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Wer hat Schuld am Anstieg der Kriminalität?

Didier Ruef

Im letzten Jahr haben Einbrüche und Diebstähle, die von Asylsuchenden und Personen ohne gültige Aufenthaltsbewilligung verübt wurden, markant zugenommen. Obligatorische DNA-Tests sollen helfen, Problemfälle besser zu identifizieren.

“Wir waren über das Wochenende im Wallis, als es geschah. Zwei junge Frauen brachen mit Schraubenziehern die Türe zu unserer Wohnung im dritten Stock auf. Dabei wurden sie aber von einem Nachbarn gestört. Sie konnten nichts stehlen, aber als er sie aufzuhalten versuchte und die Polizei alarmierte, verletzte ihn eine der Frauen mit dem Schraubenzieher am Bauch.”

Christine*, die dies erzählt, ist vom Einbruch in ihr Heim in Ostermundigen bei Bern immer noch geschockt.

Laut Bundesamt für Statistik (BfS) wurden 2012 zwei Drittel aller Straftaten von Schweizer Bürgern verübt. 7% gingen auf Kosten von Asylsuchenden, bei 18% waren illegale Aufenthalter die Schuldigen.

Kantonale Polizeibehörden halten fest, dass der Anstieg der Kriminalitätsrate zu grossen Teilen auf die Gruppen der Asylsuchenden, illegalen Einwanderern sowie Einreisenden aus Tunesien, Marokko, Rumänien, Georgien, Ex-Jugoslawien und weiterer Länder geht. Namentlich in der Westschweiz, aber auch in den Städten Zürich, Bern und Basel, war der Anstieg von Diebstählen und Einbrüche spürbar.

2012 wurden allein von der Kantonspolizei Zürich 1150 Personen aus Tunesien, Algerien, Marokko und Libyen angeklagt. Sie stammten aus Asylzentren in Zürich, Aargau und St. Gallen. Seit 2009 hat sich die Zahl der untersuchten Straftaten, die von Nordafrikanern begangen wurden, verdreifacht.

“Das ist ein starker Anstieg. Er wird für die Bevölkerung zu einem ernsten Problem, weil das Bedürfnis der Menschen nach Sicherheit tangiert wird”, sagt Christiane Lentjes, Chefin der Zürcher Kriminalpolizei.

Im Kanton Waadt und insbesondere in Lausanne machte die Polizei einen Kern von 200 Wiederholungstätern aus Nordafrika aus, die für den Anstieg bei Diebstählen, Autoeinbrüchen, sexuellen Übergriffen, Taschendiebstählen oder Handel mit weichen Drogen verantwortlich sein sollen.

Auch im beschaulichen Kanton Jura sind es junge Männer aus Nordafrika, die für Unruhe sorgten. “Wir hatten einen Fall, in dem zwei Personen innerhalb eines Monats 100 Autos aufbrachen und ausraubten. Erst dann konnten wir sie dingfest machen und für einen Monat hinter Gitter bringen”, sagt Olivier Guéniat, Chef der jurassischen Kantonspolizei. “Aber sie kommen wieder frei und treiben sich als abgewiesene Asylbewerber herum. Wir melden sie, wenn sie sich illegal im Land aufhalten. Aber das kümmert sie nicht und sie fahren fort mit Stehlen und Autoeinbrüchen.” Im Kanton seien nur 20 Personen für über 60% des Anstiegs von Diebstählen und Einbrüchen verantwortlich, sagt Guéniat.

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Auf Streife mit der Genfer Polizei

Dieser Inhalt wurde am veröffentlicht Ruef hat die Beamten auf deren Patrouillen am Tag und in der Nacht begleitet und konnte seine Aufnahmen ohne Einschränkungen machen. In ihrem Alltag sind die Ordnungshüter mit einer Vielzahl von Situationen konfrontiert, auf die sie sich stets neu einstellen müssen. Die Multikulturalität der Menschen in Genf verlangt ihnen zusätzlich viel Fingerspitzengefühl ab. Mit dem…

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“Im Abseits”

Junge Tunesier kämen nicht in die Schweiz, um kriminell zu werden, hielt der tunesisch-schweizerische Autor Amor Ben Hamida gegenüber von 20Minuten online fest. “Sie wollen arbeiten und Geld verdienen. Aber nach einem Jahr des Herumhängens ohne Arbeit geraten viele auf die schiefe Bahn. Viele denken auch: ‘Der tunesische Diktator Ben Ali hatte Millionen auf Schweizer Bankkonten versteckt, also hole ich mir etwas davon zurück'”.

Olivier Guéniat sieht das Ganze kritischer. “Bevor sie via Italien, Frankreich oder Spanien in die Schweiz gelangen, sind viele durch die Hölle gegangen. Ihnen ist alles egal, und eine soziale Kontrolle existiert nicht. Viele von ihnen sind völlig aus dem Tritt und ohne Hoffnung auf einen Status als Daueraufenthalter – sie sind eine Gruppe im Abseits.”

Strafuntersuchungen seien schwierig und glichen oft einem Katz-und-Maus-Spiel, sagt Stephane Volper, stellvertretender Leiter der Lausanner Kriminalpolizei. “Es ist sehr schwierig, ihre Herkunft zu ermitteln. Sie haben keine Papiere und geben an, aus Libanon oder Syrien zu stammen. Wir kennen ihre Gesichter, aber sie kooperieren nicht und kennen durch den wiederholten Behördenkontakt die Schwachstellen unserer Justiz.”

