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Gentherapie: Wie ein Schweizer Startup die Kosten senken will

Laboratory
Das Unternehmen NewBiologix entwickelt Instrumente zur Analyse des Genoms. Déborah Ley, Chief Operating Officer des Unternehmens, erläutert die ambitionierten Zukunftspläne. Jessica Davis Plüss, swissinfo.ch

Gentherapien sind ein Hoffnungsträger, aber sie kosten Millionen Dollar – pro Patient:in. Das Schweizer Startup-Unternehmen "NewBiologix" tritt mit der Überzeuung an, dass es die Kosten drastisch senken kann. Wie soll das gehen?

Die Farbe an den Wänden ist gerade noch rechtzeitig trocken geworden für die Eröffnung des Hauptsitzes von “NewBiologix” in Épalinges. Das Unternehmen ist es gewohnt, schnell zu arbeiten. Innerhalb von nur zwei Jahren ist aus einer Idee eine 1800 Quadratmeter grosse, hochmoderne Anlage geworden, voller erstklassiger Laborgeräte.

“NewBiologix” ist ein junges Unternehmen, aber dahinter stehen zwei erfahrene Wissenschaftler und Biotech-Unternehmer. Igor Fisch und Nicolas Mermod hatten 2001 in Genf mit Selexis ein Unternehmen gegründet, das Technologieplattformen zur Herstellung von therapeutischen Proteinen aus menschlichen Zelllinien (Sammlungen von Zellen mit demselben genetischen Material) entwickelt, wie sie in biologischen Arzneimitteln Verwendung finden. Im Jahr 2017 wurde das Unternehmen von der japanischen Gruppe JSR Corporation übernommen.

Behandlung der Unbehandelbaren

Mit ihrem nächsten Projekt bringen Fisch und Mermod ihr Wissen über die Entwicklung von Zelllinien in die Gentherapie ein, die Teil einer neuen Generation von Medikamenten ist, mit denen die Ursachen von Krankheiten bekämpft werden sollen, die lange als unheilbar galten.

Bei der Gentherapie wird genetisches Material in die Zellen eines Patienten eingebracht, um ein defektes Gen zu ersetzen oder zu ergänzen.

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Seit die US-Behörden 2017 die erste Gentherapie zugelassen haben, hat sich dieser Zweig der Entwicklung neuer Behandlungen explosionsartig entwickelt.

Inzwischen sind mehr als 300 klinische Gentherapieversuche bei der US Food and Drug Administration registriert, es geht um die Behandlung von erblichem Krebs bis hin zu Immundefekten.

Aber diese Therapien sind teuer. “Die kosten liegen bei 1 bis 5 Millionen Schweizer Franken”, sagt Fisch, CEO von NewBiologix. Das sei eine Herausforderung.

Trotz der hohen Preise sind einige Unternehmen mit erfolgreichen Gentherapien in finanzielle Schwierigkeiten geraten und haben die Produktion eingestellt. Die Zahl der Patient:innen – weniger als 500 weltweit bei einigen Krankheiten – kann die hohen Kosten für die Entwicklung und Produktion nicht aufwiegen.

Mit dem Resultat, dass Patient:innen keinen Zugang zu potenziell lebensverändernden Behandlungen haben.

NewBiologix möchte dies ändern. “Wir wollen, dass die Gentherapie so vielen Menschen wie möglich zu erschwinglichen Kosten zugänglich ist”, erklärt Mermod, Senior-Vizepräsident für Forschung und Entwicklung bei NewBiologix und Direktor des Instituts für Biotechnologie der Universität Lausanne.

Bessere Gentransportmittel

Es gibt sehr wenig Transparenz darüber, wie die Preise für Gentherapien bestimmt werden. Ein wichtiger Faktor bei den Gesamtkosten sind jedoch die Komplexität und die Kosten für die Entwicklung sogenannter Vektoren. Dies sind die “Vehikel”, mit denen das Gen zum Patienten transportiert wird.

