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“Schweizer wohnen viel ordentlicher als Australier”

Eine junge Frau in der Hängematte
Nicole hat eine Hängematte auf ihrer Terrasse. Sie verbringt viel Zeit draussen. Ockert Le Roux

Eine Auslandschweizerin zeigt uns ihr autarkes Cottage mitten in einem australischen Naturschutzreservat. Als House-Sitterin hat sie Einblick in zahlreiche australische Wohnzimmer erhalten und kann Vergleiche zum Wohnen in der Schweiz ziehen.

Serie: So wohnen Schweizer und Schweizerinnen.

Die Skype-Kamera auf dem Computerbildschirm zeigt einen blauen Himmel, Silhouetten von Eukalyptusbäumen und eine sommertrockene Landschaft, während vor den Fenstern unserer Redaktion Schneeflocken durch die Luft wirbeln.

Wir telefonieren mit Nicole, einer Schweizerin, die im australischen Adelaide studiert hat und nun als Koordinatorin für Umweltbildung in Naturschutzreservaten im Bundesstaat Victoria arbeitet. Sie hat sich bereit erklärt, ihre Wohnzimmertür für uns zu öffnen und unseren Lesern und Leserinnen die Unterschiede zwischen schweizerischem und australischem Wohnen zu zeigen.

Privatsphäre ist Australiern wichtiger als Schweizern

Als Studentin hütete Nicole Wohnungen und Häuser von verreisten Australiern und konnte so gratis wohnen. Dank diesem House-SittingExterner Link hat Nicole Einblick in zahlreiche Adelaider Wohnzimmer erhalten. “Australier wohnen viel unordentlicher als Schweizer”, bestätigt Nicole das Klischee der ordnungsliebenden Schweizer und Schweizerinnen.

Ein Frau vor dem Bücherregal
Ordnung muss sein als Schweizerin. Ockert Le Roux

Doch der grösste Unterschied ist ihrer Meinung nach ein anderer: “Australiern ist die Privatsphäre enorm wichtig, sie wollen Abstand zu den Nachbarn und bauen Zäune. In der Schweiz hingegen kann man den Leuten durchs Fenster ins Wohnzimmer gucken.”

Australier wollten meist ein eigenes Haus, sagt Nicole. Lange habe man auch in Städten kaum mehrstöckig gebaut. “Das ändert sich aber langsam.” Etwa 10% der Australier leben inzwischen in einer WohnungExterner Link, und auf fünf Einfamilienhäuser kommt eine Wohnung. Das ist aber immer noch deutlich weniger als in der Schweiz, wo eine Mehrheit als Mieter und Mieterinnen in Mehrfamilienhäusern wohnt. “Wenn ich Australiern erzähle, dass meine Eltern ihr ganzes Leben in einer Mietwohnung gelebt haben, machen sie grosse Augen”, erzählt Nicole.

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Wir werden unterbrochen durch das aufgeregte Maunzen einer Katze. Nicole springt auf. “Ich muss schauen, dass sie keine giftige Spinne frisst”, erklärt sie.

Eine Katze
Die Katze spielt gerne mit Kleingetier – das kann in Australien gefährlich sein. Ockert Le Roux

Kurz darauf Entwarnung: Die Katze brachte bloss einen harmlosen Falter heim. Dass überall in Garten und Haus giftige Schlangen, Spinnen und Riesenameisen lauern, daran hat Nicole sich gewöhnt. “Es ist eine Gewohnheitssache: Ich gärtnere nie ohne Handschuhe und gehe nicht barfuss nach draussen.”

Autarkes Wohnen in Australien üblich

Nicole wohnt in einem vor 40 Jahren gebauten Stein-Cottage, das ursprünglich als Wochenendhaus genutzt wurde. Es hat zwei Schlafzimmer, ein Wohnzimmer, eine schmale Küche und ein Bad mit Dusche und WC.

Cottage
Nicoles Cottage. Ockert Le Roux

Das Haus ist weder an eine Kanalisation, noch an Wasser oder ein Stromnetz angeschlossen. Die Toilette spült in einen Tank, der regelmässig von einer Firma geleert wird. Strom bekommt Nicole von drei Solarzellen und für Abwasch und Dusche nutzt sie Regenwasser. Kochen tut sie im Winter mit Holz, im Sommer wegen der Buschbrandgefahr mit Gas.

Alter Kochherd
Im Winter kocht Nicole mit Holz. Ockert Le Roux

Das sei auf dem Land in Australien nicht unüblich, erzählt Nicole. Eine flächendeckende Kanal- oder Strominfrastruktur wie in der Schweiz ist wegen der grossen Distanzen schlicht nicht denkbar. Dafür haben Australier und Australierinnen keine Platzprobleme – zumindest auf dem Land -, Zersiedelung ist daher im Unterschied zur Schweiz politisch kein Thema.

Wohnen ist in Australien teuer

Die Australier und Australierinnen beschäftigt ein anderes Problem: Häuser und Wohnungen sind vor allem in Städten sehr teuerExterner Link, sowohl Kauf als auch Miete. Nicole erzählt, sie sei richtig über die Preise erschrocken, als sie nach Australien gezogen sei. Für eine 1- bis 2-Zimmerwohnung bezahlt man 200 bis 300 Franken pro Woche. In Schweizer Städten bezahlt man zwar ähnlich viel, doch ist das Lohnniveau höher.