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Polizeichef plädiert für Langfrist-Vergleiche

Dieser Inhalt wurde am veröffentlicht “Es ist ein seriöser, ein massiver Schwindel”, murmelt Guéniat. – Was ist los? Taschendiebe in Pruntrut? Oder Uhrendiebstahl? Nein, der Polizeichef ärgert sich über verschiedene Zeitungsartikel, in denen die Schweiz als das Land mit der höchsten Einbruchsrate Europa bezeichnet worden ist. “Sie beziehen sich auf eine fragwürdige Methode”, sagt Guéniat. “Die Schweiz sollte im Mittelfeld…

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Delikt und Strafe

In Genf ist es einer Spezialeinheit gelungen, rund 400 nordafrikanische Wiederholungstäter zu identifizieren und einige von ihnen abzuhalten, nach Genf zurück zu kehren. François Schmutz, Leiter der Genfer Kriminalpolizei, weiss aber nicht, wo sie sich aktuell aufhalten.

Die bessere Identifikation ist ins Zentrum der politischen Debatte um die Asylpolitik gerückt. Der Nationalrat sprach sich jüngst für obligatorische DNA-Tests für “gewisse” Asylsuchende aus, die kriminell werden könnten. Die Motion muss noch vom Ständerat (kleine Kammer) diskutiert werden.

Polizeibehörden und Kriminologen sind sich einig, dass sich die bedingten Strafen, die das revidierte Strafgesetz ermöglicht, nicht bewähren. “Ich bin kein Hardliner, aber für schlimme Wiederholungstäter sind spezielle Strafanstalten die einzig mögliche Lösung”, ist der Jurassier Guéniat überzeugt.

Im Kanton Zürich kann die Polizei beim Migrationsamt spezielle Zonen beantragen, die problematische Asylsuchende nicht betreten dürfen. “Die dauerhafte Rückschaffung wäre wahrscheinlich effektiver”, sagt Kriminalpolizei- Chefin Christiane Lentjes.

Während in Genf die Zahl der nordafrikanischen Delinquenten gesunken ist, haben in den letzten beiden Jahren Einbrüche mit Beteiligung von Personen aus Rumänien zugenommen.

“Diese Delinquenten müssen von den rumänischen Bettlern unterschieden werden. Es mag manchmal Verbindungen geben, aber hinter den Einbrüchen stecken rumänische Banden, die aus professionellen Einbrechern bestehen, die oft aus derselben Region stammen”, sagt Schmutz. Er erwähnt Mädchen und junge Roma-Frauen aus Ex-Jugoslawien im Alter zwischen 12 und 25 Jahren. Als Basis dienten ihnen Roma-Lager bei Mailand oder Paris. In kleinen Gruppen von zwei bis sechs Mitglieder schwärmten sie dann nach Genf aus, um Wohnungen auszurauben.

2012 wurden in der Schweiz 750’371 Straftaten verübt (+9%). Eigentumsdelikte machten fast drei Viertel aller Vergehen aus. Diebstähle nahmen um 24’275 Fälle oder 11% zu.

Für drei Viertel aller Straftaten waren Schweizer Bürger verantwortlich, für 7% Asylsuchende (+38%, +1638 Angeklagte) und für 18% illegale Aufenthalter (+14%,+1776 Angeklagte).

Laut einer Umfrage von SonntagsZeitung und Le Matin Dimanche im letzten Jahr stiegen nach Ausbruch des “arabischen Frühlings” die Delikte von Nordafrikanern in der Schweiz sprunghaft an: Autoeinbrüche +1500%, Ladendiebstähle +390%, Einbrüche +150%, Entreissdiebstähle +130%.

In der ersten Jahreshälfte 2012 stammten über 50% der angeklagten Asylsuchenden aus Nordafrika, obwohl sie nur 6% aller Asylsuchenden und Abgewiesenen ausmachten.

Angeklagte 2012 (in Klammern Zahlen 2011):

Rumänen 2475 (1809), Tunesier 2209 (1667), Algerier 1444 (1229), Marokkaner 1120 (715), Georgier 625 (477).

(Quelle: BfS)

Schengen wider die Einbruch-Profis 

2012 war auch der Kanton Jura auf dem Radar von rumänischen oder georgischen Einbrechern. “Wir haben soeben eine Gruppe identifiziert, die für 40 Einbrüche in Firmen und Villen verantwortlich war. Die meisten Täter sind zwischen 30 und 40 Jahre alt. Sie stehlen Autos und wechseln andauernd die Nummernschilder. Sie spielen sozusagen mit der Grenze, die sie für ihre Raubzüge überschreiten. Dort, wo sie leben, verhalten sie sich ruhig, und sie pendeln dauernd zwischen Rumänien und dem Aufenthaltsort”, weiss Schmutz.

Aufgrund des Schengen-Systems könnten aber viele Verdächtige identifiziert werden. “Mit dem Schengen-Mandat weiss man, dass sie irgendwo gefasst werden.”

Der georgische Einbrecher-Ring ist laut Polizei vornehmlich auf der Achse Paris-Lyon-Jura aktiv. “Sie haben ihr Fussvolk, meist auf Einbrüche und insbesondere Juwelen spezialisierte Drogenabhängige. Sie sind sehr gut strukturiert und werden von den tentakel-artigen Gangs in Spanien und Deutschland sofort aufgenommen”, weiss Guéniat.

*Name geändert

(Übertragung aus dem Englischen: Renat Kuenzi)

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