Mangold zu Stande kam, empfiehlt den Behörden eine dreistufige Aufenthalts-Genehmigung für Frauen, die Opfer wurden.

Zuerst sollte das Opfer eine dreimonatige Bedenkzeit erhalten, während der Anzeige erstattet werden kann. Dann ein Aufenthaltsrecht, das auf die Dauer der Strafverfolgung beschränkt ist und schliesslich eine unbeschränkte Verlängerung aus humanitären Gründen, falls eine Verurteilung der Täter vorliegt.

Konsens möglich

“Der letzte Punkt ist am meisten umstritten”, sagt Stephan Libiszewski, der Leiter der eidgenössischen Koordinationsstelle gegen Menschenhandel und Menschenschmuggel (SCOTT). Die Stelle wurde letzten Januar eingerichtet.

“Aber in gewissen Bereichen ist sicher ein Konsens möglich”, sagt Libiszewski. “Etwa dabei, dass Opfer des Frauenhandels nicht sofort ausgeschafft werden sollen.” Eine Frau, die bereit sei auszusagen, sollte vorerst in der Schweiz bleiben können, unter der Voraussetzung, dass gegen sie keine andere Strafuntersuchung läuft.”

Stephan Libiszewski erinnert zudem daran, dass es heute schon möglich ist, in Ausnahmefällen Aufenthaltsbewilligungen zu erteilen. Allerdings würden die Kantone davon sehr selten Gebrauch machen.

Runder Tisch

Um die bestehenden Möglichkeiten zur Bekämpfung des Menschenhandels auszuloten, hatte das FIZ bereits im August 2001 Vertreter der Justiz, der Polizei und der Opferhilfe-Organisationen zu einem Runden Tisch eingeladen. Mit dabei auch dabei war das Gleichstellungs-Büro.

Ein erster Erfolg dieser Bemühungen: Das FIZ wurde von den Polizei- und Justizbehörden ersucht, sich um die Opfer zu kümmern. Damit werden diese nicht mehr sofort ausgeschafft, wie das zuvor der Fall war.

Auch die Kantone Bern, Luzern und Basel sind mittlerweile dabei, ähnlich vorzugehen wie Zürich. Die Strafverfolgung ist in der Schweiz Sache der Kantone.

Stephan Libiszewski gibt sich optimistisch: “Wir sind am Beginn der Zusammenarbeit mit den Kantonen. Das braucht Zeit, aber die Richtung stimmt.”

Neben der Zusammenarbeit mit den Behörden kriegt das FIZ indirekt manchmal auch Hilfe von Bordellbesuchern, die sich melden, wenn sie Frauen angetroffen haben, die Opfer eines solchen Menschenhandels geworden sind.

“Leider stellen sich solche Personen kaum je die Frage nach ihrer eigenen ambivalenten Haltung, dass gerade sie als Kunden Auslöser der schlimmen Entwicklung sind”, bedauert Marianne Schertenleib.

Erweiterte Definition

Das Los der Opfer könnte auch mit einer Revision des Strafgesetz-Buches verbessert werden, auf die Fachleute schon heute ungeduldig warten.

Der Menschenhandel würde dann nicht nur die sexuelle Ausbeutung der Frauen erfassen, sondern auch die wirtschaftliche. Zum Beispiel von Putzfrauen oder Haushalthilfen, die oftmals auch ohne gültige Papiere in der Schweiz leben.

swissinfo, Ariane Gigon Bormann, Zürich

Das FIZ hat zum Thema Menschenhandel eine neue und umfassende Dokumentation zusammengestellt. Sie trägt den Titel “Betrogen und verkauft. Frauenhandel in der Schweiz und anderswo.”

Das Geschäft mit dem Menschenhandel blüht weltweit. Die Hauptrouten dieses lukrativen Handels in den Westen Europas verlaufen quer durch den Balkan. Neben Bosnien-Herzegowina und dem Kosovo ist Mazedonien eine wichtige Drehscheibe geworden.

Die wirtschaftliche Not treibt immmer mehr Menschen im Osten Europas dazu, ihr Heil im Westen zu suchen. Für Frauen heisst das oft, dass sie mit Versprechen auf Arbeit in den Westen gelockt werden, dabei in die Fänge skrupelloser Händler geraten – und als Sex-Sklavinnen ausgebeutet in der Zwangsprostitution enden.

In der Schweiz sind es oftmals Frauen, die ursprünglich mit einem so genannten Artisten-Visum (Tänzerin in einem Nachtclub) ins Land kommen. Nach Ablauf der Bewilligung geraten diese Frauen häufig in die oben erwähnten Abhängigkeiten. Wenn sie ihre Peiniger anzeigen, riskieren sie, gleich abgeschoben zu werden.

Nun sind Bemühungen im Gange, zumindest die Abschiebe-Praxis zu lockern, um den Frauen eine Bedenkzeit zu geben, während derer sie sich mit der nötigen Unterstützung – etwa von Hilfsorganisationen – auf eine Aussage vor Gericht vorbereiten können.

Zwischen 1500 und 3000 Frauen werden schätzungsweise pro Jahr in der Schweiz Opfer von Menschenhandel.

Insgesamt werden pro Jahr zwischen 120’000 und 500’00 Frauen, meist aus Osteuropa, nach Westeuropa “verkauft”.

International ist die die UNO-Organisation für Migration (IOM) seit einigen Jahren aktiv im Kampf gegen den Menschenhandel.

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