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“Zürich ist nicht Duisburg”

Quaibrücke: Bühnen beidseits sorgen für Entlastung des Nadelöhrs. swissinfo.ch

Genügend Fluchträume, ein stets verfeinertes Sicherheitsdispositiv, gepaart mit jahrelanger Erfahrung: Darauf bauen die Organisatoren der Zürcher Street Parade, um einer allfälligen Massenpanik vorzubeugen. Eine solche kostete in Duisburg 20 Menschenleben.

“Wir sind bestürzt und betroffen über die Ereignisse an der Love Parade 2010 in Duisburg. In Gedanken sind wir bei allen Opfern, Verletzten und deren Angehörigen”, schreiben die Organisatoren der Zürcher Street Parade auf ihrer Webseite.

Am Samstag waren vor der Love Parade 20 Menschen umgekommen, über 500 wurden verletzt, davon zahlreiche schwer. Vor dem einzigen Zugang zum abgesperrten Gelände des Duisburger Güterbahnhofs war es in der Menge der Hunderttausenden Besucherinnen und Besucher zu einer Massenpanik gekommen.

“Die Stimmung kurz nach diesem Vorfall ist natürlich sehr gedrückt”, sagt Stefan Epli, Mediensprecher der Zürcher Street Parade, gegenüber swissinfo.ch. Bei aller Anteilnahme mit den Opfern und Angehörigen: Eine Absage der Street Parade ist an der Limmat kein Thema.

Zu den Organisatoren der Duisburger Love Parade geht Epli auf Distanz: Weder habe es Kontakte gegeben, noch habe man mit ihnen zusammen gearbeitet.

Bewährtes Sicherheitsdispositiv…

Die Love Parade sei in den 1990ern, als sie noch durch Berlin zog, die Mutter aller Paraden gewesen. “Aber wir sind in Zürich immer unseren eigenen Weg gegangen und werden unsere Street Parade auch in den nächsten Jahren als eigenständige Veranstaltung durchführen.”

Zu den Pfeilern dieser Eigenständigkeit gehört ein Sicherheitskonzept, das möglichst an die Örtlichkeiten angepasst ist.

“In Zürich befinden wir uns mitten in der Stadt. Die diversen Strassen, auf denen die Menschen an die Parade-Route kommen, dienen auch als Fluchtwege”, so der Mediensprecher.

Das Dispositiv haben die Veranstalter laut Epli in Zusammenarbeit mit der Zürcher Stadtpolizei, dem städtischen Rettungsdienst und der Feuerpolizei in all den Jahren stets verfeinert.

… und Kontinuität

Er verdeutlicht dies am Beispiel der Quaibrücke über die Limmat, wo an den Paraden stets ein besonders grosses Gedränge geherrscht habe. Bühnen vor und nach der Brücke bewirkten nun eine Entlastung des Nadelöhrs, “denn die Menschen gehen ja dahin, wo etwas geschieht”, sagt Epli.

Zwar verlangt das Polizeidepartement der Stadtregierung von den Organisatoren, dass sie nach Duisburg ihre Vorkehrungen punkto Sicherheit überprüfen. Aufgrund des bewährten Konzeptes sieht Epli aber keinen Anlass, “alles auf den Kopf zu stellen”.

Er verweist zudem auf die grosse Erfahrung und Kontinuität in diesem Bereich. “Unser Sicherheitschef absolviert dieses Jahr seine 17. Street Parade in dieser Funktion. Wir verfügen über eine Erfahrung, die wahrscheinlich niemand sonst hat”, streicht Epli heraus.

Stammpublikum

Die Zürcher Organisatoren gehen nicht davon aus, dass sich die Absage der Love Parade nach dem Drama gross auf die diesjährigen Besucherzahlen auswirken wird.

Weder hatten die Veranstalter laut Epli einen zusätzlichen Andrang registriert, als frühere Ausgaben der Love Parade ausgefallen seien. Noch glaubt er, dass sich Besucher von den Ereignissen in Duisburg abschrecken lassen.

“Wie eine Umfrage zeigte, verfügen wir in Zürich über ein Stammpublikum, zu dem neben den Raverinnen und Ravern aus der Schweiz vor allem Gäste aus Süddeutschland, Frankreich, Italien und Belgien gehören.

Techno-Raves nicht am Ende

Nach der Katastrophe von Duisburg stimmten deutsche Medien den Abgesang auf die Mega-Raves an. Epli hat dafür kein Gehör. Nur weil ein Veranstalter einen grossen Fehler gemacht habe, bedeute das nicht das Ende der Ära von House- und Technomusik. Nach wie vor würden weltweit jedes Wochenende Hunderttausende in Klubs pilgern, die House und Technomusik spielten.

“Wir sind durchorganisiert und glauben, dass es in der Schweiz weiter geht”, sagt Stefan Epli. Muss er auch, denn er ist Mediensprecher einer Party, die mit Millionenpublikum und Millionenumsätzen an der Limmat schon lange zum grossen kommerziellen Faktor geworden ist.

Renat Künzi, swissinfo.ch

Das Stadtzürcher Polizeidepartement verlangte am Montag die Überprüfung des Sicherheitskonzepts für die bevorstehende Street Parade vom 14. August.

Er gehe aber davon aus, dass man in der Stadt Zürich “sehr gut aufgestellt” sei, sagte Departementssprecher Robert Soós. Schliesslich finde die Street Parade bereits zum 19. Mal statt.

Zentraler Punkt im gemeinsamen Sicherheitskonzept von Organisatoren und Behörden sind die Seitenstrassen entlang der Parade als Fluchtrouten.

Weil diese unbedingt frei bleiben müssten, würden parkierte Autos im Vorfeld konsequent abgeschleppt, sagte Susann Birrer, Sprecherin der Zürcher Stadtpolizei.

Der Rettungsdienst der Stadt Zürich ist laut Sprecher Urs Eberle entlang der gesamten Paraderoute mit Sanitätsposten präsent, um allfällige Verletzte möglichst rasch bergen und versorgen zu können. Dies gilt insbesondere im Bereich der Quaibrücke über die Limmat.

Organisatoren und Behörden stimmen aber darin überein, dass es keine absolute Sicherheit gegen eine Massenpanik gebe.

Von den über 500 Verletzten nach der samstäglichen Massenpanik an der Love Parade in Duisburg befand sich am Montag niemand mehr in Lebensgefahr, teilte die Staatsanwaltschaft Duisburg mit.

Ein Sprecher wollte keine Angaben zu Berichten machen, wonach Unterlagen belegen sollen, dass massive Sicherheitslücken zu der Panik mit 20 Toten geführt haben.

Erst nach Auswertung der beschlagnahmten Unterlagen lasse sich sagen, ob sich Beweise zu Lasten einzelner Verantwortlicher verdichteten.

Wegen des Verdachts auf fahrlässige Tötung laufen Untersuchungen gegen Unbekannt.

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