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Träume, die Kinder ihre Krankheit vergessen lassen

Keystone

Rund 200 Clowns bringen 300'000 Kindern in 162 Spitälern in acht Ländern Jahr für Jahr Trost und Freude. Dieses Projekt wurde vor 20 Jahren von zwei jungen Erwachsenen in Lausanne gestartet. Sie wollten damit die Zuneigung verewigen, die sie von ihrer Mutter erhalten hatten.

“Ein Kind, das ins Spital gehen muss, hat fast immer Angst, vor allem beim ersten Mal. Mehr noch als die Krankheit macht ihm die Tatsache Angst, dass es nicht versteht, was mit ihm geschieht, dass es in einer fremden Umgebung ist, weg von seiner Familie, den Freunden, den Spielen”, erzählt André Poulie.

Der Präsident der Stiftung Theodora kennt diese Gemütsverfassung nur allzu gut. Im Alter von neun Jahren schnitt er sich einen Teil seines Fusses ab, als er zusammen mit seinem Bruder Jan mit einem Rasenmäher spielte. Während zwei Jahren verbrachte er mehr als sechs Monate im Spital und musste 14 Operationen über sich ergehen lassen.

“In den 1970er-Jahren waren die Spitäler noch nicht speziell für Kinder eingerichtet. Es waren kasernenartige Spitäler für Erwachsene, in denen auch Kinder behandelt wurden. Die Regeln waren sehr streng: die Besuchszeit war auf wenige Stunden beschränkt, Freunde durften nicht kommen, nur die Eltern. Und auch die Eltern waren aufgefordert, nicht zu häufig zu erscheinen, mit der Begründung, die Kinder seien dann noch trauriger, wenn der Besuch wieder gehe”, erinnert sich André Poulie.

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“Es ist super, im Spital zu sein”

Dieser Inhalt wurde am veröffentlicht Seit der Gründung der Stiftung Theodora-vor 20 Jahren haben diese Clowns schon fast eine Million Kinder in den Schweizer Spitälern besucht. “Man kann sie nicht immer zum Lachen bringen, aber man erreicht häufig, dass sie ein bisschen träumen können. Und manchmal setzen sie diese Fantasien mit ihren Eltern oder dem Pflegepersonal später fort”, erzählt Didou.…

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Spiele und Humor

“Um diese langen Tage zu durchbrechen, gab es fast nur die Besuche meiner Mutter Theodora, die mich und die anderen Kinder unterhalten hat – mit Spielen, Büchern und ihrem Sinn für Humor – und so versuchte, unsere Situation zu erleichtern. In diesen Stunden war ich nicht mehr im Spital, sondern in einer anderen Welt.”

Eine Erfahrung, die sein Leben rund 20 Jahre später verändern wird, als Theodora an Krebs erkrankte. André gab seine Marketing-Karriere in den USA auf, um seiner Mutter in den letzten Monaten ihres Lebens zusammen mit Jan beizustehen. Nach Theodoras Tod beschlossen die beiden Brüder, etwas zu tun, um kranken Menschen zu helfen.

“Da auch unser Vater an Krebs gestorben war, wollten wir zuerst die Krebsforschung unterstützen. Und dann, eines Morgens, erinnerte ich mich an einen Artikel, den ich in den USA gelesen hatte. Darin war von einem Clown die Rede, der den Patienten in den New Yorker Spitälern Trost spendete. Da sagte ich mir, dass es schön wäre, etwas Ähnliches für die hospitalisierten Kinder in der Schweiz zu tun.”

Die Stiftung Theodora wurde 1993 vom Brüderpaar André und Jan Poulie gegründet. Seit 1995 ist sie eine gemeinnützig anerkannte Stiftung.

Theodora ist in 162 Spitälern in 8 Ländern tätig: in der Schweiz, Frankreich, Grossbritannien, Italien, Spanien, Weissrussland, der Türkei und Hongkong sowie in 15 Schweizer Heimen für behinderte Kinder.

Sie war die erste Initiative dieser Art in Europa.

Die Stiftung Theodora verfügt über ein Jahresbudget von 6,5 Mio. Franken und verfügt über ein Netzwerk von rund 200 Clowns.

In der Schweiz stammen zwei Drittel der Geldmittel von kleinen Spenden, der andere Teil kommt von privaten Firmen und anderen Stiftungen.

In den anderen Ländern stammt über die Hälfte der Gelder von Firmen und Stiftungen.

Momente der Zerstreuung

Im April 1993 engagierten André und Jan auf eigene Kosten zwei professionelle Clowns und erhielten vom Universitätsspital in Lausanne die Erlaubnis für eine dreimonatige Probezeit. “Der Test war erfolgreich. Der Chefarzt der Kinderabteilung für Onkologie hatte etwas Seltsames festgestellt: Wenn der Moment der Entlassung kam, gab es Kinder, die im Spital bleiben wollten, um die Clowns zu sehen.”

