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Zusammenspiel zwischen Islam und Gesellschaft

Eine Studie des Nationalfonds von 2009 hat ergeben, dass die Mehrheit der Imame in der Schweiz die Nationalsprachen nicht verstehen. Keystone

Im Herbst 2014 könnten die ersten Ausbildungskurse für Imame der Schweiz an der Universität Freiburg beginnen. An einer zweiten nationalen Konferenz wurden Fortschritte für das Projekt erzielt, obwohl Fragen bleiben, insbesondere über den Inhalt des Kurses.

“Das Projekt tritt heute in seine operationelle Phase”, freute sich Antonio Loprieno, Rektor der Universität Basel, der die Arbeitsgruppe “Ausbildungsprogramm für Imame und Lehrkräfte für Islamische Religion” während zwei Jahren präsidiert hat. Trotz der Befürchtungen gewisser Gegner wurden an der Konferenz vom 13. März in Freiburg Fortschritte erzielt.

“Ich bin glücklich festzustellen, dass ein grosser Schritt gemacht wurde”, sagte Hicham Maizar von der Föderation islamischer Organisationen in der Schweiz und Präsident des Schweizer Religionsrats. “Muslime leben seit mehr als 50 Jahren in der Schweiz. Deshalb müssen wir Brücken bauen zwischen ihnen, der Gesellschaft und den lokalen Behörden. Wir haben von Anfang an auf Dialog gesetzt, um damit zu beweisen, dass man gleichzeitig Schweizer und Muslim sein kann.”

Guido Vergauwen, Rektor der Universität Freiburg, welche das “Schweizer Zentrum für Islam und Gesellschaft” beherbergen wird, möchte mit den ersten Modulen  im Herbst 2014 starten. Die Weiterbildung wird im Frühling 2015 beginnen.

Zufrieden gibt sich auch Jean-Pierre Siggen, Erziehungsdirektor  des Kantons Freiburg. Der Staatsrat des Kantons, der dem Zentrum seine Unterstützung zusichert, wolle den interreligiösen Dialog fördern. Laut Siggen bietet “die Universität dafür einen idealen Rahmen”.

Auf Fragen von Teilnehmenden über die nächsten Schritte, zählt Guido Vergauwen, Rektor der Universität Freiburg, folgende Prioritäten auf:

  • Den Dialog mit den islamischen Organisationen und Vereinen innerhalb des Dachverbands aufrechterhalten.
  • Die Öffentlichkeit informieren und den Dialog sowohl zwischen den Befürwortern wie Gegnern des Projekts aufrechterhalten.
  • Den Dialog mit den universitären und politischen Institutionen aufrechterhalten
  • Eine Untersuchung durchführen, um Möglichkeiten und potentielle Partner zu eruieren.
  • Einen Projektkoordinator ernennen.
  • Eine Struktur und eine interne Direktion auf die Beine stellen und eventuell ein Konsultativkomitee bilden.

Furcht vor fundamentalistischen Ausartungen

Vor der Konferenz in Freiburg waren Stimmen laut geworden, die sich gegen das Projekt auflehnten. Unter ihnen Kantonsparlamentarier der Schweizerischen Volkspartei (SVP) und der Christlichdemokratischen Volkspartei, welche den Regierungsrat aufforderten, bei der Universitätsleitung zu intervenieren, um das Projekt zu stoppen. “Man weiss nicht, was in diesem Zentrum unterrichtet werden wird. Fundamentalistische Strömungen könnten davon profitieren”, sagte Roland Mesot, Präsident der SVP Freiburg.

“Es ist unwahrscheinlich, dass sich Fundamentalismus ins Innere einer Universität schleicht, die eine starke liberale Tradition hat”, sagt Antonio Loprieno dazu. “Ein Zentrum wie dieses könnte im Gegenteil zu einem islamischen Diskurs im Einklang mit unseren eigenen Werten führen.”

Auslöser des Projekts war die Studie “Religiöse Gemeinschaft, Staat und Gesellschaft” von 2009 des Nationalen Forschungsprogramms. Sie hatte u.a. ergeben, dass der grösste Teil der Imame und der islamischen Lehrkräfte die Landessprachen nicht beherrschten und die Schweizer Gesellschaft, deren Kultur und Gesetze nicht kannten.In den Moscheen der Schweiz predigen 150 Imame. Sie kommen aus dem Balkan, der Türkei, Nordafrika und dem Nahen Osten.