Vor allem die Jungen seien frustriert, erzählt Nicole. Die älteren Generationen konnten sich den Kauf von Häusern noch leisten, die sie nun teuer an die Jungen vermieten, für die Wohneigentum unerschwinglich ist. Und der Mieterschutz ist nicht so gut ausgebaut wie in der Schweiz. “Die meisten Mietverträge werden alle drei bis sechs Monate erneuert, man weiss also nie, ob man wirklich bleiben kann”, sagt Nicole. Auch das Eidgenössische Aussendepartement (EDA) warnt im Länderdossier AustralienExterner Link: “Lassen Sie Verträge für Kauf oder Miete vor der Unterzeichnung von einer Fachstelle auf die Rechtmässigkeit hin überprüfen, auch wenn die Maklerfirma Sie unter Zeitdruck zur Unterschrift drängt.”

Ein See
Das Cottage steht in einem Naturschutzgebiet. Ockert Le Roux

Nicole wohnt ziemlich günstig: Sie zahlt 100 Franken Miete pro Woche – im Gegenzug muss sie 40 Hektaren Buschwald in Schuss halten und beispielsweise Unkraut entfernen. Nebenkosten zahlt sie dank Autarkiesystem kaum.

Eher einfacher Standard

Der Qualitätsstandard ihrer Wohnung in Australien sei niedriger als in der Schweiz, sagt Nicole. So ist ihr Haus beispielsweise kaum isoliert und hat keine Zentralheizung. “Das ist in Australien normal. Doppelverglasungen von Fenstern gibt es kaum.” Zwar wird es in Australien nicht so kalt wie in der Schweiz. Aber wenn es in Kurrawonga, wo Nicole wohnt, in Winternächten Frost gibt, dann ist sie froh um ihren Holzofen in der Küche und den Kamin im Wohnzimmer.

Blick aus Wohnzimmerfenster
Der Blick aus Nicoles Wohnzimmerfenster. Ockert Le Roux

Das Haus hat weder Abwaschmaschine noch Waschmaschine. Wie die meisten australischen Mieter und Mieterinnen nutzt Nicole einen öffentlichen Laundry Room. Mit Warmwasser muss sie vor allem im Winter sparsam umgehen, weil die Sonne das Solarheisswassersystem nicht genügend aufheizt und Nicole auf Gas umstellen muss.

Wohnen wie in den Ferien

Der vergleichsweise einfache Standard ihres Cottages stört Nicole überhaupt nicht. Sie ist sehr glücklich mit ihrer Wohnsituation. “Es war schon immer mein Traum, so zu leben: Keine Nachbarn, absolute Stille, viel Umschwung, überall Tiere.” Es kommt vor, dass Opossums (Beutelratten) oder Wallabys (eine Art Känguru) an ihrem Fenster schnüffeln und ins Wohnzimmer spähen.

Frau vor Känguru
Die Tiere sind zum Anfassen nah. Ockert Le Roux

Zwar hat Nicole auch in der Schweiz nach Abgeschiedenheit und Natur gesucht – sie wohnte mal mitten in einem Rebberg –, aber in der kleinräumigen und dicht besiedelten Schweiz ist sowas wie ihr jetziges Zuhause kaum denkbar. “Hier fühlt es sich an wie ewige Ferien”, sagt Nicole. Dazu passt, dass sie für ihren Beruf häufig im Zelt übernachten muss.

Ihr Traum für die Zukunft besteht darin, dauerhaft in Australien bleiben zu können. Am liebsten mit eigenem Grundstück. Das Haus, das darauf stehen würde, dürfte aber ähnlich schlicht und klein sein, wie ihr jetziges Zuhause. “Das Haus ist mir nicht wichtig, Hauptsache ich lebe in der Natur!”

Schweiz und Australien

Die bilateralen Beziehungen zwischen Australien und der Schweiz sind laut EDA “gut und zunehmend intensivExterner Link“.

Australien ist bei Schweizerinnen und Schweizern ein beliebtes Touristenziel und Auswanderungsland: Bereits kurz nach der Gründung der ersten Siedlung 1788 wanderten Schweizer in die Region von SydneyExterner Link aus. Es kamen Melkerinnen, Käser, aber auch Kaufleute und Weinbauern. Westschweizer gründeten in Victoria bedeutende Weinbaugebiete und prägten die australische Weinindustrie mit.  

Auch heute beherbergt Australien eine der grössten Auslandschweizergemeinden: 2016 lebten über 25’000 Schweizer und Schweizerinnen offiziell in AustralienExterner Link. Zur gleichen Zeit waren 2834 Australier und AustralierinnenExterner Link in der Schweiz registriert.

Die Schweiz und Australien haben seit 2008 ein gemeinsames Sozialversicherungsabkommen und seit 2014 ein neues Doppelbesteuerungsabkommen.

Quelle: EDA und Historisches Lexikon der Schweiz

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