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Genügend Geld im Alter

Die zweite Säule der Schweizerischen Altersvorsorge wird erstmals revidiert. swissinfo.ch

Die berufliche Vorsorge, in der Schweiz "2. Säule" genannt, muss der erhöhten Lebenserwartung und der Teilzeitarbeit angepasst werden. Das Parlament hat am Montag die Debatte aufgenommen.

In der Schweiz garantiert die berufliche Vorsorge (2. Säule) zusammen mit der Alters- und Hinterlassenen-Versicherung (AHV, 1. Säule) nach der Pensionierung mindestens 60% des zuletzt erzielten Lohnes. Damit soll der gewohnte Lebensstandard erhalten werden. Wegen dieser 2. Säule nimmt die Schweiz im europäischen Vergleich bei der Altersvorsorge den Spitzenplatz ein. Daran soll auch künftig nicht gerüttelt werden.

Aber seit der Einführung des Gesetzes über die berufliche Vorsorge (BVG) haben sich in der Schweiz die demografischen Strukturen verändert. Das Durchschnittsalter steigt, der Anteil älterer Menschen ebenfalls. Diese Alterung der Bevölkerung ruft nach Reformen.

Gesparte Summe über mehr Jahre verteilen

Deshalb will die Schweizer Regierung das BVG revidieren. Kernpunkt der Revision: Der Umwandlungssatz, der die Höhe der Jahresrente bestimmt. Dieser beträgt heute 7,2%. Mit anderen Worten: Pro angespartes Guthaben von 100’000 Franken werden heute pro Jahr 7200 Franken ausbezahlt. Und dieser Satz soll reduziert werden.

Weil Schweizerinnen und Schweizer älter werden, muss das Geld länger ausreichen. Dies ist nur mit einem geringeren Umwandlungssatz möglich. Was zur Folge hat, dass die Rente, pro Jahr gerechnet, kleiner ausfällt. Um dies zu verhindern, schlägt die Schweizer Regierung vor, den Beitragssatz älterer Arbeitnehmenden zu erhöhen. Der Beitragssatz setzt sich aus jeweils gleich hohen Arbeitgeber- und Arbeitnehmerbeiträgen zusammen.

Ein umstrittener Vorschlag, werden dadurch doch die Lohnnebenkosten älterer Arbeitnehmenden erhöht, ergo ihre Konkurrenzfähigkeit auf dem Arbeitsmarkt verringert. Deshalb schlägt die vorberatende Kommission des Nationalrates vor, die Rentenkürzung anderweitig zu verhindern.

Auch kleine und mittlere Einkommen obligatorisch versichern

Die Kommission will nicht nur die älteren Arbeitnehmenden schützen, sondern auch kleine und mittlere Einkommen sowie Teilzeitbeschäftigte in die berufliche Vorsorge miteinbeziehen. Bis jetzt hat beruflich, also 2.-Säule-mässig keine Vorsorge, wer jährlich unter 24’720 Franken verdient. Die Kommission will im Gegensatz zum Bundesrat diese Schwelle halbieren.

Obligatorisch beruflich versichert sind heute Einkommen von 74’160 Franken minus den so genannten Koordinationsabzug von 24’720 Franken. Dieser Abzug wird vorgenommen, weil bei Einkommen bis zu dieser Höhe nach Ansicht des Gesetzgebers die AHV allein für die angemessene Fortsetzung der gewohnten Lebenshaltung sorgt.

Statt dieses fixen Betrags soll der Koordinationsabzug neu 40% des AHV-Lohnes ausmachen – mindestens aber 9270 und höchstens 21’810 Franken. Dadurch würden landesweit rund 300’000 Personen mehr versichert: Fast die Hälfte aller berufstätigen Frauen und ein Drittel aller Arbeitnehmer wären dann besser versichert als heute.

Sturm vor Ausbau

Arbeitgeber und Gewerbevertreter laufen gegen diesen Ausbau Sturm. Sie drohen schon im Vorfeld der Debatte mit einem Referendum. Ihr Argument: dadurch würden die Lohnnebenkosten steigen. Das gefährde Arbeitsplätze – vor allem in Tieflohnbranchen.

Gewerkschaften und Frauendachverbände unterstützen den Kompromiss, der in der Kommission nur 5 Gegenstimmen erhielt. Fast alle Parteien mit Ausnahme einiger Exponenten stehen – noch – hinter diesem Paket. Dies könnte sich jedoch während der Debatte noch ändern.

Der Schwellenwert könnte unter dem Druck von Arbeitgebern und Gewerblern erhöht werden. Bei der SVP finden die Vorschläge kaum Unterstützung. Entscheidend ist die Rolle der Freisinnig-Demokratischen Partei (FDP).

Die drei Säulen der schweizerischen Altersvorsorge

Drei Säulen garantieren in der Schweiz ein finanziell mehr oder weniger sorgenfreies Alter: erstens die AHV, die Alters- und Hinterlassenen-Versicherung, die nach der Pensionierung die Existenz sichern soll. Zweitens die berufliche Vorsorge (2. Säule), die den gewohnten Lebensstandard erlauben soll, und drittens die freiwillige private Vorsorge (3. Säule), die individuelle Bedürfnisse abdecken kann.

Das Schweizerische Dreisäulen-System gilt international als vorbildlich. Als vorteilhaft gilt insbesondere das so genannte Kapitaldeckungs-Verfahren bei der 2. Säule. Bei diesem wird pro Individuum über die Zeit hinweg ein Kapital aufgebaut und verzinst. Die 1. Säule hingegen wird durch das Umlageverfahren finanziert: Dabei finanzieren die jeweils Beschäftigten mit ihren Beiträgen direkt die jeweils Pensionierten.

Spitzenreiterin Schweiz

Laut Eurostat, dem Statistischen Amt der EU, zahlten 1997 Schweizerinnen und Schweizer rund 21 Mrd. Euro in Pensionskassen ein – 11’000 Franken berufliche Vorsorge pro Beitragszahler.

In Grossbritannien und Deutschland – obwohl bevölkerungsmässig grösser – flossen nur gut 19 Mrd. resp. knapp 16 Mrd. Euro in Pensionskassen ein. In anderen Ländern spielt diese berufliche Vorsorgeart der Alterssicherung keine Rolle. Denn dort spielt die erste Säule eine andere, viel wichtigere Rolle.

Rebecca Vermot

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