Deshalb habe es sich aufgedrängt, sie weiterzubilden, meinte der Rektor der Universität Freiburg, der Brücken bauen möchte zwischen der muslimischen Minderheit und der Schweizer Gesellschaft.

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Die Meinungen gehen auseinander

Hans-Jörg Schmidt, Leiter des Zentrums-Projekts differenziert. Der Ausdruck “Islam und Gesellschaft” entspreche eigentlich nicht dem Inhalt des Ausbildungsprogramms. “Der Islam befindet sich nicht am Rand der Gesellschaft, sondern ist Teil davon. Wir wollen nicht, dass der Islam im Rahmen dieser Ausbildung Gegenstand der Wissenschaft ist, sondern dass Muslime zu Akteuren der Wissenschaft werden.”

Diese Meinung teilen allerdings nicht alle Teilnehmer der Arbeitsgruppe, die mit dem Ausbildungsprogramm beauftragt ist. Sie setzt sich aus Vertretern der Universitäten und der Zivilgesellschaft sowie aus Imamen zusammen. Während der Konferenz vom 13. März waren Divergenzen unter den drei Gruppierungen zu Tage getreten.

Für die Imame und die islamischen Organisationen basiert die Wichtigkeit der Ausbildung auf der Tatsache, dass “der Islam in der Schweiz für den Staat und die Gesellschaft zur Herausforderung und die Trennung von Kirche und Staat eine Herausforderung für die Muslime geworden ist”, sagt Hicham Maizar. Ziel des Zentrums sei es deshalb, einen “Modus vivendi” zu finden, der die Interessen beider Seiten schütze. Gemäss Hicham Maizar sollte sich die Ausbildung nicht nur an Imame richten, sondern auch an Lehrkräfte der öffentlichen Schule und Sozialarbeiter in den Spitälern, Gefängnissen und Altersheimen.

Für die Hochschuldozenten wäre es wichtig, dass an den Schweizer Universitäten ein neuer Kurs angeboten würde, der sich sowohl vom deutschen Experiment, das auf Studien über Ethik, Koran und Scharia basiert, sowie vom traditionellen islamischen, universitären Experiment, mit wenig kritischem Geist, unterscheidet.

Dieser Meinung ist auch Reinhard Schulze, Professor am Institut für islamische Studien der Universität Bern. “Das Zentrum sollte einen islamischen Diskurs fördern, der nicht in ein System eingebunden ist”, sagt er.

Auch einige Vertreter der Zivilgesellschaften – unter ihnen Rifa’at Lenzin, Mitglied der Eidgenössischen Kommission gegen Rassismus, und Bashkim Ihsani, Forscher an der Universität Lausanne – betonten die Notwendigkeit, dass das Zentrum einen offenen Islam fördern sollte, der “kritische Gedanken” begünstige. “Das Zentrum sollte sich auch mit dem Problem der Immigration und Integration der Muslime auseinandersetzen”, sagte Bashkim Ihsani, weil es “die kulturelle und sprachliche Vielfalt der Muslime in der Schweiz” verkörpern sollte.

Laut Antonio Loprieno, Rektor der Universität Basel, wird die Finanzierung durch die Universität Freiburg, das Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation, sowie Partnerorganisationen sichergestellt.

Ausserdem könnte eine zivile Organisation gegründet werden, die öffentliche Spenden sammeln und das Schweizer Zentrum für Islam und Gesellschaft unterstützen würde.

Offene Fragen

Trotz der Fülle der Vorschläge hat die Konferenz vom 13. März nicht auf alle Fragen eine Antwort gefunden. Wer soll die Ausbildungskurse bezahlen? Welche berufliche Zukunft ist für Imame und andere Personen vorgesehen, die an der Ausbildung teilnehmen? Wer bezahlt deren Löhne? Um darauf zu antworten, müsste eine dritte Konferenz organisiert werden, wie gewisse Teilnehmende meinten.

(Übertragung aus dem Französischen: Peter Siegenthaler)

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