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Die Pandemie trifft die Schweizer Jugendlichen besonders hart

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Immer mehr junge Menschen sind besorgt wegen der sozialen Isolation in der Schweiz aufgrund von COVID-19. © Keystone / Goran Basic

Die Corona-Massnahmen belasten die Jungen in der Schweiz. Die Einschränkung des sozialen Lebens trifft sie, denn reale Begegnungen sind ein wichtiger Teil ihrer Identitätsfindung, sagt eine Expertin.

Der zentral gelegene Sechseläutenplatz in Zürich ist zum Brennpunkt geworden. Vorfälle wie jener vom Samstag, 6. Februar, häufen sich: Zwei Personen wurden an diesem Abend brutal von einer grösseren Gruppe angegriffen. Die Polizei musste intervenieren – Beamte wurden dabei mit Flaschen beworfen. Ein mutmasslicher Täter kam in Haft. Er ist 16, ein Teenager.

Videos des Scharmützels gingen auf Social Media viral. Ein Teenager, der die Szene miterlebte, erzählte dem Nachrichtenportal 20 MinutenExterner Link, dass die Randale aufgrund des Lockdowns so heftig ausfiel. “Alles ist zu, deswegen eskaliert es.” Er sagte auch: “Es ist brutal anstrengend, dass wir nichts unternehmen können. Ich fühle mich eingesperrt.”

Party im Zug

Da alle Restaurants, Bars und Clubs geschlossen sind, haben einige Jugendliche um Zürich andere Orte gefunden, an denen sie eine Party veranstalten können: Züge. Ende Januar wurde auf Instagram ein Video von jungen Menschen gepostet, die sich im Zug versammelten und Party machten. Das Video wurde auf Instagram veröffentlicht und über 10’000 Mal angeklickt. Ein Benutzer kommentierte: “Wer hat Angst vor den Bullen? Wir nicht!”  

Der Tages-Anzeiger berichteteExterner Link auch, dass einige junge Leute nur mit Freunden in Zügen bleiben, da sie dort trinken und essen dürfen. Zudem gibt es in Zügen auch Toiletten.

Illegale Versammlung in Europa 

“Die Belastung für Kinder und Jugendliche wegen der Pandemie ist gross”, sagt Lulzana Musliu von Pro Juventute auf Anfrage von swissinfo.ch. Das spürt die Kinder- und Jugendorganisation, welche auch ein Sorgentelefon betreibt, an der gestiegenen Nachfrage. Laut Sprecherin Musliu haben die psychologischen Beratungen gegenüber der Vorjahresperiode um 40% zugenommen, dies allein während der zweiten Welle von Oktober bis Dezember.  

Auch in einer UmfrageExterner Link des Schweizer Forschungsunternehmens Sotomo im Januar gaben fast 60% der 15- bis 34-Jährigen an, dass sie sich isoliert und einsam in der Gesellschaft fühlten, mehr als in jeder andere Altersgruppe.

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Der Ausbruch aus dem Lockdown, und sei es nur für eine Party, scheint darum verlockend. Phänomene wie jene von Zürich treten auch in anderen Ländern auf. In Frankreich fand Ende letzten Jahres trotz Ausgangssperre eine Silvester-Rave-Party mit mehr als 2500 Personen statt. Es gab zahlreiche Festnahmen. Im Januar verstiessen Hunderte von College-Studenten in einem Park in Leeds, Mittelengland, mit einer Schneeballschlacht gegen die Corona Regeln. Zwei Organisatoren im Alter von 20 und 23 Jahren wurden mit einer Geldstrafe von jeweils 10’000 Pfund (12’400 Franken) belegtExterner Link.

Nirgendwo hin 

Bars und Clubs sind nicht die einzigen Orte, die in der Schweiz geschlossen sind. Sport- und Freizeiteinrichtungen sind seit letztem Dezember ebenfalls dicht. Seit November haben auch die Berufsschulen und Universitäten ihre Lehre wieder in den virtuellen Raum verschoben. Sportliche und kulturelle Aktivitäten mit mehr als fünf Personen ab 16 Jahren sind verboten, Versammlungen von Personen mit mehr als fünf Teilnehmern nicht erlaubt, weder öffentlich noch privat.

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Aber wie kann es sein, dass die “bestvernetzte Generation” diese verordnete Isolation als derartigen Stressfaktor erlebt? Sind die sozialen Medien nicht ein guter Ersatz? 

“Die digitalen Kompetenzen sind vorhanden und werden gestärkt, der persönliche Austausch bleibt für die Entwicklung der Jugendlichen trotzdem essenziell”, sagt Lulzana Musliu von Pro Juventute. Den Grund erklärt sie so: “Junge Menschen konstruieren ihr Selbstbild über die Interaktion mit anderen.” Die Einschränkungen würden Jugendliche darum besonders hart treffen, “weil sie stärker als andere Altersgruppen die Gemeinschaft suchen”. Dieses “Sehen und Gesehen werden” bildet laut Musliu Teil ihres Selbstwerts.

Eine Studie der Universität Basel stützt diese Aussage. Die Häufigkeit schwerer depressiver Symptomen betrug im Studienzeitraum bei den 14- bis 24-Jährigen 29%. Das ist doppelt soviel wie bei den 45- bis 54-Jährigen, wo die Häufigkeit 14% betrug. Die Umfrage der Universität Basel zur psychischen Belastung fand während der zweiten Covid-19-Welle im November statt. An der Umfrage nahmen über 11’000 Personen aus der Schweiz teil. 

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Die Unruhe unter vielen Schweizer Jugendlichen hat aber wohl auch noch eine ökonomische Komponente: Die Zahl der jungen Menschen, die ihren Arbeitsplatz verlieren, nimmt aufgrund der Corona-Krise ebenfalls weiter zu. Die Arbeitslosenquote in der SchweizExterner Link erreichte Ende Januar 3,7%, den schlechtesten Wert seit dem Frühjahr 2010. Bei der jüngeren Altersgruppe (15 bis 24 Jahre) stieg der Wert gegenüber dem Vorjahresmonat um 41%, mehr als bei den anderen Altersgruppen.

Der Bundesrat wird auf seiner Sitzung am Mittwoch darüber diskutieren, ob die Auflagen gelockert werden soll.

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