Die beiden Brüder, 28 und 30 Jahre alt, gründeten darauf die Stiftung Theodora und machten sich auf die Suche nach Spendern für Clowns. 20 Jahre später ist die Stiftung in allen Schweizer Spitälern tätig, die Kinder behandeln. Die so genannten Spitalclowns tragen einen weissen Kittel, um damit die Figur des Arztes etwas zu entschärfen, und sie versuchen, den Kindern und ihren Familien einen Moment des Vergessens zu bescheren.

“Sie kamen vor 18 Jahren zu uns”, erinnert sich Christoph Rudin, leitender Arzt am Universitäts-Kinderspital Basel. “Am Anfang befürchteten einige von uns, dass sich die Clowns über die Ärzte lustig machen wollten. Bald aber merkten wir, wie positiv sogar die schwerkranken oder behinderten Kinder reagierten. Und heute können wir uns die Pädiatrie ohne Spitalclowns nicht mehr vorstellen.”

Therapeutische Ausstrahlung

“Sie bringen nicht nur grosse Freude, sondern machen auch eine äusserst nützliche Arbeit: sie sind in den Spitalbetrieb integriert, diskutieren mit Ärzten und Pflegepersonal und passen sich den Bedürfnissen und Zuständen der Kinder an”, ergänzt Rudi.

Wer für die Stiftung arbeiten will, muss über Erfahrungen als Clown und über ein Improvisationstalent verfügen. Zudem müssen die Spitalclowns Ausbildungskurse in Medizin und Psychologie besuchen, die von einer Krankenpflegeschule erteilt werden.

In vielen Spitälern waren die Onkologie-Abteilungen für Kinder die ersten, die den Clowns der Stiftung Theodora ihre Türen öffneten. “Die Onkologen haben rascher als andere begriffen, dass die Kranken nicht nur Therapien und Medikamente brauchen, sondern auch die Unterstützung der Familie und eine gute Stimmung. Und das gilt für Kinder ganz besonders. Auch wenn sie schwerkrank sind, bleiben sie Kinder und wollen spielen und Spass haben”, sagt André Poulie.

Eine Ansicht, die von Giorgio Noseda, Arzt und Ex-Präsident der Krebsliga Schweiz, geteilt wird. “Das kranke Kind leidet nicht nur physisch, sondern auch psychisch, alleine durch die Tatsache, dass es weg von zu Hause ist. Diese Clowns haben daher eine grosse therapeutische Bedeutung, denn bei der Behandlung geht es ja nicht nur um klassische Medizin, sondern auch um den Patienten als Ganzes. Es gibt zahlreiche Studien, die belegen, dass die psychologische Betreuung für die Erduldung der Krankheit und oft auch für die Genesung wichtig ist.”

Wer für die Stiftung Theodora arbeiten will, braucht eine Ausbildung als Clown, Schauspieler oder eine andere künstlerische Qualifikation.

Die Clowns erhalten eine einjährige Grundausbildung sowohl im künstlerischen als auch im psychologischen und medizinischen Bereich.

Die Stiftung Theodora stellt den Spitalclowns auch professionelle psychologische Unterstützung zur Seite und hilft ihnen, mit der oft starken emotionalen Belastung umzugehen.

Erfolg auch im Ausland

Neben verschiedenen ähnlichen Organisationen, die es seit Kurzem in Europa gibt, ist die Stiftung Theodora seit längerer Zeit in Frankreich, Grossbritannien, Italien, Spanien, Weissrussland, der Türkei und in Hongkong aktiv. “Wir dachten, wenn unsere Arbeit in allen Regionen der Schweiz mit unterschiedlichen Sprachen und Kulturen ankommt, könnte sie auch in anderen Ländern funktionieren”, erklärt der Stiftungspräsident.

Gemäss André Poulie beruht auch der Erfolg im Ausland auf einer für die Schweiz typischen Philosophie. Dazu gehöre die Ausbildung des Personals, die Organisation der Arbeit, die Verwaltung der Finanzen, die Behandlung der Details.

“Am Anfang waren wir lediglich zwei junge Träumer, die zwei Clowns und ein Spital überzeugen konnten. Heute sind es rund 200 Clowns, die jedes Jahr 300’000 Kinder in 162 Spitälern in acht Ländern besuchen. Ich bin überzeugt, dass, wenn man wirklich an seinen Traum glaubt und sich einsetzt, ihn auch umsetzen und so ab und zu Unglaubliches schaffen kann.”

(Übertragung aus dem Italienischen: Gaby Ochsenbein)

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