Dabei handelt es sich in der Regel um virale Vektoren, d. h. deaktivierte Viren, die das korrigierte Gen in eine Zelle einbringen. Die Herstellung dieser Vektoren in grossem Massstab und in gleichbleibender Qualität ist schwierig, da die Nachfrage nach Gentherapien sprunghaft gestiegen ist.

In einem kürzlich erschienenen Bericht von McKinsey wurde hervorgehoben, dass die Herstellung viraler Vektoren rasch ausgebaut werden muss und dass hochproduktive Zelllinien eine wichtige Rolle spielen.

Hier kommt NewBiologix ins Spiel. NewBiologix hat sich zum Ziel gesetzt, eine stabilere Methode zur Skalierung der Produktion des in Gentherapien am häufigsten verwendeten Virustyps zu entwickeln, für sogenannte rekombinante adeno-assoziierte Virusvektoren.

Mindestens drei von der FDA zugelassene Gentherapien verwenden solche Virusvektoren, darunter Zolgensma von Novartis zur Behandlung von spinaler Muskelatrophie, das bei seiner Markteinführung 2019 2,1 Millionen US-Dollar kostete.

Produkt bis Ende 2024

Das Ziel ist nicht die Herstellung von Gentherapien selbst, sondern die Entwicklung von Zelllinien und die Verwendung von Next-Generation-Sequencing und anderen Tools zur Genomanalyse.

Das soll es dem Unternehmen ermöglichen, die besten Zellklone unter mehreren Zellkandidaten auszuwählen, um virale Vektoren effizienter und kostengünstiger herzustellen.

Andere Unternehmen hätten bisher Schwierigkeiten, dies zu tun, weil es spezielle Kenntnisse, technisches Fachwissen und eine hochentwickelte Laborausrüstung erfordert, meint Déborah Ley, Chief Operating Officer des Unternehmens.

Der schwedische Vertragshersteller Recipharm hat NewBiologix 45 Mio. CHF (50 Mio. $) für die Entwicklung seiner Idee zur Verfügung gestellt. Fisch geht davon aus, dass das Unternehmen bis Ende 2024 ein Produkt auf den Markt bringen kann, das in Lizenz an Unternehmen vergeben werden kann, einschliesslich grosser Pharmakonzerne.

Bis 2025 hofft das Unternehmen, die Produktion in grossem Massstab aufnehmen zu können.

“Wenn wir die Kosten für die Produktion von viralen Vektoren mit unseren Technologien senken können, wird sich das auf den Preis auswirken. Ob das 50, 70 oder 80 Prozent sein werden, ist schwer zu sagen”, so Fisch.

Ein Schweizer Hub

NewBiologix gehört zu einer wachsenden Zahl von Unternehmen in der Schweiz, die Lücken in der Lieferkette von Gen- und Zelltherapien füllen wollen.

In einem Bericht von McKinsey über europäische Biotech-Unternehmen aus dem Jahr 2021 wird die Schweiz als eines der Wachstumszentren für neue Unternehmen im Bereich der Zell- und Gentherapie genannt.

Dazu gehören grosse etablierte Unternehmen wie Novartis, das kürzlich eine neue, 91 Millionen Dollar teure Zell- und Gentherapieanlage eröffnet hat, sowie die Vertragsproduzenten Lonza und Celonic. Und in den letzten Jahren sind rund ein Dutzend einschlägige kleine Biotech-Firmen entstanden, darunter Limula und Tigen.

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Die Innovation liegt nicht nur in den spezifischen Therapien, sondern auch “in der Art und Weise, wie solche Produkte entdeckt, entwickelt und hergestellt werden”, sagte Michael Altorfer, der die Swiss Biotech Association leitet.

Unterstützung erhält die Branche auch von der Schweizer Arzneimittelbehörde Swissmedic, die kürzlich eine Innovationsfachstelle eingerichtet hat, die sich mit Fragen zu Arzneimitteln für neuartige Therapien wie Gentherapien befasst.

Die Fachstelle soll dazu beitragen, die Zulassung der Produkte zu beschleunigen, indem sie bereits in einem frühen Stadium des Prozesses mit den Forschern zusammenarbeitet.

Editiert von Veronica DeVore, aus dem Englischen übertragen von Marc Leutenegger

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